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Integrationsprobleme auch hausgemacht

20. April 2010

Eine aktuelle Studie sieht die Türken in Deutschland in punkto Integration abgeschlagen. Nichts Neues, wichtiger wäre, Abhilfe zu schaffen, und da sei Deutschland gefragt, meint Bahaeddin Güngör.

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Bahaeddin Güngör (Foto: DW)
Bahaeddin GüngörBild: DW

Jetzt liegt also noch eine Studie vor, die die großen Integrationsprobleme von Türken in Deutschland ins Licht der deutschen Öffentlichkeit rückt. Das Ergebnis ist nicht überraschend: In allen Disziplinen - angefangen von der Analphabetenquote bei Frauen über soziale Unterschiede auf der Basis der Quoten von Hartz-IV-Empfängern bis zum schulischen und beruflichen Bildungsniveau - sind und bleiben die Türken am Ende der Tabelle. So weit, so schlecht. Was bei dieser Diagnose zu kurz kommt, ist die Analyse, die Erklärung dafür, dass sich so schnell nichts zum Besseren wenden wird.

Gesamtgesellschaftliche Ursachen

Da wäre zum einen die lange Phase der Blindheit der deutschen Politik zu nennen, die für die Wurzeln der heutigen Misere mitverantwortlich ist. Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wollte man allzu lange nicht wahrhaben. Man gab sich der Illusion hin, dass die so genannten Gastarbeiter sich nach getaner Arbeit ihres Status als Gäste besinnen und die Heimreise antreten würden. Im Falle der Türken kam falsch verstandene Toleranz hinzu: Hinweise auf die Indoktrinierung von Kindern in Korankursen, in aller Herrgottsfrühe noch vor dem regulären Unterrichtsbeginn, wurden ignoriert.

Umgekehrt wird seit dem 11. September 2001 die Religion der Türken als im Widerspruch zu den christlich-jüdischen Wurzeln Europas gesehen und die Türkei als nicht zur europäischen Familie gehörend. Gleichzeitig fehlen natürlich nicht die Lippen- und Schönwetterbekenntnissen zur "historischen und traditionellen Freundschaft", zur "militärischen Bündnistreue" und zur "verlässlichen Wirtschaftspartnerschaft". Diese Doppelzüngigkeit ist den Türken in Deutschland eine Lehre: Sie schotten sich weiter ab und schaffen sich ihre eigene Welt, auch ohne deutsche Sprachkenntnisse. Heute kann eine türkische Familie vom Kreissaal bis zum Friedhof in Deutschland leben, ohne Deutsch sprechen zu müssen oder in Alibikontakt zu Deutschen zu stehen.

Duldung, Toleranz, Anerkennung

Doch wie könnte eine Wende eingeleitet werden? Diese erscheint nur dann möglich, wenn aus der einstigen Duldung und späteren Toleranz endlich eine Anerkennung als gleichwertige Bürger wird. Der doppelte Standard im Umgang mit Türken muss beendet werden. Griechen, Italiener, Spanier und andere Christenmenschen aus der EU haben keine Angst vor der Rückkehr in die Heimat ihrer Vorfahren, weil sie ja jederzeit wieder nach Deutschland kommen können. So gibt es zum Beispiel Eisdielenvölkerwanderungen im Sommer und im Winter zwischen Italien und Deutschland.

Nur bei den Türken hindert eine die Menschenwürde missachtende Visumpflicht die Betroffenen daran, sich frei zu entscheiden, wo sie ihren Lebensmittelpunkt sehen wollen. Erst wenn die Voraussetzungen zwischen Türken, Griechen, Italienern oder Spaniern - auch, aber nicht nur, in Visumfragen - die gleichen sind, haben Studien wie die jetzt aktuell vorgestellte einen weitergehenden Sinn als nur die tiefe Spaltung zwischen Bevölkerungsgruppen in Deutschland zu bestätigen.

Autor: Bahaeddin Güngör
Redaktion: Kay-Alexander Scholz