1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Herbert Peckmann11. November 2006

Wahlschlappe für US-Republikaner / Verkorkste EU-Beitrittsverhandlungen

https://p.dw.com/p/9Nlr
Die Wahlschlappe der Republikaner von US-Präsident Bush und die Entlassung von Verteidigungsminister Rumsfeld werden - wie in den deutschen Zeitungen - auch in den europäischen Presse ausgiebig kommentiert. Ebenso beachtet werden die Probleme um die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Zunächst zum Ausgang der Wahlen in den USA. Dazu schreibt die Zeitung LE FIGARO aus Paris:

"Es ist verblüffend zu sehen, wie einhellig die Welt die Niederlage des amerikanischen Präsidenten begrüßt. In dieser allgemeinen Stimmung der Zufriedenheit spiegelt sich die Selbstzufriedenheit des 'wir haben es ihm ja gesagt' wider, von der man jedoch so schnell wie möglich ablassen sollte. Die Situation im Irak erlaubt keinem Land mehr zu sagen, 'Das ist die Angelegenheit Bushs'."

Die ebenfalls französische Zeitung LA CROIX sieht eine neue Rolle für die Europäer. Zitat:

"Es ist gesund, dass der amerikanische Anspruch, einseitig die Welt zu führen, jetzt einen Dämpfer erhält. Doch kann man sich vollen Herzens darüber freuen? Natürlich fällt einem jetzt die Rolle ein, die Europa, die NATO, die Afrikanische Union oder die UN spielen könnten. Leider sind diese Gegengewichte nicht den Herausforderungen gewachsen."

Auch für den TAGES-ANZEIGER aus Zürich bleiben die USA ein Partner für Europa. Dort heißt es:

"Schadenfreude (ist) unter den Europäern, die der US-Präsident wiederholt brüskiert hat, zwar verständlich, aber trotz allem fehl am Platz. ... Denn die Lösung einer Reihe von internationalen Problemen - Irak, Iran, Palästina, Nordkorea, Terror - ist viel zu dringlich, als dass die Verantwortlichen sich von persönlichen Empfindlichkeiten leiten lassen sollten."

Der Londoner DAILY TELEGRAPH zieht Parallelen zur Innenpolitik in Großbritannien:

"Wenn die Briten über Irak abstimmen würden, dann würden sie Blair eine noch kolossalere Niederlage verschaffen, als es die Amerikaner am Dienstag mit George W. Bush taten. Blairs enge Allianz mit dem US-Präsidenten war der Hauptgrund für seine Unbeliebtheit und droht mehr als jeder andere Faktor, sein politisches Erbe zu trüben."

Der ebenfalls in London erscheinende GUARDIAN bedankt sich bei den Amerikanern:

"Der Abgang von Rumsfeld zeigt wenigstens, dass jemand im Weißen Haus begriffen hat, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. ... Vielleicht kann die pragmatischere alte Garde der Republikaner einer verheerenden Präsidentschaft helfen, deren katastrophalstes Abenteuer zu überwinden. Doch diese Möglichkeiten haben die amerikanischen Wähler geschaffen. Allein dafür schuldet die ganze Welt ihnen heute tiefe Dankbarkeit."

Der Wiener KURIER schließlich analysiert:

"Das Gefühl einer Nation, die ein gemeinsames Lebensideal hat, mag auf uns Europäer wie ein Mythos wirken, für die Amerikaner ist er Grundstein ihres Selbstbewusstseins. Wenn die Demokraten diesen Mythos nicht glaubwürdig für sich beanspruchen, werden die Republikaner sie 2008 wieder als arrogante, Milchkaffee schlürfende Großbürger brandmarken - und die gewinnen in den USA keine Wahlen."


Themenwechsel. Die Europäische Kommission hat in ihrem am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Fortschrittsbericht den EU-Beitrittskandidaten Türkei scharf kritisiert. Vor allem moniert sie den lahmenden Reformprozess. Dazu schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:

"Für Ankara kommt die Brüsseler Beurteilung einer eigentlichen Ohrfeige gleich. Doch damit nicht genug: Die Regierung Erdogan muss mit der Suspendierung der Beitrittsverhandlungen rechnen, wenn die Türkei bis Ende des Jahres das sogenannte Ankara-Protokoll nicht ratifiziert haben wird. Darin hatte sich das Land noch vor Aufnahme der formellen Beitrittsgespräche vor gut einem Jaht verpflichtet, die Zollunion mit der EU auch auf (...) Zypern auszudehnen."

Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER stellt fest:

"Die Probleme rund um die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei nehmen Überhand. (...) Für die finnische EI-Präsidentschaft geht es jetzt nicht nur darum, die akuten Konflikte zu lösen. Sie muss auch sicherstellen, dass der (EU-) Gipfel im Dezember nicht zu einem reinen Katalog von Kritik an der Türkei wird. Zeigt, dass ihr sie mit offenen Armen empfangt!", fordert DAGENS NYHETER.

Anders sieht dies der niederländische TELEGRAAF. Das Blatt meint:

"Die EU kann sich nicht länger schikanieren lassen. Dass die Türkei schon früher einige Schritte in Richtung Europa getan hat, reicht nicht. In Sachen Zypern muss die Türkei sofort nachgeben. Das hatte sie bei Beginn der Verhandlungen versprochen. Kommt sie dem nicht nach, hat die Fortsetzung der Gespräche keinen Sinn. Ein Versprechen schafft eine Verpflichtung. Danach muss die Türkei innerhalb von, sagen wir einmal, zwei Jahren weitere entscheidende Schritte in Richtung Demokratisierung unternehmen. Wenn sie nachlässt, müssen die Verhandlungen ebenfalls gestoppt werden."

Die französiche LIBÉRATION verweist auf die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei:

"Der der Euroskeptizismus in der öffentlichen Meinung der Türkei erreicht Rekordwerte. ... Vor allem die jüngeren Leute klinken sich in dieser Frage immer mehr aus. Sie leben in einer Türkei in vollem Wirtschaftsboom. Dagegen versetzt sie 'Euroland' mit seinem schwachen Wachstum und seiner alternden Bevölkerung immer weniger in Träumereien."

Ähnlich sehen es in Österreich die SALZBURGER NACHRICHTEN:

"Nach der Enttäuschung über Europa hält Ankara nach anderen Allianzen Ausschau: Die Türkei knüpft Kontakte mit Russland; und sie stärkt die Bande mit den islamischen Nachbarländern. Das Risiko wächst, dass der Westen die Türkei 'verliert' - und damit den strategisch wichtigen Brückenbauer zur islamischen Welt. Kein Zweifel: Das Ziel der EU muss eine möglichst enge Anbindung der Türkei an Europa sein."