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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Ulrike Quast16. Dezember 2006

EU stoppt Teile der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei / Konferenz im Iran leugnet Holocaust

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Die Europäische Union hat die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in Teilen auf Eis gelegt. Grund ist die Weigerung Ankaras, Häfen und Flughäfen wie zugesagt für die Republik Zypern zu öffnen, die seit 2004 EU-Mitglied ist. Die internationale Presse kommentiert die Entscheidung der Europäer.

In den SALZBURGER NACHRICHTEN heißt es:

"Im Streit um Türkei verliert auch die EU. Die Gegner des Türkei- Beitritts möchten die Entscheidung in diesem Glaubenskrieg nun schnell herbeiführen. Der Preis für die schnelle Entscheidung wird aber hoch sein. Ein schneller Abbruch kann für niemanden von Vorteil sein. Die Diskussion, ob die Türkei in die EU gehört oder nicht, wäre für sehr lange Zeit beendet. Die Befürworter des Türkei- Beitritts müssten nicht mehr erläutern, worin sie die strategische Bedeutung des großen Nachbarn für die EU sehen. Ankara würde nicht mehr hören, wenn Brüssel Menschenrechtsverletzungen anprangert."

LE MONDE aus Paris ist der Ansicht:

"In dieser Frage, die ihren Ursprung in der Versicherung einer 'europäischen Berufung' der Türkei durch de Gaulle und Adenauer hat, spielt jeder mit gezinkten Karten. Trotz der Reformen, die Ankara unter der Führung von Regierungschef Erdogan und seinen Freunden, die gemäßigte Islamisten sein sollen, unternommen hat, erfüllt die Türkei ihre Zusagen nicht. Anders gesagt: Sie will in einen Club hinein, dessen Mitglieder sie im Fall Zypern nicht anerkennt. Wenn die Türkei wirklich der strategische Partner ist, den Europa braucht, wie alle immer sagen, dann verlangen es Anständigkeit und Realismus, mit offenen Karten zu spielen."

Die Zeitung INFORMATION aus Kopenhagen glaubt, dass Stabilität in der Türkei nur über eine Anbindung an Europa zu erreichen ist.

"Die Türkei balanciert am Rand einer politischen Katastrophe, und die EU schickt sich an, ihr den entscheidenden Stoß zu versetzen. Für die starken Kräfte, die die Türkei näher an europäische Menschenrechtsstandards bringen und das Land durch und durch modernisieren wollen ist ausschlaggebend, dass auch die Regierung in Ankara dasselbe will. Der wacklige Kurs der EU gegenüber der Türkei aber könnte die derzeitige türkische Regierung die Macht kosten und das Land in die Arme ganz anderer, reaktionärer Kräfte treiben."

Auch El PAIS aus Madrid sieht die EU-Entscheidung kritisch:

"Die Entscheidung der EU-Staaten schadet nicht nur der Türkei, sondern auch Europa. In der Türkei droht nun eine Allianz von Islamisten und Militärs, die weiterhin ein Staat im Staate bleiben wollen. Zudem erweckt die EU in einer besonders heiklen Phase den Eindruck, als weise sie die islamische Welt in ihrer Gesamtheit zurück. Hinter der Entscheidung verbirgt sich eine tiefe Teilung innerhalb der EU. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Türkei nicht in der EU haben, teils aus innenpolitischen Gründen und teils deshalb, weil die Türkei Deutschland bald als bevölkerungsreichstes Land der EU ablösen würde."


Themenwechsel. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat auf der so genannten Holocaust-Konferenz in Teheran Israel wieder scharf angegriffen. Das Land werde ausgelöscht, tönte Ahmadinedschad. Die internationale Presse befasst sich kritisch mit der Tagung.

So warnt die NEW YORK TIMES vor der Macht politischer "Schurken und Narren" im Nahen Osten:

"Die Konferenz von Holocaust-Leugnern und Rassisten im Iran war - wie voraussehbar - ein Zirkus der Leugnung des Holocausts und des Rassismus, vertreten von diskreditierten Gelehrten. Irans Präsident Ahmadinedschad glaubt offensichtlich an seine Behauptungen, nach denen der Mord an sechs Millionen Juden ein Mythos ist, der zur Rechtfertigung der Staatsgründung Israels erfunden wurde. Das ist beängstigend genug. Verbindet man dies mit seinen Aufrufen, Israel von der Landkarte zu löschen, und das - bislang ungebremste - Streben seiner Regierung nach der Technologie zum Bau einer Atombombe, dann hat man noch mehr Gründe, nachts nicht zu schlafen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schreibt:

"Antisemitismus in der arabischen und islamischen Welt ist nicht nur eine intellektuelle Tradition, sondern hat auch eine politische Basis, wie Nazi-Sympathien in der Vergangenheit belegten. Ahmadinedschad weiß, in welchen dunklen Nischen seine Anhängerschaft nistet. Auf Breitenwirkung zielt seine Beschwörung nationaler Größe und historischer Ressentiments. Wer früher Autobahnen baute, installiert heute Anlagen zur Urananreicherung. Ahmadinedschad ist kein Clown, der abstruse Thesen auftischt und weggelacht werden darf. Er und die Gefahr, die er verkörpert, verdienen es, ernst genommen zu werden."

Der GUARDIAN aus London meint, dass Irans Holocaust-Leugnung den Palästinensern schade:

"Es ist legitim, die Lehren des Zionismus zu hinterfragen, und es ist auch möglich, die Palästinenser als seine Opfer zu sehen. Jedoch kann es nicht angehen, dass nahe gelegt wird, Auschwitz sei eine 'große Lüge', die ausgeheckt wurde, um jüdischen Interessen zu dienen. Es ist fair, Israels Politik zu kritisieren. Ahmadinedschads widerwärtige Unterstützung für die Holocaust-Leugnung ist unwürdig für sein eigenes Land, eine Beleidigung der Juden und schädlich für die Palästinenser, um die er sich angeblich sorgt."

Nach Einschätzung der römischen Zeitung LA REPUBBLICA muss man die iranische Hetze ernst nehmen:

"Ahmadinedschad diente die Konferenz dazu, seine Kampagne gegen die Juden und ihren Staat zu institutionalisieren. Außerdem wollte er so seinen Gegnern im Innern des Landes, die eine moderatere Linie in der Außenpolitik vorgezogen hätten, klar machen, dass es sich hier tatsächlich um eine echte Kampagne handelt, und nicht um irgendein Geplänkel. Und diese Kampagne muss ernst genommen werden. Denn mit ihr zielt der Präsident darauf ab, Verbündete unter den Arabern, den Anti-Israelis und den Anti-Amerikanern zu finden und deren Regierungen zu zwingen, eine weicheres Verhalten gegenüber den iranischen Nuklearplänen anzunehmen."