1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Annamaria Sigrist5. Mai 2007

Krise in Israel / Krawalle in Estland

https://p.dw.com/p/ANoM

Die Kommentatoren der ausländischen Presse haben sich vergangene Woche unter anderem mit zwei Themen beschäftigt: Mit den Unruhen in Estland und mit der politischen Krise in Israel seit der Veröffenttlichung des Untersuchungsberichtes zum Libanon-Krieg. Der Bericht hatte Isarels Ministerpräsident Ehud Olmert sowie seinem Verteidigungsminister Amir Peretz und der damaligen Militärführung bescheinigt, für das Scheitern des Krieges gegen die libanesische Hisbollah-Miliz im vorigen Sommer verantwortlich zu sein. Die Lage in Israel wird von den ausländischen Kommentatoren unterschiedlich bewertet.

Die britische Tageszeitung THE INDEPENDENT aus London merkt an:

'Der Bericht ist umfassend, schlägt hart zu und verschont niemanden. Er macht den Mann an der Spitze verantwortlich für Entscheidungen, die unter seiner Führung gefällt wurden. Und er macht den Aberwitz eines Krieges deutlich, der von einem Premierminister ohne militärische Erfahrung geführt wurde, der es versäumt hat, sich fachgerechten Rat zu holen, den Stand der Bereitschaft der Armee zu überprüfen und der nicht genügend Kenntnisse über das betreffende Land hatte. Der Krieg im Libanon war eine beschämende Episode in Israels jüngster Vergangenheit; eine katastrophale und teure Fehlentscheidung. Aber es ist ein Beitrag zur Demokratie in Israel, dass ein solch gründlicher Bericht nicht nur verfasst, sondern auch veröffentlicht wurde.'

Der TAGES-ANZEIGER aus Zürich ergänzt:

'Stabilisieren ließe sich die schwankende politische Lage am ehesten, wenn Olmert seinen Platz räumte. Träte dieser freiwillig aus seinen Ämtern zurück, so ermöglichte das die Bildung einer neuen Regierung, ohne dass Neuwahlen ausgeschrieben werden müssten. Diese Botschaft hat Außenministerin Zipi Livni dem Premier übermittelt. (...) Wer immer in Jerusalem das Sagen hat - bis Ende diesen Jahres sollten Israel und die Palästinenser die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt haben, um substanzielle Friedensverhandlungen zu beginnen.'

LA REPUBBLICA aus Rom meint:

'Jetzt wird auch der politische Kampf neu entbrennen. Die rechte Opposition (Likud) und die linke Opposition (Meretz) könnten plötzlich in einer unbequemen Zusammenarbeit gemeinsam gegen Olmert vorgehen. Aber nur ein Aufruhr im Inneren der Kadima - der Partei des Ministerpräsidenten - könnte die Regierung zum Sturz bringen. Und dies ist eine Eventualität, an die zumindest im Moment noch niemand denkt.'

Abschließend schreibt LE MONDE aus Paris:

'Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Regierungschef Ehud Olmert (...) einen solchen Schlag politisch überleben kann - auch wenn er sich wie der Staatspräsident Mosche Katzav, gegen den die israelische Justiz ermittelt, um jeden Preis an die Macht klammern will. Dieser Widerstand ändert aber nichts an der wesentlichen Feststellung: Die israelische Politik ist nur noch ein Trümmerhaufen. (...) Ein Austausch des Regierungschefs, möglicherweise zu Gunsten von Außenministerin Zipi Livni (...), ist sicher möglich, um vorgezogene Neuwahlen zu verhindern, die bestimmt verhängnisvoll für Olmerts Kadima-Partei wären. Für die gesamte Region sind dies zweifellos schlechte Nachrichten.'


Themenwechsel: In der vergangenen Woche versetzte die estnische Regierung ein sowjetisches Kriegsdenkmal vom Zentrum der Hauptstadt Tallinn auf einen Militärfriedhof. Nach dem Abbau der Bronzestatue hatte es gewaltsame Proteste vor allem von Angehörigen der russischen Minderheit in Estland gegeben. Auch vor den estnischen Botschaften in Moskau und in Kiew kam es zu Demonstrationen.

Die schwedische Tageszeitung DAGENS NYHETER aus Stockholm kommentiert.

'Die Krawalle in der estnischen Hauptstadt Tallinn sind nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Die Lage des russischsprechenden Bevölkerungsteils ist seit langem bekannt. Kaum jemanden dürfte auch die enorme symbolische Bedeutung des umstrittenen Kriegsdenkmals entgangen sein. Die Frage stellt sich, ob es angemessen oder unnötig provokativ war, dieses Denkmal zu verpflanzen. Sicher ist, dass die Ereignisse der letzten Tage einen tragischen Rückschlag darstellen. Denn Estland war auf dem richtigen Weg. (...) Die Ereignisse sind auch ein Beispiel für die immer angespannteren Beziehungen zwischen der EU und Russland. Darauf sollte kein Mitgliedsland allein reagieren. Die Union braucht eine gemeinsame und zusammenhängende Russland-Politik.'

Der STANDARD aus Wien sieht nun die Europäische Union doppelt gefordert:

'Moskau könnten die Unruhen in Tallinn nicht gelegener kommen. Sie liefern Argumente für die Generallinie des Kreml, wonach Russland sich einer zunehmend feindseligen Außenwelt gegenüber sehe. Dass Mitglieder Kreml-treuer Jugendorganisationen jetzt die estnische Botschafterin in Moskau attackierten, ist ein weiteres Indiz der bedenklichen Entwicklung in Russland. Hier ist die EU doppelt gefordert. Sie muss Moskau in aller Schärfe klar machen, dass solches Vorgehen inakzeptabel ist. Und sie muss sich weit stärker als bisher für eine im besten Sinn europäische Lösung der Minderheitenprobleme im Baltikum engagieren.'

Die belgische Zeitung DE MORGEN aus Brüssel schreibt:

'Auf den Straßen mag die Ruhe zurückgekehrt sein, auf diplomatischem Feld wird dies vermutlich noch Folgen haben. (...) Wie dem auch sei, die Vorfälle der vergangenen Woche legen einmal mehr den Finger in eine klaffende Wunde: die der ethnisch russischen Minderheit in Estland - ein Viertel der 1,3 Millionen Einwohner, die sich seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 diskriminiert fühlen.'

Für das LUXEMBURGER WORT schließlich verheißt der Denkmalstreit zwischen Estland und Russland wenig Gutes für das künftige Verhältnis des Westens mit dem Kreml:

'Statt Diplomatie walten zu lassen, nutzt Moskau die Frage, um daheim auf der Klaviatur nationaler Emotionen zu spielen und übt sich in Schikanen gegen Estland. Gleichzeitig läuft die russische Propagandamaschine auf Hochtouren und stellt Estland unter Faschismus-Generalverdacht. Bedenklich ist Moskaus zunehmender Rückfall in vordemokratische Denk- und Vorgehensmuster: Äußerste Empfindsamkeit des russischen Bären paart sich mit massiven Einschüchterungsgebärden gegenüber vermeintlichen Feinden. Dies verheißt Ungutes für die Zukunft des Verhältnisses mit Russland.'