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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Reinhard Kleber1. Dezember 2007

Parlamentswahl in Russland

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Etwa 107 Millionen Stimmberechtigte sind an diesem Wochenende aufgerufen, ein neues russisches Parlament zu wählen. Die Abstimmung gilt nach Ansicht von Experten als Referendum für Präsident Wladimir Putin, der als Spitzenkandidat der Kremlpartei „Geeintes Russland“ antritt. Nach Umfragen kann die Partei wieder mit einer Zweidrittel-Mehrheit in der Duma rechnen. Die Wahl entlockte den Kommentatoren der internationalen Presse bereits im Vorfeld lebhafte Stellungnahmen.

Die französische Tageszeitung LIBÉRATION schreibt:

„Im Lande Wladimirs sind die Wahlen schon entschieden. Aus Übermut oder Arroganz hat die Putin-Jugend bereits drei Tage vor dieser schönen formal-demokratischen Pflichtübung das "überragende Ergebnis" des Präsidenten bejubelt. Die zerbrechliche Demokratie in Russland ist auf dem Rückzug. Das Wachstum Russlands, Grundlage von Putins Erfolg, beruht auf den schwindelerregenden Preissteigerungen bei Gas und Rohstoffen, die die Einkünfte der Oligarchen steigern und von Putin und seinen korrupten Kameraden gesichert werden. Im Namen der Gaslieferungen, die Europa Wärme bringen, verschließt der Westen die Augen. Doch die Opposition in Russland, die so hart unterdrückt wird, könnte sich in Zukunft umso deutlicher bemerkbar machen.“

Noch härter urteilt die Budapester Tageszeitung NEPSZAVA:

„Es ist leichter zu sagen, was es an diesem Sonntag in Russland nicht geben wird, als das, was es geben wird. Es wird keine Wahl geben. Die wahlberechtigten Bürger haben nämlich keine. Selbst die Propagandisten des Kremls sprechen neuerdings - sei es aus Zynismus und Machtarroganz, sei es aus verblüffender Offenheit - nicht von einer Wahl, sondern von einem Referendum. Einer Volksabstimmung zur Unterstützung Putins. Einer Art Aufwärmen für die Präsidentenwahl am 2. März nächsten Jahres, deren einziger wahrer Favorit gleichfalls Putin heißt. Was wir noch nicht wissen, ist, welche Form dieser Akt annehmen soll. Wird man ihn auf dem Eis des Moskwa-Flusses zum "ewigen Präsidenten" ausrufen?“

Auch die Tageszeitung DAGENS HYHETER aus Stockholm betrachtet die Parlamentswahl als eine Art Volksabstimmung über Putin und fährt fort:

„Die Führung im Kreml ist dabei, eine neue und doch auch alte Regierungsform für Russland einzurichten: die autoritäre. (...) Gegen die schwache Opposition werden Aufsehen erregende Aktionen durchgeführt. Gleichzeitig unterstellt man ihr ausländische Interessen. Gemeint sind amerikanische. Die Wahl erinnert an die Art von Abstimmung, wie General de Gaulle sie in Frankreich durchführen ließ. Er bat die Franzosen um ein Mandat. So macht es jetzt auch der Kreml und will ein Mandat mit mindestens 80 Prozent der Stimmen.“

Einen anderen historischen Vergleich zieht die britische Zeitung DAILY TELEGRAPH:

„Es trifft nicht ganz zu, den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Diktator zu nennen. Dazu ist er zu beliebt. Aber er ist auch nicht wirklich ein Demokrat. Er ist am besten als Bonapartist zu beschreiben. Ein Mann fürs Grobe, der auf das regelmäßige direkte Mandat vom Volk vertraut, unbeeinflusst von Parteien oder dem Parlament. Doch die Wahrheit ist, dass diese Mandate auf brutale Art und Weise abgesichert werden. Oppositionsführer werden bedrängt, die kritische Presse wird verboten.“

Mit Blick auf die Lage der Opposition meint der TAGES-ANZEIGER aus Zürich:

„Europa steckt nun im Dilemma: Es braucht Russland als Öl- und Gaslieferanten. Gleichzeitig wächst das Unbehagen vor dem autoritären Riesenreich. Da bleibt nur ein Ausweg: klare Worte. Die europäischen Regierungen dürfen die russischen Parlamentswahlen nicht als demokratisch anerkennen. Und sie müssen gegen die Verfolgung von Dissidenten protestieren - laut und öffentlich. Es ist klar, dass Mahnungen aus Europa nicht ausreichen, um aus Putin einen lupenreinen Demokraten zu machen. Doch duckmäuserisches Schweigen wäre fatal: Es würde die russische Führung nur ermutigen, die Schraube weiter anzuziehen. Zudem könnte es sich als Eigentor erweisen. Von einer Regierung, welche die Rechte ihrer Bürger mit Füßen tritt, kann man auch im Umgang mit ausländischen Staaten keine Manieren erwarten.“

Ganz anders bewertet DER STANDARD aus Wien die Lage. Für ihn ist Russland ein Koloss auf tönernen Füssen:

„Das System ist längst nicht so stabil, wie der Kreml glauben machen will. Wäre es anders, müsste der Präsident seine politische Zukunft nicht so in der Schwebe lassen - offensichtlich, um rivalisierende Fraktionen und Clans unterhalb der Kreml-Spitze unter Kontrolle zu halten, die auf ihre Stunde warten. Und er müsste nicht innen- wie außenpolitisch immer neue Feindbilder aufbauen und das (Zerr-)Bild eines Russland zeichnen, dessen Wiedererstarken der Westen mit allen Mitteln verhindern will. Das Aussetzen des KSE-Rüstungskontrollvertrages, ‚zufällig’ zwei Tage vor den Wahlen, ist sicher nicht der letzte Schritt auf diesem Weg, der die Russische Föderation in die Selbstisolation zu führen droht.“