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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Siegfried Scheithauer17. Februar 2008

Deutschland zwischen Integration und Assimilation

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Assimilation sei "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", erklärte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan vor 15.000 Landsleuten in Köln und löste damit heftige Reaktionen bei deutschen Politikern, Kirchen und Organisationen aus. Auch in den Nachbarstaaten wurde die Ausländerdebatte in Deutschland aufmerksam verfolgt.

Der Korrespondent der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz hat es so gesehen:

"Die unerwartet ehrliche Auseinandersetzung, die nicht von den sonst üblichen beschönigenden Formulierungen bestimmt wird, demonstriert zunächst, wie gründlich sich die deutsche Ausländerpolitik geändert hat. Vor wenigen Jahren beharrte die deutsche Mehrheitsgesellschaft noch darauf, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei und hielt die Fiktion einer Rückkehr der Türken in die alte Heimat aufrecht. (...) Das Ziel der Integration ist sinnvoll, doch das Problem besteht darin, dass die Objekte dieser Politik es nur eingeschränkt teilen. Mit ihren Moscheen, Koranschulen, Kulturvereinen hat sich eine ethnische Minderheit eine Parallelwelt geschaffen, die erstaunlich wenig Berührungspunkte mit der Mehrheitsgesellschaft aufweist."

Die Pariser Tageszeitung LE MONDE knüpft da an und schreibt:

"Die Türken in Deutschland fühlen sich immer noch als Bürger zweiter Klasse. Deutschland hat lange gebraucht, um die Vorstellung zu akzeptieren, dass seine Zuwanderer auf Dauer gekommen sind. (...) Heute spricht auch die CDU von Deutschland als Einwanderungsland. Doch die alten Klischees leben fort, wie es im Januar der mit fremdenfeindlichem Unterton geführte Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch gezeigt hat."

Das niederländische Blatt TROUW sieht wenig Gründe, so "krampfartig" auf die Erklärungen Erdogans zu antworten und geht ins Detail:

"Inhaltlich ist an Erdogans Worten eigentlich nicht viel auszusetzen. So gibt es kein Land in West-Europa, das ernsthaft daran denkt, seine Minderheiten vollständig zu assimilieren. Die Erhaltung der kulturellen und/oder religiösen Identität ist ein zentraler Wert der europäischen Demokratie. Ländern, die doch die Rechte von Minderheiten verletzen - so wie es die Türkei zum Teil noch mit den Kurden macht - bläst gerade von Europa aus der Wind entgegen. Erdogan verlangt gute Kenntnisse der deutschen Sprache von den Türken und ihre Teilnahme an der deutschen Politik. Er sieht die Türken als 'wesentliches Element' der deutschen Gesellschaft. Und das ist weder zu bestreiten noch zu rügen."

Das niederländische NRC HANDELSBLAD meint, der türkische Ministerpräsident hätte sich besser herausgehalten:

"Mit seinen umstrittenen Aussagen über Assimilation und Integration von Türken in Deutschland hat Erdogan seinem Land keinen guten Dienst erwiesen. Die Skepsis in Deutschland und anderswo in Europa gegenüber dem von Erdogan ihm gewünschten Beitritt seines Landes zur Europäischen Union wird dadurch nur vergrößert. (...) Wie sich Einwanderer und ihre Nachfahren in ihrem neuen Vaterland verhalten, ist ihre Sache und die dieses Landes."

Ähnlich fällt das Resümee der Wiener Zeitung DIE PRESSE aus:

"Der türkische Premier dürfte da etwas fundamental missverstanden haben. Niemand verlangt von Türken, dass sie ihre Identität bei der Einreise aufgeben. Sollen sie weiterhin Türkisch sprechen und ihre Kultur pflegen, wenn sie wollen. Warum aber soll es frevelhaft sein, wenn Türken sich mit der Zeit so sehr anpassen, dass ihre Wurzeln verblassen und sie Deutsche oder Österreicher werden, wie das vor ihnen Zehntausenden anderen Einwandererfamilien passiert ist? Es ist ja erfreulich, dass Erdogan nun den Auslandstürken empfohlen hat, besser Deutsch zu lernen. Doch er hätte ihnen auch raten sollen, endlich in Deutschland anzukommen."