1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

19. Januar 2002

Kanzlerkandidat aus Bayern / Regierungsbildung in Berlin / Rücktritt in Sachsen

https://p.dw.com/p/1jAS

Die Kanzlerkandidatur des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, die Bildung einer rot-roten Regierung in Berlin und die Rücktrittsankündigung des sächsischen Regierungschefs Kurt Biedenkopf waren in dieser Woche die herausragenden Ereignisse in Deutschland, die auch in der ausländischen Tagespresse kommentiert wurden.

Zur Nominierung des CSU-Vorsitzenden Stoiber zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU-Opposition meinte die französische Zeitung LE MONDE aus Paris:

"Mit Edmund Stoiber setzt die Christdemokratie darauf, dass Deutschland nach vier Jahren rot-grüner Koalition für einen wahren Rechtsruck reif ist. Die Umfragen, die erstmals Gerhard Schröder im Nachteil sehen, scheinen der Union Recht zu geben. In einer wirtschaftlich deprimierten Situation wird Stoiber an die Versprechen des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten von 1998 erinnern. So könnte sich die Wirtschaft zur Achillesferse des Bezwingers von Helmut Kohl entwickeln."

In der Zeitung LUUXEMBURGER WORT war zu lesen:

"Die Aura Schröders als Macher verliert nach und nach an Glanz. Und ausgerechnet jetzt präsentiert die Union in der Person von Edmund Stoiber einen politischen Musterschüler als Pendant. Einen Mann, den die Menge nicht unbedingt liebt. Der dagegen aber weit über die Grenzen des Freistaats hinaus geschätzt wird, wegen fachlicher Kompetenz und beispielhafter Prinzipienfestigkeit. Und nicht zu vergessen der praktische Erfolg seiner politischen Konzepte, der sich an der exemplarischen Entwicklung Bayerns ablesen lässt. Kandidat Stoiber ist alles andere als ein bequemer Gegner für Kanzler Schröder. Er ist eine klare Alternative. Da genügt es nicht, den Bayern als Spalter abzustempeln und in die (demokratische) Rechte Ecke zu drängen. Mit Stoiber streiten heißt, über Sachthemen reden. Möglichst konkret und im Detail. Und eben das liegt dem Kanzler nicht."

Der Kommentator der in Barcelona erscheinenden spanischen Tageszeitung LA VANGUARDIA schrieb:

"Bei der Entscheidung der Unionsparteien, mit Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten in die nächsten Wahlen zu ziehen, dürfte die Besorgnis erregende Wirtschaftslage in Deutschland den Ausschlag gegeben haben. Stoiber kann darauf verweisen, dass er mit Bayern das wirtschaftlich erfolgreichste Bundesland in Deutschland regiert. Er hat bewiesen, dass er Investoren vor allem aus dem Bereich der neuen Technologien anzulocken versteht. Der CSU-Mann wird allerdings auf erhebliche Vorbehalte im eher protestantischen Norden stoßen, wo die Politiker aus dem katholischen Süden schon immer besonders skeptisch betrachtet werden. Zudem steht Stoiber im Ruf, die Wählerschaft zu polarisieren. Dies dürfte vor allem im verarmten Osten ein Nachteil sein, wo die Wahlen voraussichtlich entschieden werden."

Themenwechsel: Die liberale österreichische Tageszeitung DER STANDARD ging auf die Beteiligung der PDS an der Berliner Stadtregierung ein:

"Die rot-rote Regierung in Berlin kann mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass die Spaltung überwunden wird - nicht nur der Stadt, sondern auch des Landes. Wenn dies gelingt, wäre Berlin ein positives Beispiel über die Staatsgrenzen hinaus. Berlin, das wegen seiner topographischen Lage als Drehscheibe zwischen Ost und West geradezu prädestiniert ist, kann in diesem Sinne ein Laboratorium für die europäische Einigung sein. (...) In Berlin muss jetzt angegangen werden, was in allen EU-Ländern nach der Aufnahme neuer Mitglieder bewerkstelligt werden muss: das Zusammenwachsen und das Herausbilden einer gemeinsamen Identität. Dass dies im Kleinen bisher nicht gelungen ist, zeigt, was im Großen noch auf uns zukommt."

Den gegenteiligen Standpunkt vertrat die rechtsliberale dänische Tageszeitung JYLLANDS-POSTEN aus Arhus:

"Die Kommunisten sind in Berlin wieder da. Natürlich nennen sie sich heute Sozialisten, weil der Kommunismus ein zu belasteter Begriff ist. Aber unbestreitbar ist, dass die neukommunistische PDS, ab jetzt ein Teil der Koalition von Bürgermeister Klaus Wowereit, überwiegend aus Altkommunisten besteht. Man behauptet, dass die neue Regierung die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland abbauen soll. Das Gegenteil ist richtig. Die PDS überlebt politisch nur so lange, wie sie diese Gegensätze am Leben erhalten kann. (...) Die Zusammenarbeit in Berlin erinnert in unangenehmer Weise an die Kameraderie der westdeutschen Sozialdemokraten mit dem Kasernenstaat DDR in den achtziger Jahren. (...) Der Senatsantritt in Berlin ist eine direkte Verlängerung des damaligen politischen und intellektuellen Versagens. Man setzt Macht über Freiheit. Gerade in Deutschland sollten verantwortliche Politiker es besser wissen."

Das niederländische unabhängige ALGEMEEN DAGBLAD aus Den Haag beschäftigte sich mit der Ankündigung des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, am 18. April zurückzutreten:

"Manche Enthüllung über seine Handelsweise kam aus der CDU. Man suchte Rache. Biedenkopf hat sich in den vergangenen 12 Jahren als Ministerpräsident viele Feinde gemacht. Wie ein Herrscher aus dem 19. Jahrhundert duldete er niemanden neben sich. Biedenkopf und vor allem auch seine Frau ließen sich feiern, als ob königliches Blut in ihren Adern flösse. Anfänglich waren viele Ostdeutsche begeistert von diesem 'Wessi'. Er gab ihnen Selbstvertrauen und ermunterte sie, sich nicht als Bürger zweiter Klasse behandeln zu lassen. Aber allmählich schlugen Bewunderung und Hochachtung in Hass und Verachtung um. Der tiefe Fall dieses fähigen Politikers erinnert an den tragischen Abgang von Alt-Bundeskanzler (Helmut) Kohl, der ebenfalls nicht wusste, wann er zu gehen hatte."

Ähnlich sieht es auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:

"Die Parallelen gehen so weit, dass man jetzt miterleben muss, wie Biedenkopf genau die gleichen Fehler begeht und seinen Abgang von der Bühne auf ähnlich tragische Weise vermasselt wie sein einstiger Mentor (Kohl). Zwar hätte er noch nicht zurücktreten müssen. Aber ein weiteres Verharren auf seinem Dresdner Thron hätte der Partei vermutlich so sehr geschadet, dass es zu einer ähnlichen Niederlage gekommen wäre wie im Falle Kohls gegen Schröder beim Bundestagswahlkampf von 1998. Biedenkopf hat in letzter Zeit jedes Maß für das Mögliche verloren und in einer Mischung von Selbsttäuschung und autistischer Verblendung und gütiger Mithilfe einer ehrgeizigen Gattin seinen Untergang inszeniert. Wie bei Kohl war der Missmut in Partei und Gesellschaft so weit gediehen, dass die großen Verdienste vergessen zu gehen drohten."