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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel23. Juni 2002

CDU-Parteitag in Frankfurt / Antisemitismus in Europa

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Der CDU-Parteitag in Frankfurt war in der ausländischen Tagespresse das meistkommentierte deutsche Ereignis dieser Woche. Das LUXEMBURGER WORT zog folgendes Resümee:

"Der bayerische Herausforderer setzt auf das gleiche Macher-Image wie Bundeskanzler Gerhard Schröder, nur dass Edmund Stoiber verspricht, es noch besser zu machen. Mit Stoiber an der Spitze verfügt die Union erstmals seit langem wieder über eine glaubwürdige Alternative zu einem Kanzler, dessen Kurs der ruhigen Hand als Politik der Taten- und Ideenlosigkeit daherkommt. Tatsächlich hat der bayerische Ministerpräsident der Opposition wieder neues Leben und Siegeswillen eingehaucht. Die Trendwende ist vor allem psychologischer Natur. Vergessen sind die Zerrissen- und Unentschlossenheit, die noch vor einem Jahr die Union zu lähmen drohten und sie als Alternative unglaubwürdig erscheinen ließen."

Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA stellte fest:

"Es herrscht der Wille zum Sieg in Frankfurt, die Zuversicht, die SPD zu entmachten, das Gefühl, an der Schwelle zur Macht zu stehen. Es ist eine CDU des Stolzes, die sich hier im postmodernen Messezentrum trifft, zwischen den Wolkenkratzern der Finanzmetropole und in einer fast römischen Hitze. Vorbei sind die Konflikte zwischen einzelnen Fraktionen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kommentierte:

"Die bürgerliche Opposition strotzt vor Siegeszuversicht. Dass viele Wähler nach Angaben der Demoskopen noch unentschlossen sind, ficht die Union nicht an, da man auf einer Woge der Zustimmung zu reiten glaubt und auch die Presse die Stimmung wiedergibt. Es muss sich allerdings noch zeigen, ob die bei Schröder kopierte Vorgehensweise, sich als Herausforderer ganz auf die Unzufriedenheit der Wähler mit der amtierenden Regierung zu verlassen, auch in der heißen Wahlkampfphase die gewünschten Resultate zeitigt."

Das britische Wirtschaftsblatt FINANCIAL TIMES gab einen anderen Aspekt zu bedenken:

"Stoibers CSU könnte den Fortschritt auch aufhalten. Die Partei hält sich etwas darauf zugute, ihre sozialen Werte zu verteidigen. Das mag die radikale Reform der Sozialgesetzgebung behindern, die viele Wirtschaftsexperten für erforderlich halten. Selbst wenn Stoiber am 22. September siegreich sein wird, werden diese Faktoren ohne Zweifel die Hoffnungen dämpfen, dass weitgehende Reformen in Deutschland nun unmittelbar bevorstehen."

Die Mailänder Zeitung CORRIERE DELLA SERRA befasste sich mit dem ersten Auftritt von Altkanzler Helmut Kohl bei einem Parteitag seit Bekanntwerden des Parteispendenskandals:

"Am Montagmittag ist Helmut Kohl für alle Zeiten zum Denkmal geworden. Die CDU, die er rund ein Viertel Jahrhundert lang unter seiner Fuchtel gehabt hatte, hat ihm die persönliche Ehre wiedergegeben, die er im Sumpf der Spendenaffäre verloren hatte. Und sie reihte ihn damit zugleich unter die Parteiikonen der Vergangenheit ein. Der Beifall der Delegierten hat ihren Willen zum Vergessen, zur Versöhnung, ja zur Wiedergutmachung besiegelt."

Die britische Tageszeitung THE TIMES ging auf Kohls Rede ein, insbesondere sein Plädoyer zur europäischen Integration und zu einer raschen Osterweiterung der EU:

"(...) wenn es um Europa geht, hat (Herr Kohl) nach wie vor Einfluss. Ganz offenkundig ist er besorgt, dass Edmund Stoiber wieder seine alten Anti-Brüssel-Tiraden anstimmen könnte und auf den Zug jener Politiker aufspringt, die beim Prozess der Osterweiterung jetzt eine Verzögerung fordern. (...) Die Delegierten fühlten sich jedoch nicht ganz wohl in ihrer Haut - weniger, weil ihn mal wieder die Rührung übermannte, etwa beim Thema Europa, als ihm die Stimme versagte. Nein, es war etwas anderes: Weder der Euro - dem Preissteigerungen angelastet werden - noch die EU-Osterweiterung oder eine stärkere europäische Integration sind Punkte, mit denen man in Deutschland Wahlen gewinnen könnte."

Zum Schluss noch ein Zitat aus der US-amerikanischen Zeitung THE WASHINGTON POST zum Thema Antisemitismus in Europa und zum Fall Möllemann:

"Traurige Wirklichkeit ist es, dass der Antisemitismus aus Europa nicht in dem Maße vertrieben ist wie der Rassismus aus den Vereinigten Staaten. Auch wenn heute kein ernst zu nehmender europäischer Politiker mehr die Diskriminierungen der Vergangenenheit und noch viel weniger den Völkermord der Nazis akzeptiert, so werden in Wahlkämpfen die alten Vorurteile dennoch wieder lebendig und können in der Debatte um den Nahen Osten einiges verdrehen. Möllemann hat diese Tatsache klar verstanden. Andere europäische Politiker täten gut daran, dies zur Kenntnis zu nehmen, statt es entrüstet zu leugnen."