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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

7. September 2002

UN-Gipfel in Johannesburg / Debatte über möglichen Angriff auf Irak

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In den Kommentaren der europäischen Tageszeitungen standen in dieser Woche der UN-Gipfel in Johannesburg und die anhaltende Debatte über einen möglichen Angriff der USA auf den Irak im Vordergrund.

Die liberale dänische Tageszeitung POLITIKEN zieht eine kritische Bilanz der UN-Konferenz in Südafrika:

"Beim Umweltgipfel in Johannesburg hat sich nur wenig echter Wille gezeigt, wirklich etwas gegen das für Arm wie Reich gleichermaßen bedrohliche soziale und umweltmäßige Gefälle auf der Welt zu tun. Das Missverhältnis etwa zwischen der schwulstigen und peinlichen Lyrik bei der Abschlussrede des französischen Präsidenten Chirac und der Weigerung des wohlhabenden Frankreich, zu besseren Handelsbedingungen für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern im Westen beizutragen, ist der vielleicht vielsagendste Ausdruck für die Heuchelei, die von den reichsten Ländern der Welt in Johannesburg praktiziert wurde."

Dagegen hebt die italienische Zeitung LA STAMPA aus Turin die positiven Ergebnisse hervor:

"Die Teilnahme am Protokoll von Kyoto seitens Russlands ist für die Europäer eine Streicheleinheit und ist gerade für das großzügige Deutschland, dessen energetische Verdienste (Bundeskanzler) Schröder hervorgehoben hatte, indem er sein Land als Klassenbester präsentierte, eine wohlwollende Geste. China lässt mit der Teilnahme vor den USA die Muskeln spielen. Europa ist zufrieden (...) und findet jetzt Alliierte für das zukünftige Kyoto-Abkommen."

Die konservative britische Zeitung THE TIMES sieht einen Grund für die mageren Gipfelergebnisse in der unzureichenden Vorbereitung:

"Es war niemals realistisch, sich solch eine allumfassende Tagesordnung zu setzen oder spezifische Ziele wie die Bereitstellung sauberen Wassers mit eher allgemeinen Themen wie Kohlendioxidemissionen, Entwaldung, bedrohten Tierarten und Energieverbrauch zu verbinden. Nachhaltige Entwicklung und die globale Umwelt haben in der Tat miteinander zu tun, aber wenn man sie in diffusen Zielen und utopischen Hoffnungen verbindet, dann führt das weder zu diplomatischer Tiefenschärfe noch zu finanziellen Verpflichtungserklärungen."

Auch die französische Tageszeitung LE MONDE setzt sich dafür ein, aus dem Gipfel Lehren zu ziehen:

"Erstens ist das Konzept von der so genannten nachhaltigen Entwicklung wie eine zu locker gepackte große Reisetasche. Das muss also zu Verpflichtungen führen, die folgenlos bleiben. Zweitens sind die Vereinten Nationen ein zu weit gefasster Rahmen, um das alles regeln zu können. Die Probleme, um die es geht, müssen systematisch geprüft werden - Umwelt, Wasser, Biovielfalt etc. - und zwar in ad hoc dafür gebildeten Institutionen. Und diese müssen präzise und gezielt vorgehen, ihre Ergebnisse dabei messbar sein."

Die französische Zeitung SUD-OUEST aus Bordeaux sieht in dieser Hinsicht vor allem die Europäer in der Pflicht:

"Sowohl im Süden als auch im Norden gibt es Gegner des Kyoto-Protokolls. Wenn der UN-Gipfel in Johannesburg und ähnliche Treffen einen Nutzen haben, dann liegt er darin, solche Meinungsverschiedenheiten zu Tage zu fördern. So wächst das Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel steht. Die unterschiedlichen Baustellen müssen klar abgesteckt werden. Letztlich müssen die Staaten zu ihrer Verantwortung stehen. Da kann sich kein einziger Staat davonstehlen, bloß weil ein anderer, wie etwa die USA, die Spielregeln nicht akzeptieren will. Unser Planet braucht dringend Pioniere. Warum sollte sich da Europa nicht hervortun?"

Themenwechsel: Zur Haltung Europas zum angedrohten US-Angriff auf den Irak merkt die sozialdemokratisch orientierte Zeitung DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden an:

"Für Europa gibt es nur zwei reale Möglichkeiten. Entweder schließen wir uns den Amerikanern an und sprechen mit ihnen über alles, was getan werden muss und wie es zu geschehen hat und was nach einem Angriff erforderlich ist. Oder wir distanzieren uns öffentlich und eindeutig von einem Angriff und beginnen mit Aufhebung der Sanktionen, damit sich die heutige Situation nicht fortschleppt. Wenn wir uns hinter Inspektionen verstecken wollen, ist dies so ungefähr die schlechteste Politik für den Irak, für die Region und für uns."

Dagegen meint die konservative französische Tageszeitung LE FIGARO, dass sich die Europäer dem Drängen der USA nicht entziehen können:

"Wer würde sich noch darüber täuschen? Der Krieg gegen den Irak hat bereits begonnen. Dabei handelt es sich natürlich nicht um die Militäroperation, zumal die Vorbereitungen noch lange nicht abgeschlossen sind. Aber es besteht kaum mehr ein Zweifel daran, dass (US-Präsident George W.) Bush einen Schlag gegen Saddam Hussein starten wird. Vorbei die Trauer über den 11. September und - wenn man es denn zu sagen wagt - der Präsident wird den Kongress, seine Verbündeten und die UN überzeugen müssen. Zumal die einen oder anderen noch Vorbehalte haben. Aber dieser Makel ist nicht unüberwindbar."

Im Hinblick auf die deutsch-amerikanischen Differenzen in der Irak-Frage betont die liberale österreichische Zeitung DER STANDARD:

"Sowohl (Kanzler) Gerhard Schröder als auch (US-Präsident) George W. Bush sprinten derzeit offenbar direkt in die politische Sackgasse. Bushs Kriegstrommeln tönen so laut, dass ein Rückzug ohne Gesichtsverlust kaum noch möglich ist. Und Schröders Ablehnung ist so explizit, dass sie ebenfalls keinen Rückzug mehr zulässt, zumindest nicht vor den deutschen Bundestagswahlen. (...) Weder in Washington noch in Berlin ist man sich darüber im Klaren, wohin die eigene Politik führen soll, beiden fehlt eine Exit-Strategie."

Für die konservative britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH schließlich gerät Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Irak-Politik unter wachsenden Druck:

"Die Tage, da (Premierminister) Tony (Blair) und Gerhard (Schröder) als gegenseitige Bewunderer über den 'dritten Weg' schwafelten, sind endgültig vorbei. In Washington und London muss man hoffen, dass der Herausforderer Edmund Stoiber einen atlantischeren Kanzler abgeben wird. Wenn Schröder gewinnt, dann wird Bush ihn zwingen müssen, Farbe zu bekennen. Er könnte darauf hinweisen, dass die Amerikaner und Briten, wenn sie eine schlimme Diktatur durch eine Demokratie ersetzen wollen, für die Iraker nur tun, was sie für die Deutschen schon getan haben."