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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel26. Oktober 2002

Neue Regierung - neuer Beginn?

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Am Dienstag dieser Woche wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder vom Deutschen Bundestag für eine zweite Amtszeit gewählt: Grund genug für Kommentatoren im europäischen und vor allem deutschsprachigen Ausland, das rot-grüne Regierungsprogramm kritisch unter die Lupe zu nehmen. Einhellige Meinung: Statt Euphorie wie im Jahr 1998 herrsche nun Depression, statt neuer Impulse gebe es lediglich die alten Rezepte.

So war in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zu lesen:

"Bundeskanzler Schröder setzt in seiner zweiten Amtszeit die vorsichtig lavierende Politik vor allem der letzten zwei Jahre fort. Zur dringend erforderlichen Sanierung des Gesundheitswesens, der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe macht der Koalitionsvertrag nur halbherzige Vorschläge. Die Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium entspricht zwar einer alten Forderung reformorientierter Kreise (...). Doch auch dieser Schachzug verpuffte angesichts einer umstrittenen Personalpolitik
weitgehend wirkungslos. Der Kanzler beließ die überforderte Gesundheitsministerin Schmidt im Amt und berief die ehemaligen Ministerpräsidenten Clement und Stolpe ins Kabinett, die als verbraucht und in ihren Ländern als nur mäßig erfolgreich gelten. So herrscht insgesamt der Eindruck vor, dass von der Regierung keine frischen Impulse ausgehen."

Ähnlich sah es ein anderes Schweizer Blatt, die BASLER ZEITUNG:

" ... das Regierungsprogramm, das Rot-Grün vorgelegt hat, geht vor den immensen Problemen in die Knie. Harte Schnitte, ein tiefer Strukturwandel und Fantasie beim Regieren: All dies fehlt. Das Kabinett von Gerhard Schröder (...) ist 792 Jahre alt. Somit bringt es jeder seiner künftigen Minister, den Chef mit eingerechnet, im Schnitt auf wackere 56,5 Jahre."

Die linksliberale dänische Tageszeitung INFORMATION aus Kopenhagen stellte resigniert fest:

"Neue Steuern und mehr Staatsverschuldung lauten die trostlosen Antworten von Kanzler Gerhard Schröder auf die deutsche Krise. Nach der Annahme des rot-grünen Regierungsprogrammes ist alles Gerede von großen gesellschaftlichen Reformen verstummt. Stattdessen setzt die Schröder-Regierung auf bekannte Instrumente. Deutsche Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen ein bisschen mehr bezahlen. (...) Statt das Krisenbewusstsein einer alarmierten Bevölkerung zur Durchführung schmerzlicher Umstellungen zu nutzen, die das Land auf lange Sicht wieder nach vorn bringen, will die Regierung so weiter machen wie bisher."

Die konservative österreichische Tageszeitung DIE PRESSE bemerkte:

"Die Euphorie währte nur kurz. Rasch holte die Realität die Regierung wieder ein. Die arbeits- und wirtschaftspolitische Tristesse ließ sich (...) nur für die Zeit des Wahlkampfs verschleiern. Deutschland im Herbst - ein Land in der Depression. (...) Gebraucht wird dringend eine Lichttherapie. Wenn die rot-grüne Koalition nicht zügig aus dem Nebel der Depression findet, wird sie spätestens bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen im Frühjahr die Rechnung präsentiert bekommen. Auf einen Vertrauensvorschuss von 100 Tagen wird Schröder diesmal nicht pochen dürfen."

'Wählertäuschung im großen Stil' titelte die liberale österreichische Tageszeitung DER STANDARD und schrieb:

"Die SPD und auch Grüne haben versäumt, die Wähler über das reale Ausmaß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor dem Urnengang in Kenntnis zu setzen. Den Vorwurf der Wählertäuschung müssen sie sich deshalb gefallen lassen. Denn (Bundeskanzler Gerhard) Schröder hatte versichert, mit ihm wären Steuererhöhungen 'nicht zu machen'. (...) Viele registrieren betroffen, dass sie sich haben betrügen lassen - auch die Medien im Wahlkampf. Deshalb überrascht der Stimmungseinbruch, mit dem die Regierungskoalition vier Wochen nach der Wahl konfrontiert ist, nicht."

Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA aus Mailand stellte fest:

"Wie schon vor vier Jahren wollte es Kanzler Schröder bei der Vereidigung wieder laizistisch und verzichtete auf die Formel 'So wahr mit Gott helfe'. Dabei wäre ihm Gottes Hilfe vielleicht ganz gut bekommen. (...) Sie werden ganz bestimmt schwierig, diese ersten Monate der zweiten rot-grünen Regierung. Während er mit der Wirtschaft beschäftigt ist, wobei er da sehr auf den Erfolg seines neuen Superministers Clement setzt, wird der Bundeskanzler zugleich reichlich in der Außenpolitik zu tun haben, von der Normalisierung der Beziehungen zu Amerika, die wegen des deutschen Neins zum Irakkrieg in der Krise sind, bis zur Europapolitik."

Zum Schluss die in Moskau erscheinende russische Tageszeitung NESAWISSIMAJA GASETA: Sie kommentierte die Probleme der neuen Regierung so:

"Es gibt viele Hinweise auf eine Neuausrichtung der Haushaltspolitik. Finanzminister Hans Eichel, bislang ein Geizkragen, muss offensichtlich sein Sparregime abschwächen. Die im neuen 'Superministerium' angekündigten Investitionsprogramme sind ohne zusätzliche Staatsanleihen nicht zu leisten. Deshalb muss man sich auch nicht wundern, wenn Deutschland, wie auch Frankreich und Italien, immer lauter Kritik üben an der 'künstlichen' Vorgabe der Europäischen Union, das Defizit im Staatshaushalt nicht über drei Prozent steigen zu lassen."