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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel6. September 2003

Chirac in Dresden / Erdogan in Berlin / Schröder in Prag / Schröder und Fischer geben nicht auf

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Die Kommentatoren der ausländischen Tagespresse beschäftigten sich einmal mehr mit der deutsch-französische Haltung zum Irak-Konflikt. "Weiter Seite an Seite" titelte die Mailänder Zeitung CORRIERE DELLA SERA nach dem Treffen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac in Dresden und stellte fest:

"Vom antiken Zwinger aus mit dem chinesischen Porzellan August des Starken und der von Canaletto gemalten herrlichen Aussicht auf die Elbe erneuern Schröder und Chirac die Entente cordiale, die sie schon bei ihrem Nein zum Irak-Krieg Seite an Seite vereint hat. Der neue amerikanische Vorschlag zur UN-Resolution, so sagen sie, signalisiert in der Tat nicht die entscheidende Wende in der Politik Washingtons in Richtung einer vollen Übertragung der Verantwortung auf die Vereinten Nationen sowie der Einsetzung einer irakischen Regierung in Bagdad, so wie Paris und Berlin es verlangen. (...) Allerdings, was genau zu beobachten ist, Chirac hat auch in Dresden eine Entsendung französischer Truppen in den Irak nicht kategorisch ausgeschlossen. Während der Kanzler bei seinem klaren Nein zu jeder Beteiligung deutscher Soldaten bleibt."

Die niederländische Tageszeitung DE VOLKSKRANT kommentierte:

"Die Amerikaner wollen das militärische Kommando über die Stabilisierungsmacht behalten. Dies ist auch wünschenswert, weil sie die meisten Soldaten stellen. Chirac und Schröder haben zu erkennen gegeben, dass nach ihrer Ansicht die UN politisch viel mehr mitreden müssen über die politische, wirtschaftliche und soziale Seite des Wiederaufbaus im Irak. In diesem Punkt muss Bush Konzessionen machen. Das Wichtigste ist aber, dass niemand zulässt - nicht Bush, nicht Chirac und nicht Schröder - dass Überbleibsel der Moslem-Terroristen aus dem Regime von Saddam Hussein im zweiten Durchgang doch noch den Krieg gewinnen."

Die belgische Zeitung LE SOIR aus Brüssel sah es so:

"Das deutsch-französische Tandem hält durch und punktet! Das 'alte Europa', von dem (US-Verteidigungsminister Donald) Rumsfeld abschätzig sprach, hat sein letztes Wort noch nicht gesagt. Und es ziemt sich, Paris und und Berlin das Verdienst der Übereinstimmung zuzuerkennen. (...) Die irakischen Massenvernichtungswaffen und die Verbindungen zwischen Saddam Hussein und El Kaida, diese von Washington und London hauptsächlich vorgebrachten Kriegsmotive, haben sich noch nicht bestätigt. Und die Besatzung wird bekanntlich zum Problem. Mehr war für manche nicht nötig, um zu ihrer ursprünglichen Übereinstimmung zurückzukehren: Die Vereinten Nationen sollen die Rolle eines Motors beim Wiederaufbau erhalten, und die Iraker sollen die Kontrolle ihres Land so schnell wie möglich selbst übernehmen."

Der Kommentator der französischen Regionalzeitung DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE schrieb:

"Für Deutschland und Frankreich geht die neue Resolution der USA noch nicht weit genug. In Wirklichkeit wird in Paris und Berlin in diplomatischer Weise über die Antworten beraten, und zweifellos werden demnächst Verhandlungen beginnen. Das Schlusskapitel der Irak-Krise ist noch nicht geschrieben, dennoch kann man bereits eine Lehre daraus ziehen: Die Politik von (US-Präsident) Bush hat versagt, denn selbst die mächtigste Militärmacht der Welt kann sich nicht zum Weltpolizisten aufspielen, und auch nicht zum Polizisten eines Landes mit über 23 Millionen Menschen."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN gingen auf den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin ein. Zur ablehnenden Haltung der CDU/CSU-Opposition zu einem EU-Beitritt der Türkei meinte das Blatt:

"Der deutsche Streit über einen EU-Beitritt der Türkei gibt sich staatsmännisch, setzt aber nur die Heuchelei von einst fort. Eine seriöse Debatte über "Europas Grenzen" ist bisher nicht geführt worden. Diese jetzt beim Thema Türkei zu entfachen, offenbart nur den Hintergedanken, Wähler-Emotionen zu wecken und damit die Türken draußen zu halten. Erneut soll suggeriert werden, die Aufnahme der Türkei in die EU stünde unmittelbar bevor. Dabei geht es erst einmal um den Beginn langwieriger Beitrittsgespräche. (...) Ganz und gar verlieren die Bedenkenträger das große Ganze aus den Augen. Eine in Europa verankerte Türkei könnte das Albtraum-Szenario einer Konfrontation zwischen westlicher und islamischer Welt widerlegen und zum Modernisierungs-Modell für die Muslim-Nationen werden."

Zum Besuch des Bundeskanzlers am Freitag in Prag bemerkte die tschechische Tageszeitung MLADA FRONTA DNES:

"Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind entschieden besser als ihr Ruf. Wir sollten aufhören, Gefangene einer Geschichte zu sein, die wir zwar nicht vergessen, aber die wir, im Gegensatz zum erweiterten Europa, nicht mehr beeinflussen können. Die unendlichen Reden über das Unrecht der Vertreibungs-Dekrete von Präsident Edvard Benes und über die Notwendigkeit, sie aufzuheben, sollten von einem ruhigen Gespräch ohne Ultimatum abgelöst werden. Deutsche und Tschechen sollten mit einem Dialog darüber beginnen, was sie erwartet. Schreiben wir lieber die Geschichte unserer gemeinsamen Zukunft."

Zum Schluss ein Zitat aus der FINANCIAL TIMES. Die in London erscheinende Wirtschaftszeitung befasste sich mit der Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer, bei der Bundestagswahl im Jahr 2006 wieder anzutreten und meinte:

"Es wäre eine Katastrophe, wenn Schröder erneut - wie vor den Wahlen im vergangenen Jahr - die Reformen aus wahltaktischen Gründen zurückstellen würde. Dadurch, dass Schröder und Fischer ihre Ziele so frühzeitig erklärt haben, sind sie der konservativen Opposition weit voraus. Sie wird vermutlich noch bis 2005 tief zerstritten bleiben. Die größte Gefahr für Deutschland aber ist, dass die Umsetzung der Reformen durch politisches Taktieren verhindert wird. Es wäre eine Tragödie für Deutschland und die EU insgesamt, wenn sich die Parteien in Deutschland trotz breiter Übereinstimmung nicht auf die Erfüllung des Reformprogramms einigen könnten. Zumindest haben Schröder und Fischer von ihrer Seite aus die Unsicherheiten bereinigt."