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Radio im Netz

Stefan Mey25. Februar 2014

Etwa 20 Millionen Deutsche sollen regelmäßig Webradio hören, Tendenz steigend. Nachdem das Internet bereits die Zeitungsbranche auf den Kopf gestellt hat, könnte nun die Radiolandschaft dran sein.

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Webradios in Deutschland
Olaf und Edgar on Air: "Sie hören: Radio Flora mit 'It don't mean a thing if it ain't got no swing'"Bild: Radio Flora

Je nach Studie schwanken die Zahlen - dennoch sind gut 20 Millionen Hörer ein beachtliches Publikum fürs Radio aus dem Netz. Was aber wird eigentlich gehört? Tausende unabhängige Webradios, die den klassischen Radio-Goliaths publizistisch und musikalisch Konkurrenz bieten?

Nicht wirklich. In den Top 10 der am meisten gehörten Webradios finden sich die Internetversionen sechs großer terrestrischer Sender wie Antenne Bayern oder 89,0 RTL. Außerdem sind mit Anbietern wie Spotify, Soundcloud und Myspace individualisierte digitale Jukeboxen dabei. Dort kann man sich seine eigenen Musiklisten zusammenstellen - Wortanteile, sprich: publizistische Relevanz gleich Null.

Auf dem vierten Platz aber wird es interessant. Sieben Prozent aller Befragten gaben an, dass sie Radio.de genutzt haben. Auf dieser Webseite sind Audiostreams aufgelistet. Und hier finden sich neben den großen Sendern viele kleine und kleinste Stationen. Alle docken sich hier an, um so an zusätzliche Hörer zu kommen. Zwar wird auch das Ranking von Radio.de von den klassischen Sendern mit ihren jeweiligen Streams angeführt, aber viele Nutzer stoßen hier auch auf kleine Nischensender, an denen sie hängen bleiben.

Eine Übersicht über die kleinen Web-Stationen liefert eine Liste der GEMA. Etwa 1.300 von ihnen haben sich bei der Verwertungsgesellschaft lizensiert, sonst könnten sie kaum Musik spielen. Und so handelt es sich bei vielen kleinen Webradios um reine Abspielstationen für Schlager, Mainstream-Pop oder Elektromusik, bei denen sowas wie Journalismus nicht stattfindet.

Radio aus dem Underground

Einige publizistisch oder musikalisch ambitionierte Perlen finden sich aber dennoch. Eine solche Perle ist Punkrockers-Radio. Einer der Macher, Stefan Matthäus, nennt es einen klassischen Do-it-Yourself-Sender im Internet. "Es ist ein loser Verbund von Leuten aus ganz Deutschland, die Punkrock lieben und sich über das Medium Radio, die Musik und die Projekte, die sie interessieren, Gehör verschaffen." Reine Textsendungen gibt es nicht, aber immer wieder Livesendungen mit Studiogästen und Musik.

Knapp 20 Leute sind am Sendebtrieb beteiligt. Matthäus selbst ist seit fünf Jahren dabei. Der langjährige Punkrock-Fan hat hier das passende Medium für sich gefunden, in dem er ohne jegliche Restriktionen moderieren und senden kann. Auch kleine Gimmicks sind drin: Besucht man die Webseite von Punkrockers Radio, wird der Maus-Zeiger zum ausgestreckten Mittelfinger.

14 Stunden Slang

Auch der Gründer von SLANG Radio, das über die Lebenswelten von Behinderten berichtet, schätzt die Freiheiten des Verbreitungskanals Internet. Der ursprünglich aus Luxemburg stammende Sascha Lang, selbst blind, ging Anfang 2010 auf Sendung. Lang ist Radioprofi. Für RTL Radio Lëtzebuerg - ein Hörfunkprogramm in luxemburgischer Sprache - liefert er regelmäßig Reportagen und Berichte zu Behindertenthemen.

Webradios in Deutschland
SLANG-Chef Sascha Lang mit Popsänger Thomas GodojBild: Sascha Lang

Mit SLANG Radio konnte er schließlich sein eigenes Programm gestalten. Gesendet wird rund um die Uhr. Zwischen elf und 14 Stunden moderiertes Programm gibt es pro Tag, eine Mischung aus Nachrichten, Magazinbeiträgen und Musik. Die elf Moderatoren senden meistens von einfachen Homestudios am eigenen Rechner aus. Als Reporter ist Sascha Lang oft auf großen Veranstaltungen unterwegs und holt sich Prominenz ans Mikrofon.

Ambitionierter Bürgerfunk aus Hannover

Eine ganz andere Geschichte hat Radio Flora aus Hannover, ein Bürgerradio mit etwa 60 Sendungen. Magazine mit hohem Wortanteil sind dabei, aber auch viele ambitionierte Musikspecials. Außerdem gibt es Sendungen in mehreren Fremdsprachen, darunter persisch, spanisch und griechisch. Die Themen reichen vom klassischen Bürgerfunk, wo es etwa um Straßennamen geht - bis hin zu verschiedenen Satiremagazinen.

Radio Flora hat von 1997 bis 2009 über eine UKW-Frequenz terrestrisch gesendet. Die Frenquenz lief 2009 aus und wurde von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt nicht verlängert. Das hatte parteipolitische Gründe, glaubt Ulrich Zerwinsky, einer der beiden Sendekoordinatoren: "Wir waren ja ein Kind der damaligen rot/grünen Landesregierung. Die spätere CDU-geführte Landesregierung hat Radio Flora eine neue UKW-Lizenz schließlich verweigert." Als Konsequenz ist Radio Flora einfach ins Internet umgezogen und hat versucht, die Zuhörer mitzunehmen.

Quote ist kein Existenz-Kriterium

Inwiefern das gelungen ist, will Zerwinsky nicht verraten, Hörerzahlen nennt er nicht. Da Radio Flora aus guten alten UKW-Tagen noch viel Bekanntheit mirbringt, dürften die aber weitaus höher sein als bei den anderen beiden Stationen: Punkrockers-Radio hat laut Matthäus einen Tagesdurchschnitt von 15 Hörern, gegen Abend sind es eher 20. Sein persönlicher Rekord war ein Interview mit der Punkrock-Band Itchy Poopzkid: Knapp 70 hörten zu. Das durchschnittliche Streaming-Publikum einer SLANG Radio-Sendung schätzt Sascha Lang auf 20 bis 30. Spitzenreiter war eine Ausgabe des sonntägliches Kinderformats Slang Kids, die kam auf 380 Zuhörer.

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Bürgerfunk wie er im Buche steht: Radio Flora interviewt eine örtliche BetriebsrätinBild: KH Röder/ DGB-KulturAK

Mit anderen Worten: Quote ist nicht das entscheidende Kriterium, und Geld sowieso nicht. Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich. Die Einnahmen decken im besten Fall die Kosten. Punkrockers-Radio finanziert sich nur über Spenden, wobei diese meistens von den Moderatoren selbst kommen. Sascha Lang von SLANG Radio nimmt monatlich etwa 200 Euro durch Werbung und Kooperationen ein. Trotz der Einnahmen steckt Lang teilweise noch eigenes Geld in den Sender. Radio Flora finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge des Radio-Trägervereins sowie durch Spenden und ist komplett werbefrei.

So verschieden sie sind: Die meisten kleinen Webradios sind reine Hobbyprojekte, die mit kleinsten Mitteln im heimischen Wohnzimmer entstehen. Stefan Matthäus geht seiner Liebe zum Punk nach und freut sich, dass er bei Punkrockers Radio machen und senden kann, was er will. Radio Flora hat die staatliche Sendelizenz verloren und im Internet publizistisches Asyl gefunden. Und Sascha Lang wollte irgendwann nicht mehr nur Radiobeiträge für andere machen: "Ich wollte nicht nur einzelne Reportagen und Berichte für andere erstellen, sondern auch selbst moderieren und selbst senden. Und ich habe gemerkt, dass das im Internet erstaunlich leicht möglich ist."

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Damit man gleich weiß, wo es lang geht: Sticker und Buttons vom Punkrockers RadioBild: Punkrockers Radio