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Literatur

"Unsere Freiheiten nutzt auch der IS"

Stefan Dege19. November 2015

Nach dem Anschlag auf das Pariser Magazin "Charlie Hebdo" im Januar brachte der Aladin-Verlag "Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit" heraus. Verleger Klaus Humann über den Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit.

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Deutschland Buchcover Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit Ausschnitt

29 namhafte Illustratoren aus der ganzen Welt hatten sich an dem Buchprojekt beteiligt, darunter so bekannte wie Jutta Bauer, Nikolaus Heidelbach und Axel Scheffler, aber auch Ole Könnecke, Christoph Niemann, Philip Waechter, Barbara Yelin und andere. Viele sind Träger des Deutschen Jugendliteraturpreises. Von Deutschland, Frankreich und England über die USA bis nach Australien spannte sich die Künstlerpalette. Im Vorwort des Büchleins heißt es: "Wir brauchen eine offene Gesellschaft wie die Luft zum Atmen. Wir brauchen den Respekt voreinander, gleich welcher Überzeugung, Religion, Herkunft oder Hautfarbe".

DW: Herr Humann, ist jetzt, nach den neuerlichen Anschlägen in Paris, nicht nur die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern unsere Kultur, unsere Lebensart, unsere Freiheit insgesamt?

Deutschland Verleger Klaus Humann
Verleger Klaus HumannBild: Julia Zenk

Klaus Humann: Das hätten die gerne, ja. Nur noch zuhause sitzen und ferngucken, das kann nicht die Alternative sein. Unsere Freiheit ist gefährdet, aber nicht in Gefahr.

Neuerdings macht ein Cartoon Karriere. Er zeigt einen von Kugeln zersiebten Franzosen mit Sektglas in der Hand. Darunter steht: "Ihr habt die Sturmgewehre, wir den Champagner!" Ist das die passende Antwort auf den Terror?

Das war das Titelblatt von "Charlie Hebdo". Wenn die Charlie Hebdo-Leute meinen, das sei die passende Antwort, dann müssen sie das so zeichnen. Charlie Hebdo macht sich seit Jahrzehnten über Religion lustig, bis hin zu Kränkungen. Das ist der Test für die Meinungsfreiheit – auszuhalten, dass es Leute gibt, die mir vollständig gegen den Strich gehen, die eine absurde Meinung haben, die Positionen vertreten, die Du überhaupt nicht aushalten kannst. Aber Du willst und musst sie aushalten, denn irgendwann wirst auch Du eine Meinung haben, die anderen nicht gefällt. Und dann möchtest Du auch gehört werden.

Zur Meinungsfreiheit gehört freilich, dass man reflektiert: Wo hört die Meinungsfreiheit auf? Wo fängt es an, dass ich andere verletze oder kränke? Aber das kann man nicht verordnen, sondern nur sich selbst vornehmen. Das ist nicht Selbstzensur, sondern Respekt. Und das ist mindestens genauso schwierig wie abstruse Meinungen zu ertragen.

Frankreich Charlie Hebdo Titelseite
Titelbild von Charlie Hebdo im November 2015Bild: picture-alliance/epa/Charlie Hebdo

Nun herrscht Ausnahmezustand in Frankreich, in Hannover wurde vor wenigen Tagen das Länderspiel Deutschland - Niederlande abgesagt. Sicherheit ist das Wort der Stunde. Machen wir uns jetzt daran, unsere Freiheit selbst zu beschneiden?

Für die Absage des Länderspiels gab es sicherlich gute Gründe. Dass man bei Großveranstaltungen überlegt, ob das Risiko tragbar ist, ist okay. Was jeder Einzelne macht und für sich entscheidet - zum Beispiel, den Sommerurlaub in Ägypten zu verbringen - das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Jeder hat das Recht, sich in Gefahr zu begeben. Aber vom Staat erwarte ich schon, dass er mir Hinweise gibt. Wie ich damit umgehe, bleibt meine Sache.

Der Staat muss die Freiheit verteidigen, indem er sie seinen Bürgern beschneidet?

(lacht) Ich denke nicht, dass der Staat meine Freiheit beschneidet, wenn ich nicht zu einem Länderspiel gehen kann. Wenn ich permanent nicht zu Länder- oder Bundesligaspielen gehen könnte, wäre das ein Problem. Aber wozu gibt es den Sicherheitsapparat? Es gibt ihn nicht dafür, dass er uns ausspitzelt. Es gibt ihn, weil er uns schützt. Und das finde ich richtig.

Überwachung der sozialen Netzwerke, unserer Telefone – ist das keine Einschränkung von Freiheit?

Doch, natürlich ist das eine Einschränkung von Freiheit. Und das ist eine furchtbar schwierige Abwägung: Der IS nutzt die Sozialen Netzwerke für seine Propaganda. Uns muss eben auch klar sein: die Freiheit, die wir genießen, kann auch von anderen genutzt werden, ob von Pegida, dem IS oder wem auch immer. Eine ganz schwierige Vorstellung.

Freiheit und Sicherheit – beides sind hohe Werte unserer Gesellschaft. Müssen wir die jetzt neu austarieren?

Das passiert ja schon. Die Diskussion über soziale Netzwerke gibt es schon länger, etwa die Frage: Warum kann darüber rechtsradikales Gedankengut verbreitet werden? Warum zensiert Facebook jeden nackten Busen, aber nicht den Verkauf von Wehrmachts-Kreuzen? Im Zweifel müssen wir mehr ertragen, als wir ertragen wollen, um das, was wir uns erkämpft haben, zu erhalten. Das ist manchmal schwer durchzuhalten.

Herr Humann, werden Sie jetzt ein neues Buch herausbringen, das da heißt: "Zeichner verteidigen die Freiheit"?

Nein. Unser Buch hat ja nichts an Sprengkraft und Aktualität verloren. Wir haben gerade dem PEN (internationaler Schriftsteller-Verband, Anm. d. Red.), dem alle Erlöse des Projekts zufließen, für sein "Writers-in-Prison"-Programm 30.000 Euro überwiesen. Aber wenn es sich irgendwie anbietet, dieses Thema in Form einer Geschichte oder eines Bilderbuches zu verarbeiten, würde ich das gerne machen. Ich fürchte, dass uns das Thema erhalten bleibt.

Das Gespräch führte Stefan Dege.

Klaus Humann leitet den Aladin Verlag in Hamburg und ist Herausgeber des Buches "Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit".