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'Es gibt alle Formen'

3. Dezember 2011

Peter Schatzer, Kabinettsdirektor der Internationalen Organisation für Migration in Genf, erklärt, wie Menschenschmuggler arbeiten – und warum der Kampf gegen das Geschäft so schwierig ist.

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Peter Schatzer (Foto: IOM)
Peter SchatzerBild: IOM

DW-WORLD.DE: Rund 4,5 Millionen Menschen leben nach EU-Schätzungen ohne Papiere in Europa. Auf welchen Wegen kommen sie?

Peter Schatzer: Den Großteil der irregulären Migranten sieht man nicht. Die kommen mit gefälschten Dokumenten oder mit einem Touristenvisum; andere kommen mit Schleppern über die grüne Grenze. Die meisten kommen also in Bussen, in Eisenbahnzügen, mit Flugzeugen oder versteckt in Lastwagen oder Containern. Das ist weniger plakativ als ein kleines Fischerboot, das mit 300 Leuten eine europäische Mittelmeerinsel erreicht. Doch die Bootsflüchtlinge - selbst wenn das 20.000 oder 40.000 im Jahr sind - machen nur einen Bruchteil der irregulären Migration aus.

Welche Rolle spielen dabei Schlepper?

Weil die Kontrollen so streng geworden sind, wäre es den meisten Menschen ohne Schlepper unmöglich, die Grenzen oder das Meer zu überwinden. Man braucht irgendjemanden, der einem den Platz auf dem Schiff verkauft oder der einem Tipps gibt, wo und wie man über die Grenze kommt. Diese Dienstleistungen werden von den Schleppern angeboten und von den Migranten nachgefragt. Sie erfüllen also eine Marktfunktion.

Wie arbeiten Schlepper?

Es gibt alle Formen. In Asien gibt es regelrechte Reisebüros, die vom falschen Pass zum falschen Visum alles organisieren; das kann 10.000 bis 20.000 Euro kosten. Die meisten können sich eine solche Luxusschleusung nicht leisten und viele sind auf Leute angewiesen, die ihnen über die grüne Grenze helfen. Manche armen Teufel müssen sich jeden Kilometer irgendwie verdienen. Die machen sich zum Beispiel in Afghanistan mit ein paar hundert Dollar in der Tasche auf den Weg und versuchen, unterwegs Geld zu verdienen, um das nächste Verkehrsmittel bezahlen zu können. Die Bandbreite ist also sehr groß.

Das gilt vermutlich auch für die Zuverlässigkeit der Schleuser…

Zum Teil ist es äußerst grausam, was da getrieben wird. Es gibt zwar die, die gute Dienste anbieten, aber es gibt auch die, die nur das Geld abkassieren und nichts liefern - oder die Leute sogar dem Tod ausliefern. Wir haben auch immer wieder von Fällen gehört, in denen Leute de facto als Sklaven gehalten wurden, um das Geld für die Schleusung abzuarbeiten.

Gibt es demnach Berührungspunkte zum Menschenhandel?

Natürlich gibt es die, weil irreguläre Migranten aufgrund ihrer Verwundbarkeit oft zu Opfern werden. Für die Zwangprostitution werden sehr häufig die Opfer aus armen Ländern ausgewählt, die sich teilweise mehr oder weniger bewusst darauf einlassen, als Prostituierte zu arbeiten - aber nicht erwarten, dass sie misshandelt und wie Gefangene gehalten werden. Zwangsarbeit existiert aber nicht nur im Bereich der sexuellen Ausbeutung, sondern auch im landwirtschaftlichen Bereich oder bei Haushaltshilfen.

Es wird immer wieder die Forderung erhoben, Schleppern das Handwerk zu legen…

Wenn Herkunfts-, Transit- und Zielländer zusammenarbeiten, lässt sich die illegale Migration eindämmen – das zeigt das Beispiel der Kanarischen Inseln. Doch sobald eine Route blockiert ist, finden erfinderische Schmuggler eine neue. Profit ist der Hauptbeweggrund und wenn die Kontrollen strenger werden, steigen auch die Preise. Man kann damit in einem relativ armen Land wie Marokko mit geringem Kapitalaufwand - man kauft ein altes Boot und muss vielleicht noch in Schmiergelder und ein Satellitentelefon investieren – in einigen Wochen mehrere hunderttausend Euro verdienen. Die eigentlich interessante Frage aber ist: Warum nehmen so viele das Risiko auf sich? In Ägypten etwa haben wir es erlebt, dass die Leichen, die aus dem Meer gefischt worden waren, mit Bussen zurückgebracht wurden. In diese Busse stiegen dann andere Jugendliche ein, um es auch zu versuchen. Die Menschen kennen die Risiken genau und sagen: "Ich versuch's trotzdem."

Peter Schatzer ist Kabinettsdirektor der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Genf. Bis zum vergangenen Jahr war er Leiter Regionalbüros Mittelmeer in Rom. Die Hilfsorganisation ist weltweit mit 7000 Mitarbeitern an mehr als 2000 Projekten beteiligt.

Das Gespräch führte Dennis Stute
Redaktion: Andrea Grunau