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Politik

Iraks Premier und Irans Hoffnungen

18. April 2020

Nach Monaten hat der Irak mit Mustafa Kadhemi wieder einen neuen Ministerpräsidenten. Die Personalie wurde im benachbarten Iran aufmerksam beobachtet. Denn die Regierung in Teheran verfolgt im Irak mehrere Interessen.

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Irak Präsident Barham Salih und der neue Premierminister Mustafa al-Kadhimi
Bild: Reuters/The Presidency of the Republic of Iraq Office

Es ist geschafft: Der Irak hat wieder einen neuen Ministerpräsidenten. Rund vier Monate war der Posten vakant, zwei Kandidaten hatten sich an der Regierungsbildung versucht und waren beide gescheitert. Nun aber soll er übernehmen: der Journalist und ehemalige Chef des irakischen Geheimdienstes, Mustafa Kadhemi. Zuvor hatten sich Vertreter der schiitischen, sunnitischen und kurdischen Parlamentsfraktionen auf Kadhemi geeinigt.

Mit Khademi scheint nun der seit langem gesuchte Kompromisskandidat gefunden. Dieser muss das Kunststück vollbringen, nicht nur den Vorstellungen nationaler, sondern auch internationaler Akteure zu entsprechen. Sowohl die USA als auch Iraks größter Nachbar, der Iran, hatten den Prozess um die Nominierung des neuen Premiers aufmerksam verfolgt.

Beide Staaten können sich mit der nun gefundenen Person offenbar anfreunden. Wenn Kadhemi sich als "irakischer Nationalist" erweise, der auf einen "souveränen Irak" hinarbeite, sei das "sehr gut" für den Irak und für die bilateralen Beziehungen, erklärte David Schenker, der für den Nahen Osten zuständige Staatssekretär im US-Außenministerium.

Auch aus dem Iran kamen positive Signale. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Abbas Mousavi, begrüßte "den zwischen den politischen Gruppen des Irak erzielten Konsens". Der Iran betrachte diese Entscheidung als "Schritt in die richtige Richtung".

Iran Esmail Ghaani
Iranischer Kommandeur Esmail Ghaani war im Irak zu BesuchBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/Khamenei.Ir

Besuch aus Teheran

Wie schwierig und zäh der Einigungsprozess der vergangenen Monate verlief, deutete Khademis Vorgänger als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Adnan al-Zurfi, an. Er begründete seinen Rückzug mit "nationalen und fremden Fragen".

Al-Zurfi hatte seine Bewerbung am 9. April zurückgezogen. Wenige Tage zuvor war Esmail al-Ghaani, Kommandeur der iranischen Al-Quds-Einheiten, die zu den Revolutionsgarden gehören, und Nachfolger von Qassem Soleimani, der bei einem Besuch im Irak von den USA getötet worden war, in Bagdad zu Besuch. "Der Iran wird sich weder in die inneren Angelegenheit des Irak noch in die Wahl des Premierministers einmischen", hatte Ghaani nach Darstellung des irakischen Parlamentariers Hossein Fadaam erklärt.

Iranische Einflussnahme?

Nicht alle sehen das so. Der Besuch in Bagdad sei für Ghaani ein erster Test, in dem er zu erkunden versuche, ob es ihm gelinge, die schiitischen Fraktionen des Irak auf eine gemeinsame Position zu einigen, zitiert der Nachrichtensender Al-Jazeera einen hohen irakischen Beamten, der allerdings auf Anonymität bestand. Der theokratische Iran wird von schiitischen Geistlichen geführt. Im Irak machen Schiiten etwa 60 Prozent der Bevölkerung aus.

Ähnlich sieht es auch der Irak-Experte Renad Mansour vom britischen Think Tank "Chatham House". Der Rückzug al-Zurfis und die Ernennung von Kadhemi zeige eines, zitiert ihn der Nachrichtensender Al-Jazeera: "Der Iran ist noch in der Lage, zurückzuspringen, wenn es so scheint, als befinde sich das Land am Rande einer Niederlage."

Irak Proteste gegen USA
Großkundgebung im Irak gegen die USABild: AFP/A. al-Rubaye

In diese Richtung argumentiert auch das mit der Politik im Nahen Osten befasste Internet-Magazin Al-Monitor. Ghaanis Erklärung könne als Eingeständnis verstanden werden, dass die Entwicklung im Irak für den Iran von höchster Bedeutung sei. Die beiden Länder hätten nicht nur eine gemeinsame lange Grenze und tiefe religiöse und kulturelle Bindungen. "Außerdem konzentrierte sich der Iran seit der US-Intervention von 2003 darauf, seinen Einfluss im Irak auszubauen und die Bildung einer ihm feindlichen Regierung wie die des früheren Präsidenten Saddam Hussein zu vermeiden, der den Iran überfiel, was zu einem acht Jahre dauernden Krieg führte, der Hunderttausende Menschen das Leben kostete."

Dieser vom September 1980 bis zum August 1988 dauernde Krieg ist ein Trauma, dessen politische Folgen bis heute die iranische Politik gegenüber dem Irak bestimmen. Gerade im Umfeld der Revolutionsgarden werde die Erinnerung an den Krieg gepflegt, schreibt der Iran-Experte Adnan Tabatabai in seinem Buch "Morgen in Iran: Die Islamische Republik im Aufbruch". "So wird zum einen das kollektive Trauma des Angriffskrieges durch den Irak wachgehalten, zum anderen die Gefahren eines 'weichen Krieges' (djang-e narm) beschworen, der das Ziel hat, die Islamische Republik von innen heraus zu stürzen."

Demonstrationen gegen Iran

So wurde die von überwiegend jungen irakischen Bürgern getragene Protestbewegung im Herbst vergangenen Jahres auch in Teheran aufmerksam verfolgt. Die Demonstranten richteten sich nicht nur gegen die politischen Missstände im Lande selbst, allen voran die grassierende Korruption, sie wandten sich ebenso gegen die aus ihrer Sicht nicht hinnehmbaren Einflussversuche des Iran in ihrem Land. Ende November hatten sie zudem das iranische Konsulat in Nadschaf in Brand gesetzt.

Der Zorn der Menschen richtete sich auch gegen irakische Bewegungen, die in ihren Augen eine übergroße Nähe zum Iran pflegten, so etwa die Badr-Organisation und die Ahl-al-Haq-Miliz. "Die stark von Teheran abhängige Badr-Organisation ist zum wichtigsten Instrument iranischer Politik im Nachbarland geworden", heißt es in einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Ziel dieser Politik ist es, möglichst großen Einfluss auf die Zentralregierung in Bagdad auszuüben und gleichzeitig möglichst starke, von Iran abhängige schiitische Milizen aufzubauen."

Irak Adnan Al-Zurfi Ministerpräsident
Khademis Vorgänger Al ZurfiBild: picture-alliance/AP Photo/H. Mizban

Khademi als Mittler zwischen Iran und USA

Iran verfolge im Irak vielfältige Aktivitäten, erklärte Politologe Senad al-Fadhel von der Universität Nadschaf in einem Pressegespräch. "Diese reichen von der Wasserentnahme in den Flüssen und dem Anzapfen von Stromleitungen über die Flutung des irakischen Markts mit iranischen Produkten bis hin zu den Reden des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khamenei." Demnach geht das iranische Engagement im Irak über rein defensive Interessen weit hinaus. Der Irak ist für den Iran auch ökonomisch von enormer Bedeutung - dies umso mehr, als die Regierung in Teheran durch die Embargo-Politik der USA unter nochmals gewachsenem Wirtschaftsdruck steht.

Eben darum könnte die politische Elite Irans mit der Ernennung des neuen irakischen Premiers Mustafa Kadhemi zusätzliche Hoffnungen verbinden. "Einige glauben, dass Khademi dazu beitragen kann, die Spannungen zwischen den USA uns Iran abzubauen", schreibt die iranische Nachrichtenagentur "Mehr News Agency". Die Erwartungen an den neuen irakischen Premier sind offenbar auch in Teheran hoch.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika