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"Iran ist nicht Nordkorea"

Das Interview führte Rochsana Soraya5. April 2007

Subtiler als noch bis vor zwei Jahren geht der Iran gegen kritische Stimmen vor - und dennoch effizient, sagte Julien Pain, zuständig für "Internet und Freiheit" bei Reporter ohne Grenzen.

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Internetcafé in Teheran
Internetcafe in TeheranBild: AP

DW-WORLD.DE: Julien Pain, als Jury-Mitglied beim Weblog-Award (BOB) der DEUTSCHEN WELLE, schlugen Sie für die letzte Auswahlrunde zwei iranische Weblogs vor. Nicht zuletzt, um die internationale Öffentlichkeit auf die iranische Blog-Szene aufmerksam zu machen. Hat sich die Situation seitdem geändert?

BOBs, Weblog Awards 2005, Julien Pain, französisches Jurymitglied
Julien PainBild: DW

Julien Pain: Die Repressionen sind nicht mehr so stark wie noch 2004. Wir hatten seitdem nur einen Blogger im Gefängnis, Arash Sagarchi. Er wurde vor einigen Monaten entlassen. Er kam frei, weil er krank ist, kann aber jederzeit wieder inhaftiert werden. Zurzeit gibt es keine wirklich scharfen Repressionen gegen Blogger. Aber das Internet wird viel stärker gefiltert - und die iranischen Filter werden immer effektiver.

Gibt es Möglichkeiten für Blogger, das Filtern zu umgehen?

Die Iraner sind sehr gut darin geworden, die Zensur zu umgehen. Sie wissen, wie es geht. Aber die iranischen Zensoren werden auch immer besser darin, das Internet filtern. Es ist ein ständiger Kampf zwischen Internetnutzern und dem Regime, der wahrscheinlich nie enden wird.

Warum geht die Regierung nun anders mit den Bloggern um - ein Resultat des internationalen Drucks?

Der internationale Druck hat schon Gewicht. Auch wenn es manchmal nicht so scheint: Die Regierung im Iran achtet auf ihr Bild in der Öffentlichkeit und macht sich Gedanken über den Druck, der von außen kommt. Sie sind nicht immun. Das ist zwar, was die Ahmadinedschad-Regierung uns glauben lassen möchte, aber es ist nicht wahr. Die BOBs sind ein gutes Beispiel: Wenn man als berühmter Blogger gehandelt wird, dann ist es für die iranischen Behörden schwieriger. Der Job, den die DEUTSCHE WELLE bei den BOBs macht, ist sehr wichtig. Ich denke, dass es auch ein Grund ist, dass die iranischen Behörden jetzt eher zögern, Leute zu inhaftieren. Die öffentliche Aufmerksamkeit machte dies schwieriger. Sie verhaften sie nicht, aber es hindert die Behörden nicht daran, die Veröffentlichungen zu filtern und den Zugang zu blockieren.

Besteht die Möglichkeit, dass die iranische Regierung Blogger oder Journalisten heimlich inhaftiert? Dass es eine Dunkelziffer gibt, die Sie nicht kennen?

Wenn ein bekannter wichtiger Blogger inhaftiert wird, werden wir es erfahren.

Letztes Jahr haben die iranischen Behörden die Breitbandverbindungen gesperrt. Warum?

Sie wollten gegen den, wie sie ihn nennen, unmoralischen, unsittlichen Inhalt im Internet, vorgehen. Das war nicht auf politische Seiten gezielt, eine Breitwand-Blockade ist nicht das passende Instrument. Das Ziel war, keine Videos oder Musik aus dem Westen in den Iran zu lassen. Deshalb haben sie auch den Zugang zu YouTube blockiert. Das primäre Ziel ist der Kampf gegen die Unsittlichkeit - im Ergebnis sind viele Medieninhalte von Nachrichtenseiten wie etwa DW-WORLD.DE nicht mehr zugänglich.

Letztes Jahr wurde die liberale, unabhängige Zeitung "Sharq" geschlossen. Vor kurze wurde sie wieder geöffnet. Wie erklärt sich das?

Zwischen 2002 und 2004 war eine wesentliche Phase der Unterdrückung: Sie schlossen viele Zeitungen, sie haben sehr, sehr viele Menschen ins Gefängnis gesteckt. Jetzt ist die Situation stabiler. Aber ich will nicht, dass Sie denken, dass die Situation im Iran sich wirklich zum Besseren wendet. Sie erlauben noch immer keine unabhängigen Zeitungen, sie zensieren noch immer das Internet und sie inhaftieren noch immer und immer wieder Journalisten. Ein Journalist wurde gerade am 26. März 2007 zu drei Jahren Haft verurteilt. Aber die Repressionen sind nicht so brutal wie vor fünf Jahren. "Sharq" ist eine der wichtigsten so genannten liberalen Zeitungen – obwohl sie nicht wirklich liberal ist, aber die unabhängigste Zeitung im Iran. Sie zu schließen war schon sehr grob. Aber der Iran ist nicht Nordkorea.

Wenn man sich jedoch den Global Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen anschaut, ist der Iran nicht so weit weg von Nordkorea: Platz 162 von 167 Ländern.

Aber Nordkorea ist auf dem letzten Platz. Iran ist unter denen, die am schlechtesten abschnitten. Aber es gibt eben auch Nordkorea oder Turkmenistan - Länder, die vollkommen abgeschlossen von der Welt sind. Dies ist im Iran nicht der Fall.

Wie würden Sie die Wiederzulassung von "Sharq" beurteilen? Wofür steht diese Entwicklung?

Daran zeigt sich, dass es innerhalb der iranischen Regierung und innerhalb des iranischen Regimes Unstimmigkeit gibt. Nicht jeder stimmt Ahmadinedschad zu, es gibt verschiedene Gruppen innerhalb des Staats, die sich untereinander bekämpfen. Es gibt die eher Liberalen, die versuchen, Pressefreiheit verbessern und das Regime zu transformieren. Ein Beispiel: Vor kurzem wurde Baztab geschlossen - eine sehr konservative Webseite, die nah zu Ayatollah Chamenei steht. Sie wurde geschlossen, weil sie unter dem Verdacht stand, falsche Informationen verbreitet zu haben. Das wäre nie passiert, wenn es innerhalb des iranischen Regimes keinen Streit gäbe. Anders als in Nordkorea oder anderen sehr, sehr harten repressiven Regimes, wird innerhalb des iranischen Staates diskutiert.

Julien Pain ist Leiter der Abteilung Internet und Freiheit von Reporter ohne Grenzen.