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PolitikNahost

Iranerinnen trotzen Kopftuchzwang

Shabnam von Hein
27. Oktober 2020

Das demonstrative Nicht-Tragen des Kopftuchs kann im Iran immer noch gefährlich sein, insbesondere außerhalb Teherans. Aber auch in der Hauptstadt erfordert die Auflehnung gegen die Sittenwächter Mut.

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Immer mehr Frauen lassen in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch auf die Schulter rutschen
Immer mehr Frauen lassen in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch auf die Schulter rutschenBild: picture-alliance/Zuma Press/R. Fouladi

Naschafabad ist eine Stadt am Rande der Wüste im Zentrum des Irans mit rund 200.000 Einwohnern, die meisten sind traditionell und religiös geprägt. Viele Frauen tragen in der Öffentlichkeit den Tschador, einen schwarzen Ganzkörperschleier, der nur das Gesicht frei lässt. Am vergangenen Montag tauchte in sozialen Netzwerken ein Video auf, in dem eine junge Frau ohne Kopftuch durch Nadschafabad auf dem Fahrrad fährt, eine Hand nach oben gestreckt.

Tags darauf berichteten iranische Medien über eine Protestversammlung wütender Bürger im Stadtzentrum gegen das Verhalten der jungen Frau. Der Gouverneur der Stadt teilt den Medien mit, dass sie wegen der Verletzung religiöser Gefühle verhaftet worden sei. In Nadschajabad werde so etwas nicht geduldet.

"Sie wusste, dass sie verhaftet wird", glaubt Aktivistin Azam Jangravi im Gespräch mit der DW. Sie kennt jene junge Frau zwar nicht. Aber ihre Motivation könne sie sich sehr gut vorstellen. Azam Jangravi gehört zu den "Frauen der Straße der Revolution". Sie ist eine von insgesamt 29 Frauen, die Ende 2017 und Anfang 2018 auf den Straßen einiger iranischer Großstädte gegen den Kopftuchzwang protestiert hatten.

Fanal von Dezember 2017

Eine Aktion, die nicht nur die Passanten auf der Straße völlig überrascht hatte. Seit der islamischen Revolution 1979 ist das Tragen eines Kopftuchs im Iran Pflicht. Mädchen und Frauen müssen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch und einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen. 

Seit 40 Jahren gibt es überall Sittenwächter, die aufpassen, dass Frauen sich "züchtig" kleiden. Wer sich widersetzt, riskiert nicht nur, verhaftet zu werden. Die Behörden legen eine Akte für sie an. Probleme in Schule und Universität, bei der Arbeitssuche und mit den Behörden sind die Folge.

Vida Movahed auf einen Stromverteilerkasten am Rande der Straße der Revolution
Vida Movahed 2017 auf einen Stromverteilerkasten am Rande der Straße der RevolutionBild: MyStealthyFreedom

Dennoch stieg im Dezember 2017 eine junge Frau namens Vida Movahed auf einen Stromverteilerkasten am Rande der Straße der Revolution im Zentrum vom Teheran, nahm ihr Kopftuch ab, band es an einen Stock und hielt den in die Luft.

Auf der Stelle wurde Vida Movahed verhaftet. Die Polizei teilte kurz darauf mit, sie habe psychische Probleme und es sei nicht damit zu rechnen, dass andere Frauen ihrem Beispiel folgen würden.

"Das Richtige tun"

"Es gibt einen Moment, in dem du weißt, dass du irgendetwas tun musst, egal was auf dich zukommt. Du spürst eine magische Kraft, die dich fest daran glauben lässt, dass du das Richtige tust", erzählt Azam Jangravi. Auch sie hatte sich ohne Kopftuch auf einer erhöhten Stelle am Straßenrand gezeigt. Auch sie wurde sofort verhaftet und in einem Eilprozess zu drei Jahren Haftstrafe verurteilt.

Azam Jangravi ohne Hijab in einer Moschee im Iran - heute lebt sie in Kanada
Azam Jangravi ohne Hijab in einer Moschee im Iran - heute lebt sie in KanadaBild: privat

Der Richter nahm ihr sogar das Sorgerecht für ihre Tochter und wollte die Fünfjährige ihrem drogensüchtigen früheren Ehemann übergeben. Im Sommer 2018, kurz bevor Jangravi ihre Haftstrafe antreten sollte, floh sie mit ihrer Tochter zu Fuß über die Grenze in die Türkei. Sie lebt jetzt in Kanada. Wenige andere Aktivistinnen leben ebenfalls im Ausland, die meisten der Gruppe aber leben, soweit nicht verhaftet, unauffällig im Iran.   

"Wenn die Bilder von Kopftuch-Verweigerern nicht in sozialen Netzwerken veröffentlicht worden wären und das Thema keine breite Öffentlichkeit gefunden hätte, wären die Frauen vielleicht nicht verhaftet worden und müssten nicht durch die Hölle gehen, höre ich immer wieder", erläutert Frauenaktivistin Mansureh Schojaee gegenüber der DW.

Widerstand - aber welcher?

Schojaee gehört seit über 20 Jahren zu den führenden Köpfen der iranischen Frauenrechtsbewegung. Sie ist eine der Initiatorinnen der Kampagne "Eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung" und Mitbegründerin der Internetseite "The Feminist School". Wegen ihres Engagements wurde auch sie mehrfach verhaftet, zuletzt am 27. Dezember 2009. So wie Jangravi musste auch Schojaee wegen Repressalien den Iran verlassen. Heute lebt sie in den Niederlanden, ist aber weiter eng mit dem Netz der Frauenaktivistinnen im Iran verbunden.

"Einige Frauenaktivistinnen glauben, dass der Widerstand gegen das Kopftuch keine Aufmerksamkeit erzeugen darf und in kleineren Schritten im Alltagsleben umgesetzt werden muss", sagt Schojaee. "Einerseits stimmt das. Aber die Aktionen der mutigen Frauen inspirieren und ermutigen die anderen Frauen. Solche Aktionen und müssen eine breite Öffentlich finden. Und genau davor hat der Machtapparat im Iran Angst."

Abgestuftes Risiko 

Inzwischen, knapp drei Jahren nach der Aktion der "Frauen der Straße der Revolution", lassen immer mehr Frauen in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch auf die Schulter rutschen. Besonders in der 17-Millionen-Metropole Teheran scheint sich das durchgesetzt zu haben. Dort sieht man auch immer mehr Frauen auf dem Fahrrad, obwohl ihnen auch das in der Öffentlichkeit verboten ist, außer in Begleitung und an bestimmen Orten wie etwa Parkanlagen. Gleichzeitig werden immer noch Frauen festgenommen, weil sie sich weigern, das Kopftuch zu tragen. Und es kann ihnen immer noch passieren, dass sie in der Frauenabteilung des Evin-Gefängnisses in Norden Teherans landen.

Dort war bis vor kurzem auch die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh inhaftiert. Vor ihrer Verhaftung 2018 verteidigte sie einige der "Frauen der Straße der Revolution". Am 21.Oktober wurde sie ins Gharchak-Gefängnis 25 Kilometer südlich der Hauptstadt verlegt. Dort soll sie zwölf Jahre hinter Gitter bleiben, wegen angeblicher "Ermutigung der Frauen zu unsittlichem Verhalten" und wegen ihrer (d. h. Sotudehs) Rolle "in der Verdorbenheit dieser Frauen".