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Irans Sabotageängste

Christina Ruta26. September 2012

Der Siemens-Konzern weist iranische Vorwürfe zurück, er versuche mit verminten Technologielieferungen das iranische Atomprogramm zu behindern. Die Vorwürfe könnten begründet sein, meinen Experten.

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Iranischer Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bei der Inspektion der Atomanlage Natans (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Atomwissenschaftler, die unter mysteriösen Umständen getötet werden. Ein Computervirus, der ganze Atomkraftwerke lahmlegt. Der Iran hatte in der Vergangenheit bereits mehrmals mit schweren Beinträchtigungen seines umstrittenen Atomprogramms zu tun. Alaeddin Borudscherdi, Abgeordneter im iranischen Parlament, fürchtet jetzt eine neue Bedrohung. Er wirft dem Münchner Technologiekonzern Siemens vor, Bauteile für das iranische Atomprogramm mit Sprengstoff versehen zu haben. "Die Geräte sollten nach der Inbetriebnahme explodieren, um unsere Systeme zu zerstören", verkündete der Parlamentarier am Samstag (22.09.2012). Dass sie das nicht taten, sei iranischen Experten zu verdanken gewesen, die die Sprengsätze entdeckten. Siemens wies alle Anschuldigungen zurück. Der Konzern mache seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 keine Geschäfte, die im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm stünden, betonte Siemens.

Sanktionen schränken Geschäfte mit Iran ein

Bis zur Islamischen Revolution 1979 war Siemens am Bau des Kernkraftwerks Buschehr im Süden des Iran beteiligt, brach dann aber aufgrund der unsicheren politischen Lage und auf Druck der damaligen Bundesregierung die Arbeiten ab. Seit der Westen die iranische Regierung verdächtigt, unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms Nuklearwaffen herzustellen, schränken zudem UN-Sanktionen gegen das Land die Wirtschaftsbeziehungen von Firmen mit dem Iran ein. So dürfen Unternehmen mit Iran nicht im Nuklear- und Raketensektor sowie bei einigen, als sensitiv eingestuften Technologien kooperieren. Das erklärt Giorgio Franceschini, Experte für Nuklearwaffen und Rüstungskontrolle an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Er hält die Vorwürfe gegen Siemens für abwegig: "Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Siemens eigene Bauteile mit Sprengstoff versieht", sagt Franceschini.

Giorgio Franceschini von der HSFK (Foto: HSFK)
Giorgio Franceschini von der HSFKBild: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Auch Götz Neuneck, Nuklearexperte am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg (IFSH), kann sich nicht vorstellen, dass an den Anschuldigungen gegen die Firma Siemens etwas dran ist. "Es ist nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft, Bauteile zu liefern, die vielleicht sogar Menschenleben fordern - das schädigt das Geschäft", sagt Neuneck.

Computerviren werfen Atomprogramm zurück

Für völlig unbegründet hält er die Angst der Iraner, jemand könne Irans Atomanlagen beschädigen wollen, aber nicht: "Seit ungefähr 2010 hat es Sabotageanschläge gegeben, um das vermutete iranische Nuklearprogramm zu verlangsamen", so der Physiker.

Anschlag auf Atomwissenschaftler in Teheran, Auto von Mostafa Ahmadi Roshan (Foto: AP)
Anschlag auf Atomwissenschaftler Mostafa Ahmadi RoshanBild: AP

Vor gut zwei Jahren beschädigte zum Beispiel der Computerwurm Stuxnet Gaszentrifugen in der Atomanlage Natanz schwer. Anschließend fanden sich die Spionageviren Flame und Duqu auf iranischen Rechnern. Sie können dazu verwendet werden, Industrieanlagen auszuspähen. Die iranische Regierung beschuldigte die USA und Israel, hinter den Cyber-Attacken zu stecken - und bekam Rückenwind vom Washington-Korrespondenten der "New York Times". David E. Sanger beschreibt in einem kürzlich veröffentlichten Buch, wie der Stuxnet-Wurm noch unter der Regierung von US-Präsident George W. Bush und in Kooperation mit der israelischen Regierung entwickelt wurde - seine Recherchen basieren angeblich auf Gesprächen mit Beamten, die in das Projekt involviert waren. Was noch schwerer wiegt: Seit 2010 wurden mehrere iranische Nuklearwissenschaftler ermordet, die in Verbindung mit dem umstrittenen Atomprogramm stehen sollen. Unbekannte hatten unter anderem Sprengsätze an den PKW der Wissenschaftler befestigt. Der Iran beschuldigte die israelische Regierung und ihren Geheimdienst Mossad, hinter den Morden zu stecken. Israel kommentierte die Vorwürfe bis heute nicht.

Lieferungen über Dritte?

Giorgio Franceschini von der HSFK hält es für denkbar, dass es sich auch bei den Bauteillieferungen um einen Sabotageakt handeln könnte - ausgeführt allerdings nicht durch den Münchner Konzern, sondern durch Geheimdienste. Auch bei der Stuxnet-Attacke 2010 war vor allem ein Überwachungs- und Steuerungssystem der Firma Siemens betroffen: "Beim großen digitalen Angriff auf die iranischen Anreicherungsanlagen hat man das Virus auf bereits im Land befindliche Siemens-Software installiert. Das heißt, die Iraner hatten Steuerungssoftware von Siemens", erklärt Franceschini. Wie die Technologie in das Land kam, ob möglicherweise Zwischenhändler oder gar Geheimdienste sie an die iranische Regierung verkauft hatten, könne man aber nicht genau sagen.

Für Götz Neuneck vom IFSH steht fest, dass mögliche Sabotageakte das iranische Atomprogramm ohnehin nur verlangsamen, nicht aber stoppen können. Die politischen Probleme löse man durch Sabotageakte nicht: "Im Gegenteil. Es gibt nicht wenige, die sagen: 'Seht, wir brauchen irgendwann letztendlich eine Atombombe, weil wir ständig angegriffen werden' ", gibt der Nuklearexperte zu bedenken.

Götz Neuneck vom IFSH (Foto: Privat)
Götz Neuneck vom IFSHBild: Privat