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Türkei von ISIS-Erfolgen im Irak überrascht

Thomas Seibert, Istanbul12. Juni 2014

Der Vormarsch der Terrorgruppe ISIS im Irak und die Geiselnahme im türkischen Konsulat setzen Premier Erdogan unter Druck. Der Nordirak ist für die Türkei wirtschaftlich und politisch sehr wichtig.

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Ein zerstörtes Fahrzeug in Mossul (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die Kämpfer der sunnitischen Terrorgruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS) konnten das türkische Konsulat im irakischen Mossul in ihre Gewalt bringen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Rund 50 Menschen wurden als Geiseln genommen. Dabei hatte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu nur einen Tag zuvor über Twitter verkündet, alle Maßnahmen zur Sicherung der Vertretung seien getroffen worden.

Insgesamt befinden sich jetzt mehr als 80 Geiseln in den Händen der Terroristen. Am Vortag waren laut Medienberichten über 30 türkische Lkw-Fahrer in Mossul von Islamisten entführt worden.

In Ankara traf sich Premier Recep Tayyip Erdogan mit Beratern und dem Staatspräsidenten Abdullah Gül zu Krisensitzungen. Mehrere türkische Medien meldeten, militärische Optionen zur Befreiung der Geiseln würden derzeit nicht erwogen. Stattdessen setze Ankara auf Verhandlungen über Mittelsmänner.

Krise in einer Schlüsselregion

Es ist kein Zufall, dass die Türkei ausgerechnet in Mossul ein Konsulat unterhält. Der gesamte Norden des Irak und insbesondere die nördlich und westlich an Mossul angrenzende kurdische Autonomiezone sind für Ankara von hoher strategischer Bedeutung. Über Pipelines wird Öl aus dieser Gegend in die Türkei gepumpt. Die durch den Öl-Boom reich gewordene Kurdenzone im Nordirak ist nach Deutschland der zweitgrößte Abnehmer türkischer Exporte weltweit. Zudem fühlt sich die Türkei den in der Gegend lebenden Turkmenen verbunden, die lange zum Osmanischen Reich gehört hatten. Erst im Jahr 1926 verzichtete Ankara auf Gebietsansprüche in Mossul.

Krisensitzung in Ankara zur Geiselnahme im Konsulat in Mossul am 11.06.2011 (Foto: Reuters)
Krisensitzung in Ankara nach der GeiselnahmeBild: Reuters/Mehmet Demirci/President's Press Office

Nun gefährden die ISIS-Erfolge im Nordwesten des Irak nicht nur die türkischen Interessen in dieser Region. Die Islamisten könnten nach Ansicht von Beobachtern auch eine Bedrohung für die Türkei selbst werden. In der Zeitung "Vatan" beschrieb Kolumnist Rusen Cakir die Gefahr mit der Formel: "Al Kaida vor der Haustür". ISIS ist in Gebieten aktiv, die unmittelbar an der türkischen Grenze liegen. Cakir hält es sogar für möglich, dass die Gruppe versuchen könnte, ihren Einfluss auf den Südosten der Türkei auszudehnen.

Vorwürfe an Ankara

Die Opposition in Ankara wirft der Erdogan-Regierung vor, diese gefährliche Entwicklung verschlafen zu haben. Das Kabinett habe nichts anderes mehr im Sinn als Erdogans erwartete Präsidentschaftskandidatur, schimpfte der nationalistische Politiker Oktay Vural von der Rechtspartei MHP in der Zeitung "Hürriyet". Vurals Parteifreund Sinan Ogan behauptete sogar im Gespräch mit dem Nachrichtensender CNN-Türk, das Wachpersonal im Konsulat von Mossul habe sich auf Weisung Ankaras den ISIS-Eindringlingen kampflos ergeben.

Der Journalist Hasan Cemal (Foto: Anadolu)
Journalist Cemal: "Regierung hat ISIS in Syrien unterstützt"Bild: picture-alliance/AA

Druck auf die Regierung entsteht nicht nur durch den Vorwurf, von ISIS in Mossul auf dem falschen Fuß erwischt worden zu sein. Der türkische Journalist Hasan Cemal kritisierte am Donnerstag (12.06.2014) in einem Beitrag für das Internetportal T24, Erdogans Regierung habe in den vergangenen Jahren die radikalen Islamisten von ISIS in Syrien unterstützt, um den Sturz von Baschar al-Assad in Damaskus zu beschleunigen und gleichzeitig kurdische Autonomiebestrebungen in Syrien zu bekämpfen. Jetzt wende sich ISIS gegen die türkischen Unterstützer und andere Beobachter, so Cemal. Die linksnationalistische und Erdogan-kritische Zeitung "Aydinlik" hielt der Regierung vor, sie habe ISIS mit genau jenen Waffen versorgt, die nun beim Sturm auf das türkische Konsulat benutzt worden seien.