1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Israel: Drohnen gegen Feuer-Ballons

20. Juni 2018

Seit Wochen schweben ‘Terror’-Drachen mit angehängten Brandsätzen von Gaza nach Israel. Brände sind die Folge. In den Ortschaften rund um den Gazastreifen ist man mit der Geduld am Ende. Tania Krämer war dort.

https://p.dw.com/p/2zwf8
Gazastreifen Brände durch brennende Ballons und Drachen
Bild: Imago/ZUMA Press

"Das Stück hier ist zwar komplett abgebrannt, aber wir haben schnell reagiert. Das Feuer konnte sich nicht weiter ausbreiten", sagt Landwirt Jishai Cohen und zeigt auf eine schwarze Schneise, die sich durch das hügelige Land rund um das Kibbuz Beeri im Süden Israels gefressen hat. Nebenan grasen normalerweise seine Kühe.

Teils Ackerland, teils Naturpark - zwischen intaktem Boden sind immer wieder schwarze und verbrannte Stellen zu sehen. "Wir geben unser bestes, damit es nicht noch mehr Schaden gibt", sagt Cohen, der dann mit dem Traktor losfährt und versucht, die lodernden Flammen mit Erde zu ersticken.

Ruhig und ländlich liegt das Kibbuz Beeri unter der heißen Mittagssonne. Nur wenige Kilometer entfernt von Beeri steht der hochgesicherte Grenzzaun, der den Gazastreifen mit seinen rund zwei Millionen Einwohnern von der Aussenwelt abriegelt. Die Sperranlage hilft den Kibbuzbewohnern wenig gegen das, was in den israelischen Medien als 'Terrordrachen' beschrieben wird. Die neue palästinensische Bedrohung aus der Luft sind aus Tüten oder bunten Heliumluftballons selbstgebastelte Drachen, an denen Brandsätze hängen.

Feuerdrachen aus Gaza - Südisrael
Ständig in Bereitschaft - die Kibbuz-Bewohner Cohen und Gold im Einsatz gegen "Terror-Drachen"Bild: DW/T. Kraemer

Der Wind trägt sie auf die israelische Seite und setzt dort immer wieder Felder und kleine Wälder in Brand. "Es fängt meistens am frühen Nachmittag an, wenn der Wind in unsere Richtung dreht, dann haben wir bis abends zu tun", sagt Rami Gold, langjähriger Kibbuzbewohner und Mountainbike-Hersteller. Gemeinsam mit Landwirt Cohen und der lokalen Feuerwehr steht auch er jeden Tag in Bereitschaft, um Brände zu löschen oder nicht explodierte Brandsätze zu suchen. Ackerland, Wald und Naturschutzgebiete sind nach Angaben der örtlichen Behörden betroffen. Einige Bauern fahren ihre Ernte früher ein, die Regierung hat Kompensation versprochen.

Drohnen gegen Drachen

In Beeri lebt man mit der ständigen Bedrohung durch die radikal-islamische Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert. Früher gab es viele Kontakte nach Gaza, als viele palästinensischen Arbeiter noch nach Beeri kamen, erzählt Cohen, der auch jetzt noch Kühe nach Gaza verkauft. Heute gibt Israel rund eine Milliarde Euro aus für den Bau einer unterirdischen Mauer. Sie soll verhindern, dass Hamas-Kämpfer durch illegal gegrabene Tunnel in israelisches Siedlungsgebiet eindringen können. Gegen Raketen aus Gaza hat man Schutzräume gebaut und ein hochmodernes Raketenabwehrsystem entwickelt.

Drohnen und Drachen überfliegen Gaza-Proteste
Ein israelischer Soldat "entschärft" einen mit brennbarer Flüssigkeit bestückten DrachenBild: Reuters/A. Cohen

Jetzt, gegen die Drachen, setzte das Militär zunächst Drohnen ein, um sie vom Himmel zu holen, bevor sie Schaden am Boden anrichten. Doch noch hat die hochgerüstete Armee auf die improvisierten Flugobjekte keine wirkliche Antwort gefunden.

Die ersten Drachen liessen Palästinenser zu Beginn der Massendemonstrationen in Gaza Ende März steigen. Zehntausende Palästinenser hatten in den vergangenen Wochen entlang der Sperranlage zu Israel demonstriert, um auf die schwierige Situation in dem seit mehr als zehn Jahren von Israel und Ägypten abgeriegelten Gazastreifen aufmerksam zu machen.

Israel wirft der radikal-islamischen Hamas vor, die Demonstrationen für terroristische Zwecke auszunutzen. Von israelischen Scharfschützen wurden 128 Demonstranten erschossen, tausende nach Angaben des palästinensischen Gesundsheitsministeriums verletzt. International wurde das drastische Vorgehen der Armee scharf kritisiert.

Hartes Durchgreifen gegen 'Drachenterrorismus' gefordert

Mit jedem neuen Drachen werden auch die Forderungen nach hartem Durchgreifen gegen den sogenannten 'Drachen-Terrorismus' immer lauter. Man solle zu einer Politik der gezielten Tötung zurückkehren, schlug Gilad Erdan vor, Minister für öffentliche Sicherheit bei einer Tour durch den Süden. Am Sonntag hieß es in einer Mitteilung des Militärs, man "werde mit zunehmender Intensität auf die Terrorakte reagieren".

Feuerdrachen aus Gaza - Südisrael
Politiker Jelin fordert wirtschaftliche Hilfe für Gaza statt weitere EskalationBild: DW/T. Kraemer

In den vergangen Tagen feuerte das Militär mehrfach Warnschüsse in die Nähe von Personen, die Drachen steigen lassen wollten. Gleichzeitig wurden auch militärische Posten der Hamas angegriffen - offenbar, um Druck auf die Verantwortlichen im Gazastreifen auszuüben, die Drachenfliegerei einzuschränken. In der Nacht zum Dienstag eskalierte aber die Lage erneut: Nach Angaben der Armee feuerten militante Palästinenser diesmal 45 Raketen von Gaza auf israelisches Gebiet ab. Das israelische Militär beschoss daraufhin mindestens 25 Ziele im Gazastreifen.

Die Bedrohung durch die Branddrachen müsse man sehr ernst nehmen, meint Haim Jelin, der für die Yesh Atid Partei in der Knesset sitzt und in Beeri wohnt. Mit den von der Hamas entwickelten Kassam-Raketen habe es auch erst nach und nach angefangen. "Jetzt haben wir die Drachen, dann machen sie mit Heliumballons weiter, die anmuten wie Kinderspielzeug. Das sind sie aber nicht."

Um eine weitere Eskalation oder gar einen neuen Krieg zu vermeiden, müsse Israel die humanitäre Situation im Gazastreifen verbessern, meint Jelin. Der frühere Gemeindevorsitzende der Kommunen im Süden Israels setzt auf wirtschaftlichen Aufbau, will Arbeitsplätze in der Textilindustrie und im Baugewerbe in Gaza schaffen.

Gazastreifen Israelische Luftangriffe
Israelischer Vergeltungsangriff auf Ziele im GazastreifenBild: Getty Images/AFP/S. Khatib

Angesichts des derzeitigen politischen Klimas in Israel scheinen solche Initiativen aber fast ausgeschlossen. In Beeri stellt man sich auf einen langen, ungewissen Sommer ein. "Wichtig ist, das alle hier sicher sind. Die verbrannten Bäume sind nicht mehr zu retten, aber die Felder werden sich mit dem ersten Regen im Herbst wieder erholen", sagt Rami Gold und zeigt auf erste grüne Gräser inmitten des schwarzen Feldes. 

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin