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Politik

Israels Vorstoß macht Nahostexperten Sorgen

2. Mai 2018

Die Präsentation angeblicher Beweise eines geheimen Atomprogramms im Iran verunsichert die Welt. Zu Recht, meint Henner Fürtig vom GIGA-Institut. Es erinnere an die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak.

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Tel Aviv Netanjahu PK Iran Atomprogramm (picture alliance / Photoshot)
Bild: picture-alliance/Photoshot

Eindrucksvoll zieht Benjamin Netanjahu zwei schwarze Decken von einem Aktenschrank und einem Aufsteller. Darunter zum Vorschein kommen zahlreiche schwarze, grüne und rote Aktenordner und eine imposante Aufreihung glänzender CDs. Laut Netanjahu sind das Materialien, die der israelische Geheimdienst im Iran gefunden hat - Beweise, die zeigen, dass Iran ein "geheimes Atomprogramm" verfolge, so der Vorwurf des israelischen Ministerpräsidenten am vergangenen Montag.

Die beeindruckende Präsentation zog bereits einige Reaktionen nach sich, vor allem vor dem Hintergrund, dass US-Präsident Donald Trump bis zum 12. Mai mitteilen muss, ob die USA weiterhin Vertragspartner im Atomdeal sein wollen. Darüber muss der US-Präsident alle 120 Tage entscheiden. Der iranische Außenminister Javad Zarif wies die Vorwürfe konsequent zurück und warnte Trump davor, auf alte Behauptungen hereinzufallen, um den Atomdeal aufzukündigen.

Doch Experten - Außenpolitiker wie Wissenschaftler - warnen vor Schnellschüssen. "Zum einen bestätigt die Internationale Atomenergiebehörde seit der Unterzeichnung des Abkommens 2015 kontinuierlich, dass Iran sich an das Abkommen hält", gibt zum Beispiel Prof. Henner Fürtig, Direktor des GIGA-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg, zu Bedenken. Zwar sei auf der anderen Seite offensichtlich, dass Iran in der jüngeren Vergangenheit an einem militärischen Atomprogramm gearbeitet habe. Aber: "Die Vorwürfe sind überhaupt nicht neu. Sie waren der ausdrückliche Anlass, dass sich so viele Staaten, nicht zuletzt die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats plus Deutschland, bemüßigt gesehen haben, mit Iran zu einem Atomabkommen zu kommen."

Bemerkswerter "Scoop" des israelischen Geheimdienstes

Doch eines müsse man Israel lassen - es sei ein "Scoop" und ein "großer Geheimdiensterfolg", dass der Mossad in Teheran diese angeblich belastenden Akten gefunden habe, so Fürtig. Nur sei der Inhalt nichts Neues im Vergleich zum Stand von 2015, als das Atomabkommen unterzeichnet wurde.

Allerdings ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung wohl mit Bedacht gewählt. Die politischen Hintergründe sind brisant. "Wir haben einen neuen amerikanischen Außenminister, der eine Geschichte als sogenannter 'Neo-Con' (Neokonservativer, Anm. d. Red.) hat und deshalb sofort ins gleiche Horn geblasen hat", erklärt Nahostexperte Henner Fürtig.

"Insofern stellt sich hier eine neue gemeinsame israelisch-amerikanische Komponente des Umdenkens und der Bewertung der Iranpolitik dar." Genau das macht Fürtig Sorgen: "Ehrlich gesagt, es erinnert mich ein bisschen an die Situation im Februar 2003, als der damalige US-Außenminister Colin Powell vor der UNO die angeblich unumstößlichen Beweise eines irakischen Massenvernichtungsprogramms vorlegte." Kurz darauf marschierten amerikanische Truppen im Irak ein - und fanden nichts dergleichen.

Im März 2018 besucht der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu US-Präsident Donald Trump (Foto: picture-alliance)
Reger Austausch zwischen den USA und Israel besteht nicht nur bei persönlichen Treffen wie im März in Washington. Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/E. Vucci

Für den US-Präsidenten liefert die Präsentation der Akten aber Argumente, um sich gegen den Atomdeal auszusprechen. Prof. Fürtig sieht zudem die Möglichkeit, dass die Veröffentlichung - wahrscheinlich in Absprache mit Washington - die Welt auf eine abgestimmte israelisch-amerikanische Iranpolitik vorbereiten solle. Diese könne auch ein größeres Druckpotenzial einschließen. "Die beiden Staaten stehen in sehr intensivem Austausch", so Fürtig. "Ich glaube nicht, dass das völlig zufällig war und keine der beiden Seiten von der jeweils anderen wusste, was geplant ist." Dafür spreche auch, dass Benjamin Netanjahu erst gestern im US-Sender Fox News sagte: "Die Allianz zwischen unseren beiden Ländern war nie stärker."

Sollte sich Trump für den Ausstieg aus dem Atomvertrag entscheiden, sei dieser aber noch längst nicht Makulatur. Die USA können einseitig aus dem Abkommen aussteigen, der Vertrag bestehe aber weiter zwischen den anderen Vertragspartnern - den UN-Vetomächten Großbritannien, Frankreich, Russland und China sowie Deutschland. Doch das Abkommen wäre durch das Ausscheiden der USA stark geschädigt, prognostiziert Prof. Henner Fürtig. "Und es würde vor allen Dingen in Iran eine enorme Bedeutungssteigerung der Hardliner und Konservativen bedeuten, die dann mit allem Grund sagen könnten: Wir haben uns an das Abkommen gehalten, die USA sind ausgestiegen, man sieht, wie verlässlich die USA sind. Das würde die Argumente der Hardliner extrem kräftigen."

Ermutigendes Signal der anderen Vertragspartner

Dass sich aber alle anderen Vertragspartner mehr oder weniger klar für das Festhalten am Abkommen ausgesprochen haben, beruhigt den Nahostexperten. "Wenn die anderen ständigen Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland zum Vertrag stehen, ist das ein sehr ermutigendes und sinnvolles Signal." Das bedeute zudem auch, dass Trump - sollte er den Vertrag aufkündigen - eine Rückkehrmöglichkeit hat, wenn das Abkommen weiter besteht.

Vorerst muss die Weltgemeinschaft aber abwarten, wie sich der US-Präsident äußert. Sollte er dann gegebenenfalls wieder Sanktionen gegen den Iran einsetzen, könnten das allerdings auch europäische Partner zu spüren bekommen. "Dann würden die alten Mechanismen wieder greifen", sagt Nahostexperte Fürtig. "US-Unternehmen würden sehr starken Druck auf andere Partner ausüben, nicht zuletzt in Europa, sich den Sanktionen anzuschließen." Drohungen, europäische oder asiatische Unternehmen, die sich nicht an die  Sanktionen halten, wiederum mit Sanktionen von US-Seite zu belegen, seien ein mögliches Szenario. "Dann muss man sich fragen, ob europäische Partner genügend Standfestigkeit haben, um sich dem Druck zu wiedersetzen."