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Ist die Stellung der Frau im Islam ein großes Missverständnis?

Susan Javad, Qantara.de27. Juni 2006

Die Frau muss sich dem Mann unterordnen. So steht es im Koran, Sure 4,34. Vielleicht ist die Stelle aber auch ganz anders gemeint, sagt Luise Becker vom "Zentrum für Islamische Frauenforschung" im Interview.

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Frauen haben im Islam wenig Rechte, so steht es im Koran - ein Interpretationsfehler?Bild: AP

"Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie von Natur vor diesen ausgezeichnet hat (…).Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!" (Auszug aus der Sure 4 Vers 34 des Koran)

Qantara.de: Muslime verweisen oft auf Koransure 4,34, wenn es darum geht, die Vormachtstellung des Mannes gegenüber der Frau im Islam zu belegen. Das "Zentrum für islamische Frauenforschung" , kurz ZIF, hat sich nun an eine Hinterfragung der traditionellen Lesart der Sure gewagt und die Ergebnisse in einem Heft herausgegeben. Wie kam es zu der Idee, eine Veröffentlichung zur Sure 4,34 zu erarbeiten?

Luise Becker: Zum einen gilt der Vers der Sure 4 für das islamische Geschlechterverhältnis als Stein des Anstoßes schlechthin. Sie können in keinem anderen Text eine auf den ersten Blick so frauenfeindliche Definition des Geschlechterverhältnisses finden. Der Anstoß dazu ist gekommen, weil das Thema im deutschen oder im westeuropäischen Kontext heftig diskutiert wird und dieser Text für muslimische Frauen eine große Schwierigkeit darstellt, insbesondere wenn sie nicht die Grundlagen haben, ihn kritisch zu hinterfragen. Und zum anderen wird dieser Text immer noch von Männern genutzt, um ihre angeblich von Gott gewollte Privilegiertheit zu untermauern.

An wen richtet sich diese Veröffentlichung?

Zum einen natürlich vor allem an muslimische Frauen, besonders diejenigen mit Migrationshintergund, die einerseits an ihrem Glauben festhalten wollen und andererseits aber hier in einer säkularen Gesellschaft weiterhin mit den Traditionen ihrer Herkunftsgesellschaft konfrontiert bleiben, und beides in Einklang bringen wollen. Unsere Zielgruppe war weniger die erste Einwanderergeneration als die Folgegenerationen. Die Frauen also, die den Widerspruch zwischen Tradition und ihrem realen Leben hier auch tatsächlich als Problem wahrnehmen.

Für Frauen, die ein ganzes Leben in der Tradition gelebt haben, ist die Infragestellung ihrer bisherigen Lebensführung zu schmerzvoll. Diese Frauen empfinden unsere Arbeit, soweit sie sich damit auseinandersetzen, als "Verwestlichung" und "neumodischen Kram". Aber unsere Arbeit soll auch ein Signal an die deutsche Gesellschaft sein. Es war uns ein Anliegen aufzuzeigen, wie im Islam mit Text umgegangen werden kann. In der islamischen Theologie gibt es seit eh und je Instrumente, den Text "aufzubrechen", ihn zu erklären und zu deuten. Exegetisches und hermeneutisches Arbeiten im Islam ist nicht neu, es wurde nur weitgehend vergessen.

An wen hat das ZIF das Heft verschickt und was soll inhaltlich vermittelt werden?

Die Spannweite reicht von Universitäten und Moscheegemeinden bis hin zu Redaktionen, die sich mit feministischen Themen auseinandersetzen. Es geht uns darum, ein Gespräch in Gang zu bringen, und unsere Arbeit soll dabei auch nicht als endgültige Antwort zu verstehen sein. Als subjektive Geschöpfe können wir keine endgültigen Antworten geben. Ich denke, dass ist auch eines der ganz großen Probleme im Islam, dass sehr häufig der Standpunkt einer Absolutheit eingenommen wird nach dem Motto: "Das ist so gesagt worden, der Gelehrte X hat das schon vor Jahrhunderten so und so gesagt". Das wird, bei allem Respekt, leicht zu einem "göttlichen" Gesetz.

Islam, Buch
Handgeschrieben - 400 Jahre alter KoranBild: AP

In keiner Wissenschaft gehen wir heute davon aus, ein für alle Mal eine endgültige Antwort geben zu können. Und wenn wir als Muslime davon ausgehen, dass Gott alleine die Wahrheit ist, können wir als Menschen ohnehin nur Teilwahrheiten aussagen - und diese Bescheidenheit würde uns als Muslime, wie ich finde, sehr gut anstehen. Wir wünschen uns, dass das traditionelle, konservative Denken aufgebrochen wird, und dass man Platz für abweichende Meinungen und pragmatische Lösungen lässt.

Wie gehen Sie jetzt mit Vers 4,34 um?

Die erste Auslegung des Verses wurde eigentlich vom Propheten selbst vorgenommen, der sagte: "Schlagt die Frauen nicht. Die, die die Frauen schlagen, sind die Schlechtesten unter den Geschöpfen." Das Wort schlagen kann im vorliegenden Kontext mit "einen anderen Weg einschlagen" entschlüsselt werden, gestützt durch das prophetische Beispiel. Er involvierte sich nicht in die emotionale häusliche Auseinandersetzung, sondern entfernte sich. Seltsamerweise wird diese prophetische Handlungsweise jedoch nicht genutzt. Ein generelles Problem ist es jedoch, auch von Vers 4,34 abgesehen, dass zwei Dinge in Bezug auf den Koran nicht ausreichend beachtet werden: Es gibt eine lex generalis und eine lex spezialis. Das heisst, es gibt generalisierende Texte im Koran, die die Geschlechtergleichheit aufzeigen, und Texte, die an einen spezifischen Kontext gebunden sind und lediglich ein aktuelles Beispiel des Umgangs aus der Verkündungszeit geben.

Traditionalisten generalisieren aber auch die lex spezialis und machen aus jedem kontextgebundenen Beispiel eine allgemeingültige Regel. Dabei entstehen Widersprüche, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten, welche die Traditionalisten aber unbeantwortet lassen. Das ist die eigentliche Problematik: Berücksichtige ich bei der Auslegung des Korans den Kontext und bin ich bereit zu sagen, dass auch das Wort Gottes ganz selbstverständlich in einem spezifischen Kontext übermittelt wurde, lasse ich die Texte, welche die Gleichheit der Geschlechter widerspiegeln, unverbunden nebeneinander stehen, und generalisiere das historische Beispiel für alle Zeiten. Dann aber müssen die Texte auf jeden Leser in höchstem Maße widersprüchlich wirken, und die vom Koran gewollte Gleichheit kommt nicht dabei heraus.

Wie stehen Sie zu der Position islamischer Feministinnen, die zwar die Gleichwertigkeit der Geschlechter fordern, es aber ablehnen, von Geschlechtergleichheit zu sprechen?

Ich denke, dass ist unter anderem ein Problem der Begriffsdefinition. Auch im nicht-islamischen Kontext tun wir uns nicht leicht mit der Gleichheit der Geschlechter und suchen nach Worten, um die Unterschiede zu benennen. "Gleichheit mit Recht auf Differenz" ist ein solcher unter Feministinnen diskutiertes Konstrukt. Ob es nicht sinnvoller ist, von Gleichwertigkeit als von Gleichheit zu sprechen, muss dem Diskurs überlassen werden. Ich bin jedoch dann gegen das Konzept der Gleichwertigkeit der Geschlechter, wenn damit wieder Einschränkungen zuungunsten der Frau gerechtfertigt werden sollen und damit eine strikte Aufgabenteilung einhergeht, die Frauen von verschiedenen Tätigkeiten und der Gestaltung der Gesellschaft ausschließen.

Welche Reaktionen haben Sie bisher von muslimischer Seite auf diese Veröffentlichung erhalten?

Die meisten Rückmeldungen bekommen wir aus nicht-muslimischen Kreisen. Die geringere Reaktion von muslimischer Seite erscheint mir recht typisch. Das Thema birgt für Muslime und Musliminnen offenbar noch immer zu viele Risiken. Ein muslimischer Mann kam auf mich zu und sagte: "Ist ja interessant, was Sie da schreiben, aber es geht ja leider wieder gegen uns Männer." Als ich ihm dann sagte, dass auch ein zeitgenössischer bekannter männlicher Gelehrter zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gekommen sei, änderte sich seine Haltung jedoch und er war auf einmal bereit, sich auf ein inhaltliches Gespräch zu diesem Thema einzulassen.

Das ist ein großes Problem, solch eine Arbeit von Frauen wird nicht ausreichend ernst genommen. Sie sind ja die Betroffenen. Es wirft auch einen Blick auf das prinzipielle Denken über Frauen. Aber das ist nicht spezifisch islamisch. Äußert sich ein Mann in der gleichen Weise zum Thema, so ist man bereit zuzuhören. Aber wir haben auch positive bis euphorische Rückmeldungen von muslimischen Frauen und sogar auch von Männern, die uns dann aber meistens nicht schreiben, sondern uns anrufen oder uns persönlich sprechen. Auch dies bestätigt unsere Einschätzung der Furcht vor einem öffentlichen Bekenntnis.