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Ist die WTO noch zeitgemäß?

Rolf Wenkel14. Juli 2016

Seit Donnerstag ist Liberia das 163. Mitglied der Welthandelsorganisation, am Ende des Monats folgt Afghanistan als Nummer 164. Aber macht es noch Sinn, Mitglied in einem scheinbar toten Verein zu sein?

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Symbolbild Europa Wirtschaft Export
Bild: Fotolia

"Seine Kunden bekämpft man nicht." Diese Weisheit liegt der Gründung der WTO zugrunde. Intensiver Handel zwischen den Ländern der Welt und eine möglichst starke Verflechtung der Wirtschaftssysteme tragen dazu bei, dass Staaten politische Konflikte friedlich lösen und sie nicht eskalieren lassen. Neben dem internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbankgruppe ist die WTO eine der zentralen Organisationen der Vereinten Nationen.

Logo Welthandelsorganisation WTO
Das Logo der Welthandelsorganisation in Genf

Zurzeit sind 162 Staaten Mitglieder der Organisation mit Sitz in Genf. Etwa zwei Drittel von ihnen sind Entwicklungs- oder Schwellenländer. Alle Mitglieder gemeinsam erwirtschaften etwa 97 Prozent des Welthandelsvolumens. 20 Regierungen verfügen zurzeit über einen Beobachterstatus und verhandeln über den Beitritt ihrer Staaten.

Das Interesse an einer Mitgliedschaft in der WTO scheint also ungebrochen. Das verwundert, denn im Grunde ist die letzte große Verhandlungsrunde, in der ein neues multilaterales Abkommen verabschiedet werden sollte, die so genannte Doha-Runde, nie richtig zum Ziel gekommen. Von einer Zerreißprobe war die Rede, scheitert Doha, scheitert die WTO, hieß es allenthalben.

Dr. Clara Brandi, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik
"Für Beitrittsländer immer noch attraktiv" - Clara Brandi, Deutsches Institut für EntwicklungspolitikBild: D.I.E.

WTO immer noch attraktiv

Ist die WTO überhaupt noch zeitgemäß angesichts der Tatsache, dass statt eines großen multinationalen Handelsabkommens viele kleine regionale und bilateralen Abkommen geschlossen werden? "Die WTO ist immer noch attraktiv für Beitrittsländer, auch für Länder wie Liberia oder Afghanistan", widerspricht Carla Brandi, Handelsexpertin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik DIE. "Sie signalisieren damit, dass sie sich an moderne Handelsregeln halten, und sie erhöhen sich damit die Chancen für einen besseren Marktzutritt."

Immerhin einigten sich im Dezember 2013 auf der indonesischen Ferieninsel Bali 160 Mitglieder auf ein Abkommen zur Vereinfachung internationalen Warenaustausches. Der erfolgreiche Abschluss der Doha-Runde stand damals schon nicht mehr zur Debatte - dieses Ziel war unerreichbar. Die Handelsminister haben sich stattdessen auf ein Teilpaket geeinigt, um den Stillstand der letzten Jahre zu überwinden. Seitdem spricht man vom Post-Bali-Prozess.

Das Bali-Paket erleichtert die Ein- und Ausfuhr von Gütern, reduziert Agrarsubventionen und verbessert Exportmöglichkeiten für die am wenigsten entwickelten Länder. Die Erwartung ist, dass das Abkommen Wachstum fördert und Arbeitsplätze schafft. Werden Zoll- und Handelskosten nur um ein Prozent verringert, brächte das rund 40 Milliarden Dollar mehr an Einkommen rund um den Globus - auch für Entwicklungsländer, sagen Experten. Aber der bedeutendste Effekt des Pakets ist eher symbolischer Natur: Die Einigung in Bali ist wichtig, um das Vertrauen in die WTO als globaler Regelsetzer wiederherzustellen.

Verhandlungsforum in der Krise

"In ihrer Funktion als Verhandlungsforum verharrt die WTO jedoch in einer Krise. Daran hat auch die Überwindung des Bali-Blues nichts geändert", sagt Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. "Im Gegenteil, jetzt hat sich sogar noch der Graben vertieft, denn mittlerweile haben einige Mitgliedsländer offen dafür plädiert, die Doha-Runde zu beenden."

Einen Trost gibt es aber. Denn die WTO ist nicht nur ein Verhandlungsforum, sondern erfüllt zahlreiche weitere wichtige Funktionen - und die erfüllt sie gut. Das Streitschlichtungsverfahren für Handelskonflikte zum Beispiel ist sehr erfolgreich, und ihre Handelsregeln werden so häufig wie nie zuvor genutzt. "Das bereits beschlossene globale Regelwerk funktioniert: Die WTO-Regeln haben nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise den Protektionismus in Schach gehalten" sagt Clara Brandi.

Besonders erfolgreich ist die WTO bei der Lösung von Handelsstreitigkeiten. Die Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Dispute Settlement Understanding, DSU) ist das weltweit erste verbindliche zwischenstaatliche Verfahren. Die WTO-Mitglieder verpflichten sich, bei Streitigkeiten die Schlichtungsvorschläge der Organisation anzunehmen.

Erfolgreicher Streitschlichter

Mehr als 470 mal ist die WTO seit 1995 zur Schlichtung angerufen worden (Stand 2014), und viele Verfahren haben sich schon in der sogenannten Konsultationsphase von selbst erledigt. Und: "Das Verfahren steht jedem Mitgliedsland offen, das sich benachteiligt fühlt", sagt Clara Brandi, "also auch so kleinen Ländern wie Liberia oder Afghanistan."

Für die Zukunft der WTO ist es entscheidend, welchen Weg die Schwellenländer einschlagen. Es besteht die Gefahr, dass sie sich von der WTO abwenden und eigene regionale Verhandlungen starten. Sicher ist, Multilateralismus bleibt enorm wichtig. "Die WTO mag ihre Schwächen haben, aber die Welthandelsorganisation ist das Forum, in dem alle Länder bei den Verhandlungen mit am Tisch sitzen und eine Stimme haben", so Brandi.

Im multilateralen Prozess können kleinere Länder außerdem besser Koalitionen schmieden und sind so weniger stark dem Einfluss der großen Länder ausgesetzt. Multilaterale Abkommen verhindern schließlich die Diskriminierung unbeteiligter Drittstaaten. Sie schaffen Handelsregeln mit globaler Geltungskraft, die einen Gegenpol zum "Spaghetti-bowl", zum Durcheinander regionaler Abkommen darstellen. "Deutschland hat nicht zuletzt als Exportnation ein Interesse an der Zukunft des globalen Handelssystems und sollte sich für die WTO als Verhandlungsforum stark machen."