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Ist ein Ende der Corona-Pandemie in Sicht?

2. Februar 2022

Ändert Omikron alles? Wird die Pandemie zur Endemie? Ist die Euphorie darüber berechtigt? Die ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es nicht!

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Personen ohne Maske in der U-Bahn in Dänemark nach Aufhebung aller Corona-Beschränkungen
Ungewohnte Normalität: Keine Masken! In Dänemark sind fast alle Coronabeschränkungen gefallen.Bild: Liselotte Sabroe/Ritzau/Scanpix/imago images

Es ist schon skurril: Einerseits schießen die Infektionzahlen und Inzidenzen in schwindelerregende Höhen, bei denen wir uns vor einem Jahr noch in den kollektiven Lockdown gestürzt hätten. Andererseits macht sich Hoffnung auf ein Ende der Pandemie breit und wir diskutieren über mögliche Lockerungen.

In Dänemark sind trotz einer Rekord-Inzidenz von 5200 fast alle Corona-Beschränkungen gefallen. Weiter zu machen mit den Einschränkungen bringe Kosten für "Wirtschaft, Wohlbefinden und demokratische Rechte" mit sich, begründete der dänische Politikwissenschaftler Michael Bang Petersen den Schritt. All dies würde zu einer "Pandemie-Erschöpfung" führen. "Lockdowns verursachen Misstrauen, von daher ist es klug, Maßnahmen zu lockern, wenn das möglich ist", so Petersen, der die dänische Regierung in Corona-Fragen berät. 

Die Impfungen schützen uns vor dem Schlimmsten, selbst Infektionen lösen keine panische Schockstarre mehr aus, weil die Verläufe durch Omikron seltener schwer sind. Außerdem sind in Teilen von Europa und den USA die hohen Infektionszahlen bereits rückläufig.

Ausgerechnet durch die hochansteckende Omikron-Variante könnte sich die Pandemie zur Endemie entwickeln, so die Hoffnung.

Das Virus würde zwar nicht gänzlich verschwinden, sondern regelmäßig, aber nur noch in einer begrenzten Region oder in Teilen der Bevölkerung vorkommen. Der Spuk hätte ein Ende, wir bekommen endlich unser gewohntes Leben, unsere Freiheiten wieder.

Ist die Freude darüber angebracht? Wird das Virus tatsächlich endemisch? Ändert Omikron alles? Die ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es nicht!

Zukunft bleibt ungewiss

Kein Experte, kein Politiker und kein Journalist kann mit Sicherheit vorhersagen, wie sich die Situation in den nächsten Monaten entwickeln wird. Weil wir schlicht nicht wissen, in welche Richtung dieses tückische SARS CoV-2 weiter mutieren wird. Nur dass es mutiert, das ist sicher. Das tun Viren nun einmal, wenn sie auf einen Wirt wie den Menschen treffen.

"Wir wissen nicht, was für Varianten noch kommen, die die Immunität vielleicht umgehen und auch zu schweren Verläufen führen können", so Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. "Ich teile die Euphorie nicht, dass Omikron uns jetzt in die Endemie führt", sagte Krause den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Möglich ist auch, dass die Omikron-Welle wieder abflacht und sich diese Virusvariante doch nicht durchsetzt. "Es ist absolut möglich, dass nach dem Abflachen der aktuellen Welle Delta zurückkommt", so Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München ebenda.

Endemisch heißt nicht ungefährlich

Alte oder neue, gefährlichere oder harmlosere Varianten können auftauchen. Oder auch nicht. Und selbst wenn das Virus endemisch wird, bleibt es gefährlich und alles kann sich sehr schnell wieder ändern. "Endemisch heißt nicht, dass es dann ganz vorbei und gänzlich ungefährlich ist. Natürlich kann sich der Zustand durch eine veränderte Virusvariante schnell ändern und auch wieder epidemisch werden, also sich über das Übliche hinaus ausbreiten", sagt der Bremer Infektionsepidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie im DW-Interview.

"Wenn es nicht endemisch wird, hat man eine andauernde epidemische Situation, in der immer wieder hohe Infektionswellen durch die Bevölkerung durchlaufen. Auch das ist eine denkbare Alternative, die wir natürlich umgehen müssen, durch vorsichtiges Handeln und vor allen Dingen durch die effektive Impfung, die wir glücklicherweise haben", so Zeeb.

Schwierige Entscheidungen

Trotz der ungewissen Zukunft müssen Entscheidungen getroffen werden, wie wir mit den Gegebenheiten umgehen. Welche Lockerungen im gegenwärtigen Pandemieverlauf möglich sind, auch wenn sich dadurch mehr Infektionen ergeben können, entscheiden nicht Wissenschaftler, sondern die politisch Verantwortlichen.

Der Chefarzt der Lungenklinik Bethanien in Moers, Thomas Voshaar, hatte die Omikron-Variante als Ausweg aus der Pandemie bezeichnet und im Deutschlandfunk dafür plädiert, Omikron "durchrauschen" zu lassen. Man müsse darauf hoffen, dass sich hundert Prozent infizierten, das sei der natürliche Weg in den endemischen Zustand.

Große Sorgen um die Situation in den Krankenhäusern hat Voshaar nicht: "Es spricht nichts dafür, dass die Intensivstationen an die Grenzen kommen. Auf den Normalstationen müssen wir das aushalten, das wäre ja nur für wenige Wochen." Danach aber wäre man einen Riesenschritt weiter, deshalb müsse man das zulassen.

Das sieht der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité ganz anders: "Für Deutschland ist natürliche Immunisierung keine Option", so Drosten im Deutschlandfunk. "Die Frage ist, was das kostet", sagt Drosten. Vor allem in Ländern mit hohem Durchschnittsalter würden viele Menschen sterben. Der Preis wäre zu hoch, meint Drosten.

Risikoabwägung wie bei der Grippe

"Wie viele Erkrankungen sind wir bereit zu akzeptieren? Wie viele können wir verhindern und zu welchem Preis?" Dies sei keine rein medizinische Frage, so Epidemiologe Krause. Dafür brauche es eine gesellschaftliche Verständigung.

Schwierige Fragen, bei denen man sich nach Krauses Auffassung zum Beispiel an den alljährlichen Grippewillen orientieren könne: "Die Verluste einer mittleren Influenza-Saison sind wir als Gesellschaft offenbar bereit, hinzunehmen."

Der Vergleich mit der Grippe liegt nahe, denn auch dieses Virus haben wir nicht ausrotten können. Es kommt in regelmäßigen Abständen und als immer neue Variante, aber wir haben gelernt damit zu leben. Durch überstandene Infektionen oder Impfungen können wir eine Immunität aufbauen.

Impfung gegen Coronavirus in Norwegen
Bei Älteren oder bei Menschen mit Vorerkrankungen könnte im Herbst 2022 eine vierte Impfdosis nötig werden. Bild: Fredrik Hagen/NTB/AP/picture alliance

Ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Beschwerden können sich durch jährliche Grippeschutzimpfungen vor dem ständig mutierenden Virus schützen.

Ähnlich könnte es beim Coronavirus aussehen. "Wenn man geimpft ist und dann vielleicht zusätzlich eine Infektion hatte, kann das Immunsystem mit neuen Varianten, die jetzt kommen könnten, gut umgehen", so Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München.

Bei Risikogruppen sollte allerdings erwogen werden, ob im Herbst 2022 eine vierte Impfdosis nötig ist. Bei der Entscheidung können die Daten aus Israel als Orientierung dienen, wo bereits viele ihre vierte Dosis erhalten haben, so Protzer.

Flexibel anpassen

Auch wenn wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, so haben wir dennoch erfahren, wie hartnäckig und wandlungsfähig dieses Coronavirus ist. Wir sollten davon ausgehen, dass es uns noch eine lange Zeit begleiten wird.

Wir haben uns allerdings auch eine Reihe von Möglichkeiten erarbeitet, um uns besser vor dem Virus schützen und angemessen auf die jeweilige Situation reagieren zu können.

Wir haben bereits gelernt, mit dem Virus zu leben. Nicht nur das Virus ist anpassungsfähig, wenn's ums Überleben geht, wir Menschen sind es auch.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund