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Kunst

Italien feuert ausländische Museumsdirektoren

23. August 2019

Nazi-Methoden und Machtmissbrauch werfen Museumsdirektoren Italiens Regierung vor. Denn sie verlieren den Job und verlassen das Land - nicht ganz freiwillig.

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Michelangelos "David" in der Galleria Dell'Accademia in Florenz
Bild: VINCENZO PINTO/AFP/Getty Images

Cecilie Hollberg kann es noch immer nicht fassen. Erst im Juni 2019 sollte ihr Vertrag als Direktorin des berühmten Museums Galleria Dell'Accademia in Florenz um weitere vier Jahre verlängert werden, doch dann das: eine Kündigung per Telefon. Ohne Angabe von Gründen. Am 22. August 2019 musste sie überstürzt ihr Büro räumen, konnte sich nicht mal mehr von allen Mitarbeitern verabschieden. Ihre E-Mail-Adresse existiert nicht mehr. Schluss. Aus. Ende. Warum? Hollberg weiß es selber nicht genau. Die Mittelalterhistorikerin leitete bis zu ihrem Amtsantritt 2015 in Italien das Städtische Museum Braunschweig. Sie befreite das Museum Galleria Dell'Accademia aus einer Art Dornröschenschlaf. Das meint konkret: nicht nur mehr Eigenständigkeit, mehr Wahrnehmung. Sie habe überhaupt erst einmal dafür gesorgt, dass das Haus gewissen europäischen Mindeststandards genügt.

Cecilie Hollberg leitete als erste deutsche Museumsdirektorin in Italien von 2015 bis 2019 eines der wichtigsten Museen Italiens, die Galleria Dell'Accademia
Cecilie Hollberg war die erste deutsche Museumsdirektorin in ItalienBild: picture-alliance/dpa/S. Garbari

Eines der wichtigsten italienischen Museen: veraltet und morsch

Wenn man Cecilie Hollberg zuhört, gewinnt man den Eindruck, sie hat einen abgewrackten Tanker in ein Schnellboot verwandelt. Bei ihrem Amtsantritt, erzählt sie im DW-Interview, fehlte 40 Prozent des Personals, es gab keine Verwaltung, keinen Restaurator, nicht einmal eine Klimaanlage, die den Namen verdiente, existierte: Das 40 Jahre alte Stück war notdürftig repariert oder fehlte gleich ganz in vielen Räumen. Die Mängelliste von einem komplett veralteten Beleuchtungssystem über vergammelte Dachbalken ließe sich noch fortsetzen. Ein Museum, das eines der traditionsreichsten und bedeutendsten Italiens ist. Es ging aus der ersten Künstlerakademie Europas hervor, es beherbergt eine kostbare Gemäldesammlung und - Prunkstück und Publikumsmagnet - den "David" von Michaelangelo.

Der Innenhof der Uffizien in Florenz
Die Uffizien regieren jetzt über die Galleria Dell'Accademia mitBild: picture alliance/DUMONT Bildarchiv

Italiens Regierung dreht die Zeit zurück

Dass "zu viel Erfolg" einmal ihr Schaden sein könnte, damit hatte Cecilie Hollberg 2015 nicht gerechnet. "Neid, Politik, Macht, da stecken viele Faktoren dahinter", sagt die Historikerin, die ihr Amt als erste deutsche Museumsdirektorin in Italien antrat. Damals war sie Teil einer großangelegten Modernisierungskampagne des Kulturministers Dario Franceschini, der die Museumslandschaft reformieren und fit fürs 21. Jahrhundert machen wollte. Dafür hatte er gleich sieben nicht-italienische Direktoren eingestellt. Doch auf den Umbau folgt nun der Rückbau. Die Accademia, endlich unabhängig und mit einer eigenen Identität versehen, soll künftig mit der riesigen Gemäldegalerie der Uffizien in Florenz zusammengelegt werden. 

Der deutsche Kunsthistoriker Eike Schmidt, Direktor der Uffizien seit 2015, hat schon vor dem Antritt der Populisten-Regierung entschieden, Italien den Rücken zu kehren und an das Kunsthistorische Museum Wien zu wechseln.

Vorwurf: Italiens Regierung agiert wie in Diktatur

Die bislang regierende populistische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Partei "Lega" raubte den Museen ihre Autonomie. "Die Politik instrumentalisiert die Kultur", so Hollberg. Die Vorgänge seien undemokratisch und inakzeptabel. "Das kennen gerade wir Deutschen sehr gut aus zwei Diktaturen", sagt sie aufgebracht. Der Österreicher Peter Aufreiter, ebenfalls 2015 nach Italien geholt, verlässt die Galleria Nazionale delle Marche in der Stadt Urbino. Unfreiwillig. Der Kulturmanager kehrt der Nationalgalerie den Rücken und zieht wieder zurück nach Österreich, um ab 1. Januar 2020 das Technische Museum in Wien zu leiten.

Kulturmanager Peter Aufreiter leitet nicht mehr die Nationalgalerie von Urbino, sondern kehrt zurück nach Österreich
Peter Aufreiter kehrt nach Österreich zurückBild: picture-alliance/dpa/A. Masiello

"Salvini posiert und redet wie Mussolini"

Andere von Hollbergs Kollegen, wie der Österreicher Peter Assmann, der ebenfalls 2015 in Mantua zum Direktor des Herzogspalasts, dem Palazzo Ducale, berufen wurde, wechselt im November 2019 überraschend an das Tiroler Landesmuseum in Innsbruck. Der 55-Jährige ist geradezu wütend auf die Regierung. Auf einmal hieße es überall "Italia nostra", "Unser Italien", beschwert sich Assmann über den neu erstarkten Nationalismus. "Ich sehe Parallelen zur Machtergreifung der Faschisten vor dem Zweiten Weltkrieg. Salvini posiert und redet wie Mussolini", sagte er in einem Interview mit Spiegel-Online.

Genau wie Hollberg befürchtet er, dass die Kultur ab sofort der Politik untersteht. "Die Reform wird komplett zurückgedreht. Die Regierung in Rom wird alles in der Hand behalten". Ist es Zufall, dass gleich mehrere nicht-italienische Museumsdirektoren gleichzeitig ihr Amt quittieren müssen? Gabriel Zuchtriegels Vertrag als Direktor der antiken Stätten in Paestum, südlich von Neapel, ist allerdings verlängert worden. Assmann ist trotzdem misstrauisch und sieht dahinter nur eine Verschleierungstaktik: "Die kicken auch die Ausländer nicht mit einem Schlag raus, sondern schleichend".

Museumsdirektor Peter Assmann ist wütend auf die italienische Regierung
Peter Assmann ist wütend auf die italienische RegierungBild: picture-alliance/dpa/Ropi

Ausländerfeindlichkeit sieht Cecilie Hollberg nicht als Motiv ihrer plötzlichen Kündigung. Eher ein menschenverachtendes Verhalten. Sie selbst wurde in Florenz bis zuletzt als Deutsche und als Pionierin an der Museumsspitze stets sehr freundlich aufgenommen worden, sagt sie. Ihre Freunde hielten zu ihr, das Museumspersonal sei auf ihrer Seite. Noch immer sei sie voller Idealismus und Glauben, dass "noch nicht alles verloren ist". Schließlich könne die Ernte langjähriger Ausschreibung von Bauarbeiten jetzt erst eingeholt werden. Sie stehe noch zur Verfügung, zumal der Vertrag rein rechtlich erst am 30. November ausläuft. Doch dafür muss in Italiens Regierung überhaupt erst einmal jemand bemerken, was diese gerade zerstört.

Reisetipps für Florenz von Meggin Leigh

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion