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Italien und die Geburtsfehler des Euro

Zhang Danhong
12. November 2018

Bis zum 13. November hat Rom Zeit, den Budgetplan nachzubessern. Sonst könnten erstmals in der Geschichte der Währungsunion Sanktionen drohen. Die Schuldenkrise in Italien sagt mehr über den Euro aus als über das Land.

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Eine italienische Ein-Euro-Münze ist in einer Schale halb unter Wasser zu sehen, in der sich die Nationalfarben von Italien spiegeln
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Der italienische Staat ist mit über 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. In der Eurozone hat proportional nur Griechenland noch mehr Schulden. Um aus diesem Schuldensumpf herauszukommen, hatte die Vorgängerregierung in Rom versprochen, bei der Haushaltsplanung nicht mehr als 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für neue Schulden auszugeben. Daran fühlt sich die neue links-rechts-populistische Regierungskoalition nicht gebunden. In dem Mitte Oktober vorgelegten Budgetplan für 2019 ist das Dreifache an Neuverschuldung vorgesehen.

Joachim Starbatty
Prof. Joachim Starbatty, Ökonom und Mitglied des EuropaparlamentsBild: picture-alliance/dpa

Der Euro-Kritiker Joachim Starbatty, Ökonom und Abgeordneter des Europaparlaments, geht davon aus, dass das tatsächliche Haushaltsdefizit weit mehr als die ausgewiesenen 2,4 Prozent beträgt. "Diese Zahl beruht auf Annahmen, die unrealistisch sind. Wenn man die Wachstumsrate und die Arbeitslosenquote realistisch setzt, wenn man einige Ausgaben genau durchforstet, dann müsste das Defizit deutlich über drei Prozent liegen", sagt Starbatty gegenüber der Deutschen Welle. Das sei der Grund für die große Besorgnis der EU-Kommission. 

Konstruktionsfehler des Euro

Das offenbart auch den ersten Geburtsfehler der Gemeinschaftswährung: Getrennte Fiskalpolitik bei gemeinsamem Geld. "Als man sich entschlossen hat, die Währung zu vergemeinschaften, war man nicht bereit und auch nicht in der Lage, die Finanzpolitik zu vereinheitlichen", sagt Berthold Busch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Man habe über Regeln des Stabilitätspakts und makroökonomische Überwachung versucht, um sich in der Fiskalpolitik anzunähern, so der Ökonom im Gespräch mit der DW.

Ein weiterer Geburtsfehler des Euro wird dadurch sichtbar: Die Stabilitätsregeln (Obergrenze der Verschuldung) wurden hundertfach verletzt. Die verabredeten Sanktionen wurden kein einziges Mal durchgesetzt, da die Entscheidungsgewalt bei den Regierungschefs gelegen hatte. Mit anderen Worten: Potenzielle Schuldensünder urteilten über aktuelle Sünder. Da war Nachsicht programmiert. Im Laufe der Schuldenkrise wurde diese Regel geändert: Nun darf die EU-Kommission über Sanktionen allein entscheiden, womit der Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici bereits in Richtung Rom gedroht hat. IW-Experte Busch schließt diesmal nicht aus, dass es tatsächlich zu Strafmaßnahmen kommen könnte. Weil eine neue Dimension erreicht sei: "Bisher ist das Regelwerk nie in Frage gestellt worden. Es ging immer um eine flexible Auslegung. Jetzt haben wir den Fall, dass ein Land sagt: Das Regelwerk interessiert uns nicht mehr."

Sanktionen: Ohne rote Karte sind gelbe Karten nutzlos

Trotz der Drohung aus Brüssel glaubt Joachim Starbatty nicht, dass Italien einlenken wird. Denn ein wirkliches Druckmittel habe die EU nicht. Sie könne höchstens gelbe Karten zeigen. "Wenn keine rote Karte folgt, ist die gelbe Karte nichts wert."

Mit roter Karte ist der Ausschluss aus der Gemeinschaftswährung gemeint. Der Euro ist nämlich als eine ewige Ehe konstruiert – ohne Möglichkeit auf Scheidung. Zwar darf jedes Land die Eurozone theoretisch freiwillig verlassen. Die Betonung liegt aber auf "theoretisch". Weder die Griechen noch die Italiener wollen auf den Euro verzichten. Der Grund liegt auf der Hand: Im Euroverbund sind die Staatsschulden in Euro und somit in eigener Währung, was Griechenland und Italien von anderen Schwellenländern wie Argentinien unterscheidet, die sich in US-Dollar und somit in Fremdwährung verschuldet haben.

 Berthold Busch erhofft sich dennoch Druck von einer anderen Front – den Finanzmärkten. "Aktuell hat Italien 480 Milliarden Euro Anleihen, die innerhalb des nächsten Jahres refinanziert werden müssen. Dann kommt es ganz entscheidend darauf an, welche Zinsen die Kapitalmärkte verlangen." Würden sie hohe Zinsen verlangen, müsste Rom seine Position überdenken.

Dr. Berthold Busch
Dr. Bethold Busch, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW)Bild: Institut der deutschen Wirtschaft/Straßmeier

EZB-Pulver verschossen

Wenn da nicht die Europäische Zentralbank wäre. Bisher hat sie es mit Anleihekäufen, mit Notkrediten und dem What-ever-it-takes-Versprechen geschafft, die Eurozone irgendwie zusammenzuhalten. Doch auch die EZB ist langsam am Ende mit ihrem Latein. Sie wird zuerst aus dem Anleihekaufprogramm und dann aus der Nullzinspolitik aussteigen, will sie nicht Gefahr laufen, dass die Wirtschaft in Ländern wie Deutschland zu heiß läuft. Dann werden aber die Zinsen für Staatsanleihen steigen, was für Italien Gift wäre. Eine weitere Fehlkonstruktion des Euro: Eine Geldpolitik wird für sehr unterschiedliche Volkswirtschaften geschnürt - one size fits all, was aber nicht allen passen kann.

Eines steht fest: Italien ist mit dem Achtfachen der Wirtschaftskraft von Griechenland eine andere Hausnummer. Eskaliert dort die Schuldenkrise, sind nicht mal die Taschen der EZB tief genug, um das Land zu retten. Was die Zukunft des Euro anbelangt, bleibt Joachim Starbatty deswegen pessimistisch: "Mors certa hora incerta – Der Tod ist sicher, die Stunde ungewiss."