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Italiens Referendum: Gefahr für den Euro?

2. Dezember 2016

Vor dem Referendum über eine Reform der Verfassung in Italien zeigen sich die Finanzmärkte nervös. Ein Nein, so das Argument, könnte das Ende der Eurozone einläuten. Ist da was dran?

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Matteo Renzi
Bild: picture-alliance/dpa/F. Singer

Nachdem die Briten für den Brexit gestimmt haben und die US-Amerikaner für Trump, wird das Referendum in Italien am 4. Dezember als Schicksalswahl präsentiert. Stimmen die Italiener mit Ja, kann das Land grundlegend reformiert werden, glaubt Premierminister Matteo Renzi (Artikelbild). Stimmen sie mit Nein, könnte das der Anfang vom Ende der Eurozone sein.

Die meisten Umfragen erwarten ein Nein, also die Ablehnung einer Verfassungsreform, die Macht und Größe des Senats, der zweiten Kammer des Parlaments, beschneiden würde. In Verbindung mit einer bereits im Sommer in Kraft getretenen Änderung des Wahlrechts soll das die Regierungsarbeit erleichtern. Die Partei, die künftig 40 Prozent der Stimmen holt, erhält im Parlament die absolute Mehrheit der Sitze. Derart gestärkt, könnte sie dringend benötigte Reformen anzugehen.

Reformschwäche

Genau das war immer schon eine Schwäche der italienischen Politik. Insgesamt gab es 63 Regierungen in 70 Jahren. "Oft sind die Regierungen genau zu dem Zeitpunkt gescheitert, an dem sie versucht haben, Reformen anzugehen", sagt Christian Dunstmann, Wirtschaftsprofessor am University College in London. Er hat selbst mehrere Jahre in Italien gelehrt. "In den letzten fünf Jahrzehnten haben wir gesehen, dass sich wichtige und notwendige Reformen in Italien nur sehr schwer durchsetzen lassen", so Dunstmann zur DW.

Premierminister Renzi hatte seinen Rücktritt angekündigt, sollten die Italiener beim Referendum mit Nein stimmen. Später rückte er wieder davon ab.

Rom Virginia Raggi Bürgermeisterin
Virginia Raggi von der 5-Sterne-Bewegung: seit dem Sommer Bürgermeisterin von RomBild: Getty Images/AFP/A. Solaro

Die Finanzmärkte sind vor der Abstimmung nervös. Die Renditen auf italienische Staatsanleihen haben sich auf mehr als zwei Prozent verdoppelt - ein Indiz dafür, dass Anleger mit steigender Unsicherheit rechnen.

Ihr Argument geht so: Ein Nein wäre ein Sieg der Populisten und Euro-Gegner. Die könnten dann bei nächster Gelegenheit die Macht übernehmen. Die "Bewegung 5 Sterne" (M5S), Italiens größte Oppositionspartei, will die Bürger etwa über eine Mitgliedschaft in der Eurozone abstimmen lassen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien die Währungsunion verlässt, wird von der Investmentberatung Sentix mittlerweile auf 19,3 Prozent beziffert und damit so hoch wie nie zuvor. Sentix stützt sich dabei auf eine Umfrage unter rund 1000 Finanzfachleuten.

Hohe Arbeitslosigkeit, fehlendes Wachstum

Regierungschef Renzi ist vor fast drei Jahren als Reformer angetreten. "Er hat viele Dinge in die richtige Richtung bewegt, etwa die Reform des Arbeitsrechts", sagt Dunstmann. "Sie macht es Firmen etwas einfacher, Leute zu entlassen." Hinzu kamen Steuererleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen.

"Die Regierung hat ihre Hausaufgaben gemacht", sagt auch Jörg Buck, Geschäftsführer der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand. "Der klare Wunsch der Wirtschaft ist es, dass die Regierung Renzi ihre Arbeit in diesem Sinne fortsetzt." Voraussetzung dafür wäre eben jene Verfassungsreform, die im Referendum zur Abstimmung steht. "Aus Sicht der Wirtschaftsverbände wäre das die Mutter aller Reformen", so Buck zur DW. Dem Nein-Lager gehe es dagegen weniger um Inhalte als darum, "die Regierung abzuwählen".

Tatsächlich schwächt die schlechte Wirtschaftslage Renzis Position. Noch immer sind rund zwölf Prozent der Italiener arbeitslos, bei jungen Menschen sind es sogar fast 40 Prozent. Die Wirtschaftsleistung ist heute niedriger als vor zehn Jahren. Und die Staatsverschuldung liegt bei mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; das ist der zweithöchste Wert in der Eurozone nach Griechenland.

Protestwahl

Ein Nein beim Referendum ist für viele Italiener eine Möglichkeit, ihrem Unmut Luft zu machen. Nein zu neoliberalen Reformen. Nein zu Sparmaßnahmen. Nein zum Establishment. Nein zu Euro und EU. "Trump hat uns gezeigt, dass man gegen alles und alle gewinnen kann", sagt Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Partei Lega Nord.

Ein Nein könnte an den Finanzmärkten einen Schock auslösen, befürchtet die Europäische Zentralbank (EZB). "Abhängig vom Ausmaß eines Schocks haben wir dann zu erwägen, ob wir etwas tun müssen oder nicht", sagte EZB-Vize Vitor Constancio. Schon vier Tage nach dem Referendum könnte die EZB bei ihrer Ratssitzung Signale setzen, um die Märkte zu beruhigen. Eine weitere Lockerung der Geldpolitik würde allerdings die ohnehin schon laute Kritik aus Deutschland noch verstärken.

Italien Monte dei Paschi di Siena Bank
Die Banca Monte dei Paschi di Siena ist das älteste existierende Geldhaus der Welt - und Symbol für Italiens BankenkriseBild: Getty Images/AFP/G. Cacace

Hinzu kommt die ungelöste Krise italienischer Banken, die unter einem Berg fauler Kredite leiden. Die Banca Monte dei Paschi di Siena versucht, bis zum Ende des Jahres frisches Kapital in Höhe von fünf Milliarden Euro aufzutreiben - ein Vielfaches ihres Börsenwerts. Das werde nach dem Referendum der erste Test für die Stimmung am Markt, glaubt die Londoner Analysefirma Lombard Street Research (LSR). Sie weist zudem darauf hin, dass im kommenden Jahr rund 70 Milliarden Euro an italienischen Bank-Anleihen fällig werden.

Problem Euro

"Das größte Risiko ist aber nicht das Referendum, sondern die wirtschaftliche Stagnation", so die LSR-Analysten. Denn nicht nur Italien lahmt, sondern die gesamte Eurozone.

"Das Problem ist, dass der Euro mit den derzeitigen Mitgliedern nicht funktionieren kann und außerdem extrem unsozial ist", so LSR-Chefökonom Charles Dumas zur DW. Die Deutschen bräuchten eigentlich eine völlig andere Geldpolitik als die Italiener. "Das sichert den Populisten eine solide Basis. Sie haben nach dem italienischen Referendum noch viele Gelegenheiten, das EU-Establishment zu erschüttern."

Im März 2017 wird in Holland gewählt, ab April folgt Frankreich, dann Deutschland im Herbst. In jedem dieser Länder gibt es eine starke rechtspopulistische Partei, die Euro und EU ablehnt. In Italien sind die nächsten regulären Wahlen im Frühjahr 2018 - vorausgesetzt, Renzi hält bis dahin durch.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.