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Im Kino: "Es war einmal in Deutschland..."

Jochen Kürten
6. April 2017

Rund 4000 Juden sind nach dem Zweiten Weltkrieg im Land der Täter geblieben. Von ihnen weiß man wenig. Der Belgier Sam Garbarski hat über das historische Thema einen - humoristischen - Film gemacht.

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Filmstill Es war einmal in Deutschland
Geschäfte mit der Wäsche: Moritz Bleibtreu (Mitte) in "Es war einmal in Deutschland..."Bild: picture-alliance/dpa/X-Verleih/Fabrizio Maltese

"Hitler ist tot, aber wir leben!" schmettert David Bermann seinen neuen Geschäftspartnern zu Beginn des Films als Motivationshilfe entgegen. Bermann, gespielt von Moritz Bleibtreu, betrieb vor dem Krieg mit seinen Brüdern ein florierendes Unterwäschegeschäft in Frankfurt. Daran will er jetzt anknüpfen - als einziger Überlebender der Familie. Doch von den Alliierten bekommt er keine Lizenz. Was also machen? Bermann sucht sich ein paar überlebende Juden, die in einem Frankfurter Lager für Displaced Persons gestrandet sind, und erklärt ihnen seine Geschäftsidee.

"Alles Original aus Paris, meine Damen!"

Genügend Wäsche ist in seinen alten Warenlagern noch vorhanden. Wenn man also kein neues Geschäft aufmachen kann, dann geht das Geschäft eben zu den Kunden. Bermann und seine Mitstreiter ziehen also los, von Tür zu Tür, und drehen den Hausfrauen Tischdecken, Unterwäsche und Handtücher an: "Alles Original aus Paris, meine Damen!" Mit der Wahrheit nehmen es die gewitzten Handelsvertreter nicht ganz so genau, hier mal ein Verkaufs-Trick, dort mal eine falsche Überlebens-Geschichte. Schließlich haben die Deutschen etwas gut zu machen - und sie bekommen ja auch ganz tolle Ware für ihr Geld.

Filmstill Es war einmal in Deutschland
Handelsvertreter mit Hund: Moritz Bleibtreu als David (l.) und Tim Seyfi als FajnbrotBild: picture-alliance/dpa/X-Verleih

"Es war einmal in Deutschland…" ist eine Komödie über Juden in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Lachen über den Holocaust, über Hitler und Konsorten, das ist bekanntlich ein heikles Thema. Garbarski ist die Mischung aus Humor und Tragik über weite Strecken seines Films gut gelungen. Stützen konnte er sich dabei auf die beiden semi-autobiografischen Romane von Michel Bergmann "Die Teilacher" (kleine reisende Einzelhändler) und "Machloikes". Garbarski und Bergmann schrieben zusammen auch das Drehbuch zum Film.

Bergmann: "Weißer Fleck im kollektiven Gedächtnis der Deutschen"

Die Idee, aus den beiden Romanen eine Geschichte zu machen, habe zwei Gründe gehabt, erzählt Bergmann: "Zum einen wollte ich meinem verstorbenen Onkel David ein Denkmal setzen, der der 'König' der Teilacher war und ein grandioser Witzeerzähler. Der andere Grund war, dass es über die Einwanderung der jüdischen Holocaustopfer nach Deutschland bis dato nichts zu lesen oder sehen gab." Dies sei "ein weißer Fleck im kollektiven Gedächtnis der Deutschen", so Bergmann.

Sympathisches Figurenarsenal  

Garbarski erinnert sich, dass er sofort Feuer und Flamme gewesen sei nach Lektüre des Romans "Die Teilacher" und den Film unbedingt habe machen wollen: "Als ich ihn gelesen habe, ist mir etwas passiert, das hatte ich nur zwei, drei Mal im Leben: Ich konnte nicht aufhören und habe ihn in einer Nacht durchgelesen. Ich hatte das Gefühl, im Suppentopf meiner Mutter zwischen den Knödeln und Nudeln herumzuschwimmen." Er habe sich "in dieser Welt und bei diesen Menschen sofort zuhause" gefühlt, sagt der Regisseur.

Filmstill Berlinale Special - Es war einmal in Deutschland ...
Die Protagonisten in "Es war einmal in Deutschland" sind meist gut gelauntBild: 2017 - IGC Films - Fabrizio Maltese

Verwoben haben die beiden das Handlungsgerüst des Romans "Die Teilacher", der von den jüdischen Wäscheverkäufern erzählt, mit Elementen des anderen Buches. In "Machloikes" erzählt Bergmann von einem Juden, der im KZ nur überlebt hat, weil er so gut Witze erzählen konnte. Und zwar so gut, dass er diese Kunst des Witzeerzählens sogar dem humorlosen Adolf Hitler beibringen soll. Im Film spielt David Bermann auch diesen Part überzeugend. Seine Vergangenheit als begnadeter Humorist im KZ hat nach dem Krieg allerdings zur Folge, dass der Jude Bermann von den Alliierten verdächtigt wird, mit den Nazis kollaboriert zu haben.

Bermann wird von den Alliierten verhört

Zwischen den Verkaufsgesprächen mit seinen Kollegen bei den deutschen Hausfrauen verschwindet Bermann also immer mal wieder für ein paar Stunden spurlos. Dann wird er von dem sehr attraktiven weiblichen Special Agent Sara Simon (Antje Traue) verhört. Was hat Bermann mit den Deutschen zu schaffen gehabt während des Krieges, will Offizierin Simon wissen - und warum haben die Deutschen ausgerechnet dem Juden Bermann im Konzentrationslager eine Sonderbehandlung zukommen lassen?

Sam Garbarski
Regisseur Sam Garbarski nach der Berlinale-PremiereBild: picture-alliance/Eventpress

Hat es das tatsächlich so gegeben, eine Figur wie Sara Simon, ein US-Special Agent, der nach dem Krieg Juden verhört hat wegen des Verdachts der Nazi-Kollaboration? Sam Garbarski bestätigt das: "Diese Agenten gab es, und sie wurden wegen ihrer spezifischen Erfahrungen und Qualitäten ausgesucht. Eine rechtzeitig geflohene Deutsche, Jüdin und Juristin, war das ideale Profil."

Garbarski: "Das ist Überlebensmedizin"

"Es war einmal in Deutschland…" erzählt eine tolldreiste Geschichte aus der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1945. Garbarski setzt in seinem Film vor allem auf den so viel beschworenen jüdischen Humor. Über seine Filmprotagonisten sagt er: "Das sind Lebenskünstler, oder besser gesagt, Überlebenskünstler. Das hat viel mit jüdischem Humor zu tun. Und der ist gar nicht so lustig, sondern eher philosophisch. Das ist eher bewegend als zum Schenkelklopfen. Das ist Überlebensmedizin." Das Absurde an Davids Geschichte sei ja, dass er überlebt habe, weil er Witze erzählen konnte: "Es hat ihm das Leben gerettet und zugleich fällt es ihm schwer damit zu leben, dass er der Clown der Henker seiner Familie war."

Kino Schauspieltalente - Antje Traue
Sie kommen sich näher: Bleibtreu und die von Antje Traue gespielte OffizierinBild: IGC Films 2017/Fabrizio Maltese

Man kann dem Film vorwerfen, dass er vielleicht ein wenig zu sehr auf die unterhaltenden, humoristischen Elemente setzt, dass auch Ausstattung und Kostüme ein wenig zu sehr glitzern und glänzen. Das Tragische, das die Geschichte natürlich untergründig durchzieht, entfaltet nur wenig Tiefenwirkung.

Unterhaltsame Geschichtslektion

So kann man "Es war einmal in Deutschland..." kaum mit Romanen wie "Jakob der Lügner" oder Filmen wie "Das Leben ist schön" vergleichen, die aus dem Zusammenprall von Komik und Tragik, von jüdischem Überlebenswitz und Holocaust, eine ganz andere Tiefe und Emotionalität bezogen haben. Doch bietet "Es war einmal in Deutschland…" unterm Strich gute Kino-Unterhaltung und erzählt zudem von einem wenig bekannten Kapitel deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte.

Nach seiner Premiere bei der 67. Berlinale im Februar kommt "Es war einmal in Deutschland..." am 6.4. in die Kinos. Mehr zum Film und der Schauspielerin Antje Traue in der aktuellen Ausgabe von KINO.