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Kovacs: "Jüdisches Leben sichtbar machen"

Sabine Oelze
21. Februar 2021

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland: Der Initiator des Festjahrs, Andrei Kovacs, erzählt, was 2021 geplant ist. Und wie er persönlich mit Vorurteilen umgeht.

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Andrei Kovacs schaut freundlich in die Kamera:
"Offene Wunden" sichtbar machen: Andrei Kovacs, Vorsitzender des Vereins "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"Bild: Verein 321

Der Musiker und Unternehmer Andrei Kovacs stammt aus einer jüdisch-ungarischen Familie. Seine Großeltern überlebten das Budapester Ghetto und das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Der 46-Jährige ist leitender Geschäftsführer des Vereins "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". 

DW: Herr Kovacs, das Edikt von 321, das Kaiser Konstantin erlassen hat, belegt, dass schon im frühen Mittelalter in Köln - und wahrscheinlich auch anderswo nördlich der Alpen - Juden lebten. Glauben Sie, dass es sich um eine friedliche Koexistenz in der römischen Kolonie im Rheinland gehandelt haben könnte?

Andrei Kovacs: Das ist eine gute Frage, aber leider bin ich kein Historiker und kann sie nicht sicher beantworten. Es gab die sogenannte Mailänder Vereinbarung aus dem Jahr 313, die zwischen Kaiser Konstantin und Licinius (Herrscher über die östliche Hälfte des Römischen Reichs, Anmerk. d. Red.) getroffen wurde. Sie gewährte den Menschen im Römischen Reich Religionsfreiheit.

Ob das ein möglicher Beleg für eine friedliche Koexistenz ist, kann ich nicht sagen. Aber das zeigt, dass es eine Koexistenz verschiedener Religionen gab. Dazu zählte auch die jüdische Gemeinschaft, die mit dem Edikt 321 eben auch in die Kölner Kurie berufen werden sollte.

Laut einer Studie des World Jewish Congress aus dem Jahr 2019 halten sich immer noch alte Vorurteile gegenüber Juden: dass sie Macht über die Weltpolitik und auch über internationale Finanzmärkte haben. Woher kommen solche Vorurteile und warum halten sie sich immer noch?

Das ist mit einem Virus vergleichbar. Wir können wohl nur erahnen, woher diese Verschwörungsmythen kommen. Sie haben sich wohl aber über Jahrhunderte entwickelt und gehalten. Und sie wurden sicherlich auch durch den christlichen Antijudaismus im Laufe der Geschichte immer wieder angefeuert.

2021 – das deutsch-jüdische Jahr

Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass eine Koexistenz zwischen Juden und Nichtjuden im heutigen Deutschland und in Europa geschichtlich immer von Misstrauen und oft auch generationsübergreifenden Hass seitens der nichtjüdischen Menschen geprägt war.

Dieser Hass hat sich leider gefestigt. Und er schlummert leider auch heute noch in den Köpfen einiger Menschen. Ich persönlich habe noch nicht wirklich eine gute, rationale Begründung dafür gefunden, wie sich solche oft abstrusen Vorurteile in einer aufgeklärten Gesellschaft weiter halten können.

Begegnen Ihnen solche Vorurteile auch in Ihrem eigenen Leben?

Nicht oft, aber sie sind mir immer wieder im Alltag begegnet und tun es auch heute noch. Und das ist das, was ich auch aus meinem Freundes-, Bekannten- und Familienkreis höre. Wir kämpfen immer wieder mit Vorurteilen, oft auch gerade mit dieser überzogenen Wahrnehmung, Juden beherrschten die Weltpolitik und kontrollierten die Welt der Finanzen.

Auch hört man oft: "Juden können gut mit Geld umgehen". Ich kann bestätigen: Das ist nicht der Fall. Antisemitische Denkmuster äußern sich nicht immer negativ - manchmal klingt es wie ein Kompliment. Und das ist das Faszinierende und Gefährliche. Viele denken, sie meinen es gut - und bedienen dabei gleichzeitig unwillentlich gefährliche Stereotypen.

Können solche Vorurteile auch damit zusammenhängen, dass es hierzulande generell wenig Kontakt gibt zur jüdischen Gemeinde? Jüdische Kinder gehen ja oft auf jüdische Schulen, da gibt es einfach wenige Berührungspunkte im Alltag.

Es gibt heutzutage wieder mehr jüdische Infrastruktur und einige jüdische und nichtjüdische Kinder können auf jüdische Schulen gehen. Aber die meisten jüdischen Kinder gehen auf allgemeine staatliche Schulen. Ich glaube, dass sich viele jüdische Kinder einfach nicht unbedingt als solche zu erkennen geben, warum sollten sie auch?

Straßenbahn in Blau mit Schriftzug "Schalömchen" drauf.
Freundlichkeit verbindet: Zum Festjahr ein jüdischer Gruß an die kölschen Bewohner der Kulturmetropole KölnBild: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.

Natürlich ist es so, dass viele Menschen in Deutschland de facto noch nie bewusst einem Juden begegnet sind. Es leben aber auch nur geschätzt 0,24 Prozent Juden in Deutschland, das macht es schwer. Mit dem Festjahr versuchen wir, einen Beitrag dazu zu leisten, das zu ändern und jüdisches Leben sichtbarer und erlebbarer zu machen.

Wie wollen Sie es schaffen, dass Deutschland das jüdische Leben feiert, wo es doch anscheinend so viele Vorurteile und doch sehr wenige Berührungspunkte gibt? Was ist da Ihre Strategie?

Die Strategie ist eigentlich, einen neuen Ansatz zu fahren. Dass wir einmal etwas Neues versuchen. Antijudaismus und Antisemitismus sind wahrscheinlich über 1700 Jahre alt. Es gibt heute zahlreiche tolle Initiativen, um Begegnungen zu schaffen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen in unserer Gesellschaft. Darunter findet man oft Konzerte und Ausstellungen, die absolut auch ihre Daseinsberechtigung haben.

Auch der Gedenkkultur und der Vergangenheitsbewältigung wird mit entsprechenden Veranstaltungen viel Beachtung geschenkt. 75 Jahre nach der Shoah ist das auch immer noch sehr, sehr wichtig. Aber mit dem Festjahr versuchen wir jetzt, neue Wege zu gehen. Mit niedrigschwelligen Veranstaltungen möchten wir eine möglichst breite Gesellschaftsschicht ansprechen und einen einfachen Zugang schaffen. Wir wollen der oft schwierigen und tragischen Vergangenheit etwas Positives entgegenstellen.

Deutschland Jüdische Schule
Jüdische Kinder in der Talmud Tora Schule in HamburgBild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

Was meinen Sie mit "einfach"?

Nehmen wir beispielsweise "SUKKOT XXL". Das ist ein Projekt unseres Vereins. Hier versuchen wir, auf einfache Weise einen jüdischen Feiertag darzustellen und zu zeigen, wie jüdische Menschen wirklich feiern. Wir möchten gemeinsam eine Laubhütte, eine "Sukka", bauen und dekorieren.

Es geht auch darum, gemeinsam viel Zeit in der Laubhütte zu verbringen: gemeinsam darin zu essen, zu trinken, sich zu unterhalten, zu diskutieren, zu lachen, zu streiten. Und so wollen wir diesen Feiertag auch präsentieren, um dazu beizutragen, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen. So möchten wir möglicher Mystik, Vorurteilen oder Phantasmen entgegenwirken, die der Realität Platz geben. Dabei wollen wir es den Menschen möglichst einfach machen, diesen Feiertag wirklich kennenzulernen.

Anderes Beispiel: Gemeinsam mit einem jüdischen Puppentheater wollen wir jüdische Feiertage filmisch erklären. Damit wollen wir auch zeigen, dass man alles auch ein bisschen witziger, ein bisschen lockerer, einfach entkrampfter angehen kann.

Puppen sitzen in einem blauen Bus, auf dem "Schalömchen" steht.
Bubales Puppentheater: Kindern werden so jüdische Geschichten erzähltBild: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.

Es muss nicht immer eine Lesung oder ein Konzert sein. Man kann es auch niedrigschwellig versuchen. Und so wollen wir versuchen, neue Zugänge zu schaffen. Wobei auch klassische Konzerte und Lesungen natürlich ein sehr wichtiger Bestandteil der jüdischen Kulturvermittlung sind und bleiben.

Sie wollen also eine Art gegenwärtige jüdische Kultur erlebbar machen…

Richtig, wir wollen sie zusammen erleben. Aber wir wollen auch zeigen: Was hat jüdisches Leben, was haben Jüdinnen und Juden in den mehr als 1700 gemeinsamen Jahren zur Gesellschaft beigetragen? Aber selbst wenn wir beispielsweise über historische Ausstellungen sprechen, versuchen wir immer einen Fokus darauf zu legen, was wir daraus lernen können.

Es gab gute und schlechte Epochen für jüdische Menschen im heutigen Deutschland. Wobei die schlechten Zeiten wahrscheinlich weit überwiegen. Aber was bedeutet das für uns heute? Was lernen wir daraus?

Mit Interesse hab ich gelesen, dass sich der Kölner Dom an dem Festjahr einerseits mit einem Kunstwerk beteiligen wird und dass andererseits sogar darüber nachgedacht wird, judenfeindliche Darstellungen wie beispielsweise die sogenannte "Judensau" am Domgestühl zu entfernen. Über diese antisemitischen Spottfiguren gab es ja in Deutschland eine große Debatte. Wie soll die Kooperation ablaufen?

Es geht vor allem um die "Judensau", wie man sie nennt, die ja nicht nur hier in Köln, sondern deutschlandweit an Kirchen dargestellt wird. Das ist ein wichtiges Beispiel für historischen Antijudaismus - wie jüdische Menschen in der Vergangenheit gesehen wurden. Die "Judensau" zeigt, dass antijüdische Vorurteile zur Normalität gehörten, dass Hass und Misstrauen das christlich-jüdische Miteinander geprägt haben.

Betrachtet man die laufende Debatte rund um die "Judensau" an Kirchen, dann merkt man - selbst als Nicht-Historiker - dass hier noch viel aufgearbeitet werden muss. Ich finde das unfassbar wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen und Wege der Aufarbeitung der Vergangenheit zu finden. Und das passiert gerade. Auch das ist Teil des Festjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr genau solche "offenen Wunden" sichtbar machen und solche wichtigen Diskurse anregen können.

Das Interview führte Sabine Oelze.

Gespräch mit Andrei Kovacs, Verein "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"

Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion