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Jüdisches Museum Frankfurt eröffnet nach Umbau

Torsten Landsberg
20. Oktober 2020

Fünf Jahre lang wurde das Jüdische Museum Frankfurt erweitert und inhaltlich umgebaut. Es bildet auch jüdische Gegenwart ab, sagt Direktorin Mirjam Wenzel.

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Deutschland Das lichtdurchflutete Atrium im Lichtbau des neuen Jüdischen Museums in Frankfurt
Bild: Norbert Miguletz/Jüdisches Museum Frankfurt

Jüdische Museen haben eine lange Tradition. Im Dresdner Zwinger zeugten schon 1730 Tora-Rollen und der Holznachbau des Jerusalemer Tempels vom jüdischen Leben. Heute, fast 300 Jahre später, gibt es weltweit mehr als 90 jüdische Museen, von Sao Paulo über Istanbul bis nach Melbourne. Neue kommen hinzu, gerade eröffnete im litauischen Šeduva das Lost Shtetl Museum.

Das Jüdische Museum Frankfurt ist das älteste kommunale jüdische Museum in Deutschland, es wurde zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms am 9. November 1988 der Öffentlichkeit übergeben. Nach einer fünfjährigen und umfangreichen Umbauzeit eröffnet es an diesem Mittwoch (21. Oktober 2020) wieder für das Publikum. "Wir folgen dem Leitbild vom Museum ohne Mauern", sagt die Direktorin, Mirjam Wenzel, im DW-Gespräch.

Außenansicht des Jüdischen Museums in Frankfurt
Modern und Klassizistisch: Das Jüdische Museum Frankfurt wurde erweitert und komplett neu konzipiert Bild: Norbert Miguletz/Jüdisches Museum Frankfurt

Plurale jüdische Gegenwart

Das Palais der Frankfurter Bankiersfamilie Rothschild, 1820 im klassizistischen Stil erbaut, wurde umfangreich saniert, sowie durch einen neuer Lichtbau des Architekturbüros Staab ergänzt. Beide Gebäude korrespondieren und rahmen den neu entstandenen Vorplatz ein, der auch die neue Adresse des Museums bildet.

Er ist nach der Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim benannt, der Gründerin des Jüdischen Frauenbundes. Auf dem Platz steht im winkel der beiden Gebäude eine zarte Baum-Skulptur aus Aluminium, entworfen von dem israelischen Künstler Ariel Schlesinger.

Der strenge Neubau-Kubus wird wechselnde Ausstellungen beherbergen, im Rothschild-Palais ist auf drei Stockwerken die neu konzipierte Dauerausstellung eingerichtet. "Die alte Dauerausstellung war hoffnungslos veraltet", sagt Mirjam Wenzel. Es sei notwendig gewesen, mit der Wiedereröffnung eine andere, moderne Perspektive über die plurale jüdische Gegenwart zu bieten.

Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt
Was bedeutet jüdisch? "Wir definieren nicht", sagt Direktorin Mirjam Wenzel (Foto: 2020)Bild: Jüdisches Museum Frankfurt

Mit der Gegenwart geht es im Museum auch los: "Wir sind jetzt", lautet das Motto, das Fragen aus dem Jetzt in die Vergangenheit schicken soll. "Wir erzählen historische und persönliche Geschichten immer wieder mit Bezug zur Gegenwart", erklärt Mirjam Wenzel. Dazu zählen ausführliche Biografien, etwa vom Impressionisten Jakob Nussbaum oder der Journalistin Martha Wertheimer.

"Was tust Du gegen Antisemitismus?"

Museen müssen heute mehr leisten, als Exponate bloß auszustellen und mit einem Text zu versehen. Sie müssen ansprechen, begeistern, einbinden. "Wir bieten eine partizipative und integrative Ausstellung, gehen nah an die Dinge heran, inszenieren lebendig und aus vielen Perspektiven."

Die Direktorin, seit 2016 im Amt, erzählt von einer Vitrine, in der sich die Besucherinnen und Besucher erst spiegeln, bevor sie hineinsehen können. Während in den Ausstellungstexten die förmliche Anrede genutzt wird, würden die Leute im Raum "Gegen den Judenhass" in direkter Ansprache konfrontiert: "Was tust Du gegen Antisemitismus?"

Jüdisches Museum Frankfurt: Blick nach oben im Treppenhaus, das wie ein unregelmäßig geformtes Schneckenhaus gestaltet ist - eine Person blickt nach unten
Kunstvoll: Blick in das Treppenhaus des neu umgebauten Jüdischen MuseumsBild: Boris Roessler/dpa/picture-alliance

Modern soll auch das Verständnis von Besitz und Eigentum sein. Der Provenienz von Exponaten jüdischer Eigentümer wird eine große Bedeutung zugeteilt, Restitutionen sollen aktiv angeboten werden. Darüber, was ein Jüdisches Museum darf, gab es in jüngerer Vergangenheit eine kontroverse Debatte: Der Direktor des Jüdischen Museums Berlin, Peter Schäfer, musste 2019 nach einer Israel-kritischen Ausstellung über Jerusalem seinen Hut nehmen. Auch international stehen jüdische Museen unter dem Druck von Traditionalisten, die die Vermittlung jüdischer Identität als zentrale Aufgabe der Einrichtungen sehen.

Was ist jüdisch? "Wir definieren nicht"

"Wir vermeiden das Wort 'Identität'", sagt Mirjam Wenzel, die selbstbewusst darauf verweist, dass in Frankfurt nun ein neues Museum mit neuem inhaltlichem Schwerpunkt und neuem Selbstverständnis eröffne. Die Definition des Begriffes "jüdisch" sei häufig eine Kernfrage für jüdische Museen.

Anders in Frankfurt: "Wir definieren nicht", sagt sie. "Unsere Grundvorstellung ist kulturell, zeremoniell, verbunden mit Musik, Kunst und Literatur." Im Zentrum stehe die Pluralität der Geschichten und Biografien. Mit Blick auf Berlin ergänzt Wenzel, dass sie es nicht als museale Aufgabe verstehe, territoriale Konflikte zu verhandeln.

Der in Mexiko lebende israelische Künstler Ariel Schlesinger neben einem Modell seiner Außenskulptur für das neue Jüdische Museum in Frankfurt: zwei weiße miteinander verschränkte Bäume
Der in Mexiko lebende israelische Künstler Ariel Schlesinger hat eine Außenskulptur für Frankfurt entworfenBild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenh

Das Museum steht in engem Austausch mit der jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Die blickt auf eine 900-jährige Geschichte zurück. Über Jahrhunderte hinweg war die Stadt ein Zentrum jüdischen Lebens, bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 unter Reichskanzler Adolf Hitler zählte die jüdische Gemeinde in Frankfurt mehr als 30.000 Mitglieder, eine der größten in Deutschland. Diese reichhaltige Historie gilt es mit einer zunehmend feindseligen Gegenwart zu verbinden. 

Historisch sei es um das Verhältnis des Judentums zu einer mehrheitlich nicht-jüdischen Gesellschaft gegangen, das von Konflikten geprägt gewesen sei. "Diese Konflikte spitzen sich zu in Zeiten von zunehmendem Antisemitismus." Das Museum ohne Mauern muss einen Spagat vollziehen: Offenheit leben, ohne die Sicherheit zu vernachlässigen.

Ein wichtiger Ansatz sei dabei die Bildungsarbeit. "Wir gehen in berufsbildende Schulen und fragen: 'Woher kommst du, welche Erzählungen kennst du aus deiner Familie?'", berichtet Mirjam Wenzel. Es müsse versucht werden, über die persönliche Ansprache Interesse für die jüdische Kultur zu wecken. So könnten auch Parallelen etwa zwischen jüdischer und islamischer Kultur aufgezeigt werden. "Wichtig ist dabei, dass wir unser Gegenüber ernst nehmen."