1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Dank Klopp in neuen Sphären

Matt Pearson
8. Mai 2019

Dank des fulminanten Sieges gegen Barcelona stehen Jürgen Klopp und der FC Liverpool zum zweiten Mal in Folge im Finale der Champions League. Während Klopp jubelt, erlebt ein anderer Deutscher einen Abend zum Vergessen.

https://p.dw.com/p/3I7hD
Fussball Champions League Halbfinale l FC Liverpool vs FC Barcelona | Trainer Jürgen Klopp
Bild: Getty Images/C. Brunskill

Als der restliche Trainerstab, die Auswechselspieler und sogar einige ekstatische Fans nach dem Schlusspfiff in Richtung der Liverpooler Fankurve "The Kop" sprinteten, zog es Jürgen Klopp zunächst genau in die andere Richtung. Der deutsche Cheftrainer wandte sich vom wilden Trubel ab, um den verletzten Mohamed Salah zu umarmen, der den Slogan "Never Give Up" auf dem T-Shirt trug und damit das Motto des Abends vorgegeben hatte. Dann joggte Klopp los, um auch Sadio Mané zu erwischen. Dabei war der 51-Jährige deutlich  erfolgreicher als die meisten Verteidiger des FC Barcelona zuvor, die reihenweise beim Versuch gescheitert waren, den wendigen Senegalesen zu stellen. Klopp hatte allerdings den Vorteil, dass er zum einen seine Arme benutzen durfte - und so umschlang er Mané ganz einfach. Zum anderen wollte der Stürmer gar nicht mehr weglaufen, sondern ließ sich von seinem Trainer herzen und hochheben.

Der verdiente 4:0-Erfolg gegen den FC Barcelona, eine Partie voller unglaublicher Momente, steht sinnbildlich für das, was der deutsche Trainer mit dem englischen Verein erreicht hat. Es war ein Sieg, der zu gleichen Teilen auf individuellem Können, Einsatz und Taktik fußte, der aber ebenso von der engen Verbindung zwischen Trainer, Team und Fans profitierte, was Ziele und Philosophie des Klubs angeht. Sie bildeten eine Einheit, gegen die auch die Superstars des FC Barcelona - egal ob alleine oder im Kollektiv - machtlos waren.

Das große Herz klopft laut

"Wir wissen, dass dieser Verein eine Mischung aus Atmosphäre, Emotion, Gier und fußballerischer Qualität ist", sagte Klopp nach dem Spiel. "Für mich hat dieser Klub ein großes Herz, und heute Nacht hat es offensichtlich wie verrückt geklopft. Man konnte es wahrscheinlich hören und auf der ganzen Welt fühlen."

Fussball Champions League Halbfinale l FC Liverpool vs FC Barcelona l Tor 1:0 Divock Origi
Divock Origi (r.) erzielt das frühe 1:0 gegen den FC Barcelona und setzt das "Wunder von Anfield" in GangBild: Reuters/C. Recine

Es war nicht das erste dramatische Comeback, das Klopp in seiner Trainerkarriere erlebte. Auch nicht das erste beim FC Liverpool. Aber so wie diesmal gegen den FC Barcelona war es noch nie. Klopps Forderung vor dem Spiel, nicht aufzugeben, Hoffnung zu haben und mit "Beinen und Lungen" eine "Fußballparty" zu veranstalten, trieb seine Mannschaft zu einer unglaublichen Leistung an. Das Team weigert sich offenbar, Dinge als unmöglich zu akzeptieren, selbst wenn man wegen des Fehlens zweier seiner Besten - Salah und Roberto Firmino mussten angeschlagen passen - eigentlich chancenlos ist.

Von dem Moment an, in dem die Mannschaften den Rasen betraten, bildeten Klopp, sein Team und die Fans in "The Kop" eine Einheit. Die Hausherren ließen sich, wie ihr Coach, von den Emotionen des Abends antreiben, waren sich dabei aber immer bewusst, dass es nötig war, die Kontrolle zu behalten. In den ersten Minuten funktionierte Klopps Markenzeichen, das Gegenpressing, vorbildlich. Die Passmaschine der Katalanen kam nicht ins Laufen - beeindruckt von der Intensität auf dem Spielfeld und auf den Tribünen.

Die Hoffnung wird konkreter

Nach nur sieben Minuten und der 1:0-Führung für Liverpool durch Divock Origi, schraubte sich das Lautstärke Level noch einmal nach oben. Dennoch schien Barcelona nicht besorgt. Die Katalanen sammelten sich ein wenig, übernahmen zeitweise sogar die Kontrolle und spielten ihr Spiel. Klopp stand derweil draußen an der Linie, klatschte, rief und trieb seine Spieler immer wieder an. Liverpool kam auch in dieser Phase zu Chancen und testete Klopps Landsmann zwischen den Pfosten des FC Barcelona.

Marc-André ter Stegen, der einzige andere Deutsche, der im Halbfinale mit dabei war, schien den Aufgaben, die sich ihm stellten, zunächst gewachsen zu sein. Auf der anderen Seite war Alisson Becker ebenfalls gut beschäftigt. Der Brasilianer parierte den einen oder anderen gefährlichen Ball, wohl wissend, dass ein einziger Auswärtstreffer der Katalanen, Liverpool dazu zwingen würde, fünf Tore zu erzielen.

Fussball Champions League Halbfinale l FC Liverpool vs FC Barcelona
Ende eines bitteren Abends: Mit vier Gegentoren geht Marc-André ter Stegen als Geschlagener vom Platz Bild: Reuters/Action Images/C. Recine

Doch ebenso oft wie durch brillante Momente werden Spiele in den späten Runden der Champions League durch Fehler entschieden. Im Achtelfinale profitierte Liverpool von Patzern Manuel Neuers. Im Viertelfinale unterlief Manchester Uniteds David De Gea in Barcelona ein Fehler gegen Lionel Messi. 

"Nach dem Spiel habe ich De Gea gesagt, dass wir alle nur Menschen sind und dass mir das genauso hätte passieren können", sagte ter Stegen damals. "Die Wahrheit ist, ich brauchte einen Moment, bevor ich mich über das Tor freuen konnte, weil er auf der gleichen Position wie ich spielt und ich weiß, wie schmerzhaft solch ein Fehler ist."

Die finale Hürde bleibt

Wenn ter Stegen damals schon Schmerzen empfand, kann man sich vorstellen, was er und seine Teamkollegen nach diesem denkwürdigen Dienstagabend fühlen müssen. Zwar war der Schuss Georginio Wijnaldums zum 2:0 in der 54. Minute stramm, aber ein Mann, der als einer der besten Torhüter der Welt gilt, hätte diesen Ball halten müssen. Nur 122 Sekunden später musste ter Stegen erneut den Ball aus dem Netz holen.

Ein Schock für Barcelona. Wie tief er saß konnte man in der Szene sehen, als das Spiel endgültig kippte: Trent Alexander-Arnold tat so, als gehe er erst noch einmal vom zum Eckstoß bereitliegenden Ball weg. Doch dann brachte er den Eckball doch ganz schnell nach innen - zu schnell für ter Stegen und die Verteidigung der Katalanen.

Der Rest ist Geschichte. Für Klopp gab es nur noch einen kurzen Moment des Frusts. Kurz vor Ende des Spiels wollte er Daniel Sturridge einwechseln, wurde vom vierten Offiziellen aber zunächst daran gehindert. Wenige Augenblicke später war auch dieser Ärger verflogen und machte grenzenloser Freude Platz.

Klopp, der bei seinen letzten sechs Finalteilnahmen stets als Verlierer das Stadion verließ, weiß, dass er seinen Fluch jetzt brechen muss. Er muss nicht nur seine Mannschaft, sondern diesmal auch endlich die Champions-League-Trophäe mitnehmen. Allerdings muss Klopp es nicht alleine tun. Er kann sich einer breiten Unterstützung gewiss sein.