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Politik

Wirbel um Transgender-Auftritt

6. Mai 2020

In der Sendung "JaafarTalk" der Deutschen Welle war der ägyptische Schauspieler Hesham Selim mit seinem Transgender-Sohn Nour zu Gast - erstmals in den Medien überhaupt. Neben Aufregung gibt es viel Zuspruch.

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DW Screenshot | Jaafar Talk
Bild: DW

Irgendetwas stimmte damals nicht. Das kleine Mädchen fühlte sich nicht als Mädchen, weder körperlich noch psychisch. Die junge Noura hatte einen kräftigeren Körperbau als andere Mädchen ihres Alters. Und auch mit den Spielzeugen, die man ihr schenkte, konnte sie wenig anfangen. Die Puppen blieben in der Ecke liegen, stattdessen wollte Noura etwas anderes: Spielzeuggewehre. Immer wollte sie wie die Jungen und mit Jungen spielen.

So erzählte es der junge Nour in der Sendung "JaafarTalk" der Deutschen Welle. Zur Welt kam Nour als Tochter des bekannten ägyptischen Schauspielers Hesham Selim. Doch von Anfang an habe er sich mit seinem natürlichen Geschlecht nicht anfreunden können. Darum habe er vor fünf Jahren begonnen, sein biologisches Geschlecht aufzugeben und eine auch körperlich männliche Identität anzunehmen. Seit fünf Jahren unterziehe er sich dieser Umwandlung, so Nour zu Moderator Jaafar Abdul Karim. Der Prozess sei noch nicht abgeschlossen. Auf die nötigen Hormone werde er sein gesamtes künftiges Leben nicht verzichten können.

Der Schritt in die Öffentlichkeit

Am Montag war Hesham Selim im ägyptischen Sender Al-Qahera Wal Nas (Kairo und seine Bevölkerung) aufgetreten und hatte sich dort erstmals zur Transgenderidentität von Nour geäußert. Am Dienstag dann traten Vater und Sohn in "JaafarTalk" zum ersten Mal überhaupt gemeinsam öffentlich auf - eine Premiere.

Nour nutzte die Gelegenheit, um sich bei seinem Vater zu bedanken. "Wenn du nicht wärst, dann wäre ich jetzt nicht hier", lobte er ihn. "Du hast mir mein ganzes Leben lang so gut wie möglich geholfen."

Wie er seine biologische Identität und die Zeit der Geschlechtsumwandlung erlebt habe, wollte Jaafar Abdul Karim von seinem Gast wissen. "Ehrlich gesagt, hab ich oft an Selbstmord gedacht", antwortete Nour. "Ich dachte, ich sei kein normaler Mensch. Ich glaubte, mein Leben nicht leben zu können und sah auch keine Zukunft für mich: keine Ehe, keine Arbeit, kein Leben, nichts."

Vom Mut, sich zu bekennen

Als er 18 Jahre alt war, habe er beschlossen, sich seinem Vater anzuvertrauen. Das habe Kraft gekostet, aber der Vater habe seinen Wunsch verstanden und ihn unterstützt.

Screenshot DW Jaafar Talk
Vater Hesham Selim (l) mit Sohn Nour (m) zu Gast zu Jaafar Abdul Karim (r) in "JaafarTalk" der Deutschen WelleBild: DW

Den Beistand kann Nour - wie Transgendermenschen generell - gut gebrauchen. Denn weite Teile der ägyptischen Gesellschaft stehen einem Wechsel des biologischen Geschlechts ablehnend gegenüber. Der häufig abweisende Umgang mit Transgendermenschen spiegelt sich auch in der Praxis der Behörden: Den offiziellen Papieren nach ist Nour noch immer weiblich. Weder in seinem Personalausweis noch im Führerschein ist seine nun männliche Identität dokumentiert. Auch dürfte es schwierig werden, eine Arbeit zu finden, fürchtet Nour.

Viel Respekt im Netz

Die Reaktionen auf dem Facebook- und Twitter-Account von "JaafarTalk" sind allerdings überwiegend positiv. Zwar äußerten sich einige User offen ablehnend, und das in teils verletzender Sprache. In Jaafars Herz fänden sich "widerliche Geschichten", twitterte etwa ein Zuschauer.

Doch die meisten Nutzer zeigten Zustimmung. "Aller Respekt vor dem Vater dafür, dass er die Entscheidungen seines Sohnes akzeptiert", schrieb einer. "Er ist ein wirklicher Mann, denn er hat das Richtige getan und sich nicht um die Meinungen der Menschen gekümmert", urteilte eine andere Nutzerin.

Und eine weitere Userin umriss die Situation von Transgender-Menschen, die nicht den Normen der Gesellschaft entsprechen. "Wir sind versöhnt mit uns selbst", schrieb sie. Aber die Gesellschaft mache ihnen Angst, treibe sie in die Isolation und einige in den Suizid und zwänge andere zum Rückzug. "So leben einige von uns mit der Angst davor, unsere geschlechtliche Identität preiszugeben. Am Ende ist man allein. Das Problem beginnt immer bei der Familie."

Diese Ausgabe von "JaafarTalk" könnte dazu beitragen, das herzustellen, was Transgender-Menschen nach Einschätzung von Nours Vater am meisten fehlt: Verständnis.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika