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Jamann: "Spürbare Bewegung in Nordkorea"

Esther Felden12. Dezember 2012

Ausländische Hilfsorganisationen in Nordkorea gibt es kaum. Zu den wenigen, die im Land vertreten sind, zählt die Deutsche Welthungerhilfe. Generalsekretär Wolfgang Jamann erzählt, wie die Arbeit vor Ort aussieht.

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ARCHIV - Der neue Vorstandsvorsitzende der Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann, fotografiert am 29.07.2009 in Bonn. Er tritt an diesem Montag (03.08.2009) sein Amt als Generalsekretär der Welthungerhilfe an, eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland. Jamann will in Deutschland den politischen Druck für den Kampf gegen die Armut in aller Welt erhöhen. Foto: Oliver Berg dpa/lnw (zu dpa-Gespräch Neuer Welthungerhilfe-Chef: Armut politisch bekämpfen" am 01.08.2009) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Welthungerhilfe Wolfgang JamannBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Jamann, Sie sind im Juni für zehn Tage durch Nordkorea gereist. Wie haben Sie die Situation im Land empfunden?

Ich war sehr positiv überrascht über die Bewegungsfreiheit, die wir im Land hatten. Wir konnten viele Orte besuchen, haben viel gesehen. Die Welthungerhilfe ist seit mittlerweile fünfzehn Jahren im Land, und unsere in dieser Zeit erarbeitete Reputation erlaubt es uns, nah an den Menschen zu sein. Das war positiv, denn es zerstreut auch ein bisschen die Befürchtungen, die immer da sind, wenn man in einer solchen politischen Umgebung arbeitet. Ich fand es auch interessant, dass Nordkorea offensichtlich doch ein Stück in Bewegung gekommen ist. Natürlich ist es vorsichtig zu bewerten, da wir immer nur einen recht oberflächlichen Eindruck bekommen. Aber wir konnten privat- und marktwirtschaftliche Aktivitäten beobachten. Es passiert etwas im Land.

Sie sagen, die Welthungerhilfe kann sich frei bewegen – wie sieht das konkret aus?

Innerhalb der Stadt Pjöngjang konnten wir uns tatsächlich ohne Begleitung komplett frei bewegen. Und in den vielen Projektregionen, in denen wir innerhalb des Landes tätig sind konnten wir mindestens alle zwei Wochen selbst vor Ort sein. Dort haben wir Begleitung. Selbstverständlich arbeiten wir auch mit nordkoreanischen Mitarbeitern zusammen, und die Behörden sind über alle unsere Schritte informiert. Aber wir können direkt mit denjenigen arbeiten, die auch von unserer Hilfe profitieren sollen.

Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Vor allem auf der ländlichen Entwicklung, und da geht es konkret um die Verbesserung von Produktivität. Zum Beispiel haben wir großen Plantagen Obstbaumsetzlinge geliefert und arbeiten mit den Menschen daran, dass diese Obstbäume nicht nur blühen, sondern auch Früchte tragen. Der Umgang mit diesen Obstbäumen und auch mit Gemüsesorten ist eine Komponente unserer Arbeit vor Ort. Eine weitere Komponente ist die Verbreitung von Gewächshäusern, insbesondere auch im städtischen Raum, weil dort natürlich sehr viel Nahrung fehlt. In diesen Gewächshäusern wird Gemüse angebaut. Außerdem sind wir in der Landwirtschaft auch noch innovativ tätig, indem wir versuchen, zusammen mit der Universität von Pjöngjang neues Saatgut – etwa Kartoffeln – zu testen und unter Real-Bedingungen auszuprobieren. Mit diesen Kartoffeln wollen wir eine Versorgungslücke schließen, die in Nordkorea jedes Jahr zwischen den beiden großen Ernten entsteht.

Was hat Sie bei Ihrem Besuch im Juni persönlich am meisten beeindruckt?

Wir haben viel mit der Bevölkerung sprechen können, zum Beispiel auch mit Bauern auf den Feldern. Denen geht es natürlich nicht gut: Vor allem auf dem Land gibt es Unterernährung und Unterversorgung. Wenn man mit diesen Menschen spricht, ist es bestürzend zu sehen, dass sich da kaum etwas an Perspektiven eröffnet. Die Menschen denken nicht innovativ, sie schaffen es kaum, sich aus der Lebenswelt, in der sie sich befinden, geistig herauszubewegen. Das ist sehr bedrückend, weil diese Menschen natürlich auch Entwicklungschancen brauchen.

Auf der anderen Seite ist es ungeheuer ermutigend zu sehen, wie viel Dynamik im städtischen Bereich – insbesondere in Pjöngjang – herrscht. Die Menschen sind weltoffener, sie sind relativ gut informiert über das, was in anderen Teilen der Welt passiert – zumindest die, mit denen wir sprechen konnten. Man redet dort relativ offen über die großen M's: dazu gehört M wie Money, M wie Märkte oder M wie Mobile Phones. Davon gibt es mittlerweile eine Menge. Insgesamt habe ich dort ein Stück Modernität und Dynamik erlebt, die ich so nicht erwartet hätte, und das macht auch ein bisschen Mut.

Zum Zeitpunkt Ihres Besuchs hatte der Machtwechsel in Nordkorea bereits stattgefunden, Kim Jong Un war seit wenigen Monaten im Amt. Inwieweit hat der Regimewechsel Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung? Wie stehen die Menschen zu ihrem neuen Führer?

Die Bevölkerung hat sicherlich ein völlig kritikloses Verhältnis zu ihrer Führung, das war bei den Vorgänger so und das ist auch beim aktuellen Machthaber der Fall. Das sind auch keine Fragen, die dort diskutiert werden können. Mir ist aufgefallen, dass es neben wirtschaftlichen Aktionsmöglichkeiten mittlerweile auch ein Stück Beweglichkeit, vielleicht auch kulturelle "Freiheit" - in Anführungsstrichen - gibt. Es entsteht auch eine Art von Informationsaustausch, allerdings auf eine Art und Weise, die man nicht erwartet hätte in diesem Land - und der unterscheidet sich wahrscheinlich auch sehr stark von der Situation in der Vergangenheit. Wir haben ja Mitarbeiter, die schon seit zehn Jahren vor Ort sind und ein ganz gutes Gefühl dafür haben, ob sich etwas tut oder ob das Land stagniert – und ich glaube, ersteres ist derzeit der Fall.

Dr. Wolfgang Jamann ist Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe.

Das Interview führte Esther Felden.