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Sorge vor verstrahltem Fisch

1. April 2011

Aus dem Atomkraftwerk Fukushima tritt weiterhin Radioaktivität aus, niemand weiß, wie viel Strahlung ins Wasser gelangt ist. Die Sorge vieler Japaner ist groß, dass die Fischbestände kontaminiert sein könnten.

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Über 700 Händler haben auf dem Tsukiji-Fischmarkt in Tokio einen Stand. (Foto:DW/Silke Ballweg)
Über 700 Händler haben auf dem Tsukiji-Fischmarkt in Tokio einen Stand.Bild: DW

Morgens um sechs auf dem Tokioter Fischmarkt Tsukiji. Es ist bereits hell, die Sonne scheint, aber noch ist es kühl. Zwischen den überdachten Hallen herrscht reger Verkehr, auf kleinen Gefährten sausen die Händler von einer Halle in die andere, hinten auf der Ladefläche stapeln sich Styroporkisten mit Fisch und Muscheln.

Thunfisch für Sushi

Ein Fischhändler bei der Arbeit. Morgens ist auf demTsukiji-Fischmarkt in Tokio Hauptbetrieb. (Foto:DW/Silke Ballweg)
Ein Fischhändler bei der Arbeit. Morgens ist auf demTsukiji-Fischmarkt in Tokio Hauptbetrieb.Bild: DW

Eine Besonderheit hier sind die ganzen Thunfische. Jeden Morgen um halb fünf werden sie versteigert. Ein besonders fetter Thunfisch kann schon mal mehrere tausend Euro erzielen. Die Tiere werden – noch tiefgefroren - an einer Bandkreissäge in mehrere Stücke zerteilt. Kurz darauf liegen sie in der Auslage. Viele Sushimeister in Tokyo kommen morgens noch immer höchtpersönlich auf den Tsukiji, um sich eigens von der Qualität des Fisches zu überzeugen.

Doch die aktuelle Krise rund um Fukushima macht auch vor dem größten Fischmarkt der Welt nicht halt. Seit Beginn der Probleme im Atomkraftwerk kommen viel weniger Kunden. Und die, die weiterhin Fisch kaufen, wollen genau wissen, woher die Tiere stammen.

Sorge um die Zukunft

Seit mehr als 50 Jahren im Geschäft: Der Fischhändler Susumu Tachioka auf dem Tsukiji Fischmarkt in Tokio. (Foto:DW/Silke Ballweg)
Seit mehr als 50 Jahren im Geschäft: Der Fischhändler Susumu Tachioka auf dem Tsukiji Fischmarkt in Tokio.Bild: DW

Susumu Tachioka arbeitet schon seit mehr als 50 Jahren als Fischhändler auf dem Tsukiji-Markt. 1958 hat er den Stand von seinem Vater übernommen. Nun steht er vor den weißen Styroporkisten, die auf dem Boden gestapelt sind, und deutet auf die verschiedenen Arten. Der da kommt aus Nagasaki, das liegt im Süden Japans, der aus Kyushu, und der da aus Aomori, erklärt er. In Tokio sei noch keine erhöhte Radioaktivität gemessen worden. Doch die Situation mache ihm dennoch Angst: "Wenn man mit Fisch Geld verdient, muss man an die Zukunft denken."

Jeden Morgen um halb vier klingelt Tachiokas Wecker. Eine Stunde später ersteigert der 75-Jährige auf dem Tsukiji-Markt den Fisch, den er im Laufe der nächsten Stunden verkaufen will. Um sich gegen die Kälte zu schützen, trägt er eine dunkelblaue Fleecejacke, und auf dem Kopf eine blaue Mütze. Die Arbeit hier auf dem Fischmarkt scheint ihn geprägt zu haben, er redet gerne und man merkt, dass ihm der Schalk im Nacken sitzt. Immer wieder lässt er während unseres Gesprächs einen Witz fallen, über den lacht er selbst dann am lautesten. Dass er 75 Jahre alt ist, sieht man ihm nicht an, er wirkt kräftig und kerngesund. Doch die aktuelle Krise im Atomkraftwerk beunruhigt ihn sehr: "Jetzt ist ja auch das Meerwasser kontaminiert, das Gemüse ist bereits belastet und wer weiß, wie sich die Sache im nächsten Jahr entwickelt."

Zerstörte Fischereien und Zuchtbestände

Die Kleinstadt Sanriku wurde vom Tsunami völlig zerstört (Foto:ap)
Die Kleinstadt Sanriku wurde vom Tsunami völlig zerstörtBild: AP/Kyodo News

Tachioka sorgt sich nicht nur um seine Gesundheit. Ihm gehe es auch ums Geschäft. Noch habe er keine finanziellen Einbußen, weil seine Kunden derzeit Fisch aus anderen Regionen kaufen. Aber sollte stark kontaminierter Fisch gefunden werden, dann würden vielleicht auch die Japaner, die derzeit noch unbesorgt weiter Fisch bestellen, ängstlich und vorsichtig werden. Und dann käme Japans gesamte Fischereiindustrie in eine massive Krise. Japaner essen so ziemlich alles, was aus den Gewässern vor ihren Küsten stammt: Fisch, Muscheln, Algen, Seetang. Und schon jetzt sind auf dem Tsukiji-Markt die Folgen des Tsunamis zu spüren, denn ein Drittel des japanischen Fischbestandes kam aus der Region, die vom Tsunami verwüstet wurde. Die Kleinstadt Sanriku war als japanisches Zentrum der Fischerei bekannt, doch sowohl der Ort als auch die Zuchtbestände sind komplett zerstört.

"Die Muscheln aus der Präfektur Miyagi waren gerade in dieser Jahreszeit immer eine Besonderheit hier in Japan, aber jetzt gibt es keine einzige hier auf dem Markt", erklärt Fischhändler Tachioka. Sanriku war für seinen fetten Fisch bekannt, der sich besonders gut für Sushi eignet. "Der schmeckt einfach besser", fügt er hinzu, "aber die Kunden wissen, dass es nun keinen Fisch mehr von da oben gibt, es fragt jetzt auch niemand mehr danach.“

"Japaner sind stark"

Der Tsukiji-Markt in Tokio ist der größte Fischmarkt der Welt. (Foto:DW/Silke Ballweg)
Der Tsukiji-Markt in Tokio ist der größte Fischmarkt der Welt - doch jetzt sorgen sich viele Händler um ihre Existenz.Bild: DW

Unterkriegen lässt sich Tachioka von der aktuellen Situation aber dennoch nicht. "Nihinjin tsuyoi" - "Japaner sind stark" - sagt er und "Ganbaru" - "Wir strengen uns an". Tachikoa ist stolz auf Japan, das ist ihm anzumerken, und er glaubt fest daran, dass das Land die aktuelle Krise verkraften wird. Natürlich sei die Gefahr der Radioaktivität schlimm. Aber er glaube daran, dass die Regierung das in den Griff bekommen wird. Auch nach dem Erdbeben in Kobe habe man sich schnell wieder erholt, dort sei es heute wieder ganz normal. "Nihonjin tsuyoi" wiederholt er dann noch einmal, Japaner sind stark. Und fast hat man den Eindruck, als wolle er sich damit vor allem selbst Mut zureden.

Autorin: Silke Ballweg
Redaktion: Ana Lehmann/Thomas Latschan