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Politik

Corona-Abwehr: Japan ist kein Vorbild mehr

Martin Fritz
1. Februar 2021

Trotz Ausnahmezustand bekommt die Regierung in Japan die COVID-Ausbrüche nur langsam unter Kontrolle. Dabei treten Mängel und Versäumnisse von Politik und Verwaltung zutage. Von Martin Fritz, Tokio.

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Japan inmitten der COVID-19-Pandemie
Bild: Alexei Zavrachayev/TASS/dpa/picture alliance

Der Anfang Januar verhängte Notstand für den Großraum Tokio und die spätere Ausweitung auf andere Metropolen zeigen bisher nur begrenzte Wirkung: Die Zahl der Neuinfektionen in Japan sinkt nur langsam, im Sieben-Tage-Schnitt bleibt die Zahl der Toten hoch, Krankenhäuser sind weiter überlastet.

Daher kommunizieren Politiker und Experten seit einigen Tagen die Notwendigkeit, den Notstand zu verlängern. Die Entscheidung will Premierminister Yoshihide Suga in dieser Woche fällen. Die Europäische Union zog inzwischen Konsequenzen und verhängte einen Einreisestopp für japanische Staatsangehörige. Damit scheint Japan die bisherige Vorbildrolle bei der Bekämpfung der Pandemie verloren zu haben.

Japan Premierminister Yoshihide Suga
Premier Suga will noch in dieser Woche über Verlängerung vom Lockdown entscheidenBild: Kazuhiro Nogi/REUTERS

Mit knapp 6.000 Toten und 400.000 Infizierten steht die Inselnation zwar immer noch besser da als viele westliche Länder, aber im Asien-Vergleich schneidet Japan inzwischen schlecht ab. Diese Wende zum Negativen wirkt hausgemacht. Bei der ersten Infektionswelle im April 2020 verzichtete Japan auf einen Lockdown. Mit dem konsequenten Tragen von Masken, dem massenhaften Vermeiden von Kontakten sowie der Verfolgung von Clusterinfektionen ließ sich die Virusausbreitung stoppen. Aber auf diesen Lorbeeren ruhte sich die Regierung dann aus. Womöglich unterschätzte sie die Gefahr sogar. Denn anschließend förderte sie mit hohen Beihilfen für Auswärtsessen und Inlandsreisen menschliche Kontakte und Bewegungen bis in den Dezember hinein, als sich das Coronavirus bereits so stark verbreitete wie nie.

Pandemiemüde Bürger

Nun zahlen die Japaner den Preis dafür, dass sich Politik und Verwaltung auf eine neuerliche, große Infektionswelle nicht vorbereitet haben. Bei dem zweiten Notstand verzichtet die Regierung wieder auf harte Maßnahmen, aber diesmal üben die inzwischen pandemiemüde gewordenen Bürger weniger Selbstdisziplin und verringern ihre Kontakte nicht mehr so stark. Ungewöhnlich kaltes Winterwetter führt dazu, dass sich die bewährte Verhaltensregel, enge Räume und Kontakt zu vermeiden, schwerer einhalten lässt.

Zugleich ignorieren nicht wenige Restaurants und Bars die staatliche Vorgabe, um 20 Uhr abends zu schließen. Aber erst am Montag (1.2.), fast vier Wochen nach Notstandsbeginn, verabschiedete das Parlament ein Gesetz mit Geldstrafen von bis zu 4.000 Euro für Gewerbe und Firmen, die sich nicht an verordnete Geschäftszeiten halten. Bürger, die einen Test verweigern oder trotz Infektion nicht in ein Krankenhaus wollen, müssen ebenfalls bis zu 4.000 Euro Strafe zahlen.

Winterwetter in Japan
Harter Winter auf Hokkaido in JapanBild: Noriaki Sasaki/The Yomiuri Shimbun/AP Images/picture alliance

Besonders die Versäumnisse im Gesundheitswesen erschweren die Eindämmung der Pandemie. Zwar liegt Japan mit 1.300 Krankenhausbetten je 100.000 Einwohner an der Weltspitze. Aber nur ein Prozent davon sind Intensivbetten, in absoluten Zahlen und proportional zur Bevölkerung gerechnet fast drei Mal weniger als in Deutschland. Daher fehlt es auch an Intensivmedizinern und -pflegern. 80 Prozent der Krankenhäuser befinden sich in privater Hand und führen oft nur ambulante Eingriffe durch. Patienten mit COVID-Symptomen bedrohen den Geschäftsbetrieb und werden abgewiesen.

Überfordertes Gesundheitswesen

Angesichts dieser Strukturen sind die wenigen COVID-Kliniken durch die stark gestiegene Zahl an schweren Fällen rasch an den Rand ihrer Kapazität oder darüber hinaus geraten. Dennoch reagierten die Verantwortlichen spät und schwach. Während Länder wie China und Deutschland in kurzer Zeit provisorische Krankenhäuser aufbauten, begnügt sich das japanische Gesundheitsministerium mit einer Lockprämie von 35.000 Euro für jedes neue Intensivbett. Infizierte ohne starke Symptome werden in Hotels untergebracht.

BdTD Japan Tokio | Eisbad mit Maske
Eisbad mit Maske in der Hauptstadt TokioBild: Kim Kyung-Hoon/REUTERS

Auch bei den Corona-Tests liegt manches im Argen. Zwar ist die Zahl der täglichen Tests im Vergleich zum ersten Notstand auf mehr als 500 je eine Million Einwohner stark angestiegen. Aber mit dieser Quote liegt Japan immer noch um mehr als das Dreifache unter Deutschland. Trotzdem brauchen private Anbieter von Virustests, die in die Lücke springen, positive Ergebnisse nicht zu melden. Im Dezember starben nach Angaben der Polizei 56 Japaner in ihren eigenen vier Wänden an COVID-19. Darauf vermutete die parlamentarische Opposition einen Zusammenhang mit dem überforderten Gesundheitswesen und zwang Regierungschef Suga vergangene Woche zu einer öffentlichen Entschuldigung im Parlament.

Spätstart beim Impfen

Die bevorstehende Aufgabe der Durchimpfung droht Politik und Verwaltung in Japan auf ähnliche Weise zu überfordern. Bislang haben die Gesundheitsbehörden keinen einzigen Impfstoff zugelassen. Zugleich hat nur Pfizer im Dezember einen entsprechenden Antrag für das Vakzin der deutschen Biontech gestellt. Denn die japanischen Vorschriften verlangen, dass die Verträglichkeit eines Impfstoffes zunächst an Japanern getestet werden muss. Dadurch verzögern sich die Zulassungsanträge und der Produktionsstart.

Japan Zeremonie und Fest der Volljährigkeit Coronavirus
Hinweis auf Maskenpflicht beim Fest der Volljährigkeit Anfang Janaur 2021Bild: Hiroaki Ono/AP/picture alliance

Die ersten Biontech-Dosen werden laut dem neuen Impfminister Taro Kono voraussichtlich Ende Februar verabreicht. Eine Herdenimmunität erwarten japanische Experten jedoch nicht vor dem Herbst. Umfragen zufolge hält sich die Unzufriedenheit mit diesem niedrigen Tempo bisher in Grenzen, da die allgemeine Skepsis gegenüber Impfungen im internationalen Vergleich relativ hoch ist. Der Hauptgrund sind frühere Impfskandale. Aber die öffentliche Stimmung könnte umschlagen, falls es weitere Verzögerungen geben sollte.