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Japan will bis 2050 CO2-Neutralität erreichen

Martin Fritz aus Tokio
26. Oktober 2020

Trotz des Klimawandels hat sich die Regierung in Tokio bisher kaum von fossilen Energieträgern verabschiedet. Doch nun schwenkt sie aus zwei Gründen um. Martin Fritz aus Tokio.

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Japan Yoshihide Suga
Japans Premier SugaBild: Getty Images/C. Triballeau

Bei seiner ersten Regierungserklärung hat der neue Premierminister Yoshihide Suga am Montag (26.10.) das Ziel einer CO2-neutralen Wirtschaft bis 2050 verkündet. Damit übernimmt die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt die gleiche Selbstverpflichtung wie Deutschland und Großbritannien. Neben der konsequenten Energieeinsparung werde Japan auf die weitgehende Einführung erneuerbaren Energien und auf Atomkraft setzen, sagte Suga. Außerdem werde man die gegenwärtige Politik der Kohleverstromung "radikal" ändern.

Bislang wollte Japan den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2050 nur um 80 Prozent verringern. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen sogar nur um 26 Prozent sinken. Als Vergleichsjahr wählte man jeweils 2013, als die Wirtschaft wegen der Abschaltung aller Atomkraftwerke besonders viel Kohlendioxid produzierte. Trotz dieser Mogelei kam die Inselnation ihren Klimazielen kaum näher: 2018 stammten hohe 77 Prozent des Stroms aus Kohle, Gas und Öl.

Japan Klimaprotest |  Friday Climate Action Day
"Fridays for Future"-Demos in der japanischen Hauptstadt Tokio vor einem JahrBild: Getty Images/C. Court

Enttäuschung und Kritik

Wegen dieser Politik stand Japan bei mehreren Klimakonferenzen am Pranger. Dazu kommt, dass die drei Großbanken Mitsubishi UFJ, Sumitomo Mitsui und Mizuho weiterhin zahlreiche Kohlekraftwerke in Schwellenländern wie Vietnam, Indonesien und Bangladesch finanzieren. Dafür nutzten sie ein Schlupfloch in früheren Versprechen, wonach die Finanzierung erlaubt sei, falls die neuen Kraftwerke weniger Kohlendioxid produzieren.

Der plötzliche Klimaehrgeiz der Regierung in Tokio hat vordergründig politische Motive. China wolle bis 2060 Kohlendioxid-Neutralität erreichen, versprach Präsident Xi Jinping im September unerwartet vor den Vereinten Nationen. Auch die USA wollen bei einem Wahlsieg von Joe Biden auf "eine grüne Energiepolitik" setzen. China und die USA sind die weltgrößten Emittenten von Kohlendioxid. Im Rahmen seines "New Green Deal" legte Südkoreas Präsident Moon Jae-In im vergangenen Monat ebenfalls 2050 als Zieljahr für null Klimaemissionen fest. Unter diesen Umständen musste Japan befürchten, als letzter großer Klimasünder dazustehen, obwohl man das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet hat.

Japan Tokio Wasserstofftank bei Toshiba
Wasserstofftank auf dem Konzerngelände von ToshibaBild: Getty Images/AFP/Y. Tsuno

Neuer Wirtschaftsmotor

Stärker sind jedoch die ökonomischen Motive. Lange Zeit setzte die Regierung auf hocheffiziente Kohlekraftwerke mit einem geringeren CO2-Ausstoß, weil japanische Unternehmen zu den führenden Produzenten gehören. Doch der weltweite Ausstieg aus der Kohlekraft zwingt die Industriepolitiker zum Umdenken. Wachstum versprechen nur erneuerbare Energien, die zu einem neuen Antriebsmotor für die lahme Wirtschaft werden sollen. Damit japanische Produzenten auf dem Weltmarkt punkten können, muss die Regierung jedoch die Nachfrage auf dem Heimatmarkt ankurbeln.

Solarpark Japan
Solarpark in KyotoBild: KAZUHIRO NOGI/AFP/GettyImages

"Wir werden mehr Investitionen und Forschung in diese Richtung erleben, dadurch entstehen neue Unternehmen und neue Arbeitsplätze", meinte die Wirtschaftsprofessorin Sayuri Shirai von der Keio-Universität in Tokio. Allerdings würden die Wirtschaftssektoren mit hohem CO2-Ausstoß ihre Investitionen herunterfahren und die im internationalen Vergleich relativ hohen Kosten von "grünem" Strom die Wirtschaft belasten. Die höhere Nachhaltigkeit werde sich also erst nach einer Übergangsphase positiv auswirken, sagte die japanische Ökonomin.

Windparks und CO2-Speicherung

Als größte Konsequenz des verschärften Klimaziels gilt der Ausbau von erneuerbaren Stromquellen. Laut dem bisherigen Energieplan würden 2030 nur maximal 24 Prozent der Stromproduktion auf grünen Quellen basieren. Doch nun wolle die Regierung die Erneuerbaren zur "Hauptquelle" für Strom machen, erklärte Taro Kono bereits vergangene Woche. Als Minister für Verwaltungsreform werde er die derzeitigen hohen bürokratischen Hürden für Solar- und Windkraftwerke schnell beseitigen. Zum Beispiel verhindert eine Vorschrift, dass Solarzellen auf brachliegenden Ackerflächen aufgestellt werden. 

Ein absehbarer Schwerpunkt wird auf Offshore-Windparks liegen. Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) will ab April 2021 jährlich drei bis vier Offshore-Windparks mit einer Gesamtkapazität von einem Gigawatt (GW) - so viel wie ein Atomreaktor - ausschreiben und vergeben. Nach einer Schätzung des Finanzdienstes Bloomberg könnte Japans Windstromkapazität in den nächsten zehn Jahren von 200 MW auf 7,3 GW rasant anwachsen. Die ersten Konsortien stehen in den Startlöchern. Auch die deutsche RWE Renewables ist über ein Bündnis mit dem japanischen Stromversorger Kyushu Electric dabei.

Ein zweiter Schwerpunkt ist die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid sowie die chemische Weiterverwendung dieses Treibhauses. Japan hat bereits 260 Millionen Euro für den weltweit größten Versuch für die Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden ausgegeben. Vor der Küste von Hokkaido pumpte man über 300.000 Tonnen CO2 in den Untergrund, ohne dass es nach offiziellen Angaben zu negativen Folgen kam. Im US-Bundesstaat Texas hat Mitsubishi Heavy Industries an einem Biomassekraftwerk den weltgrößten CO2-Abscheider in Betrieb genommen. Das eingefangene Treibhausgas wird in der Nähe für eine effiziente Ölförderung in den Untergrund gepumpt.