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Jeder dritte Fluggast kennt seine Rechte nicht

17. August 2017

Air Berlin ist insolvent, fliegt allerdings erstmal weiter. Das bringt Flugreisende in eine Zwickmühle: Sollen sie bei Air Berlin weiterhin ein Ticket buchen? Und welche Rechte haben Flugreisende überhaupt?

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Symbolbild Flugverspätung
Bild: PhotographyByMK - Fotolia.com

Verbraucherschützer raten demjenigen, der bereits gebucht hat, sein Ticket jetzt besser nicht überstürzt zu stornieren. Das sei angesichts der Ankündigung, den Flugbetrieb zunächst fortzusetzen, nicht ratsam, betont der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Auch das Risiko für Ticketkäufe innerhalb der rund drei Monate, in denen Air Berlin durch den Überbrückungskredit der Bundesregierung stabilisiert wird, scheint überschaubar. Was danach passiert, ist ungeklärt.

Zwar ist durchaus denkbar, dass Mitbewerber das Streckennetz von Air Berlin übernehmen und die Flüge weiter anbieten. Aber wissen kann das derzeit niemand. So kann sich die Unsicherheit bei Schnäppchenpreisen für Fernflüge auszahlen, die Sache kann aber auch schiefgehen. "Das Kostenrisiko eines Flugausfalls muss jeder für sich selbst einschätzen", betont vzbv-Experte Ingmar Streese.

Wenn gebuchte Flüge nicht stattfinden, haben Reisende laut EU-Fluggastrechteverordnung prinzipiell immer auch Anspruch auf Entschädigung oder Rückerstattung. Wie diese Sicherung greift, hängt aber von den Umständen ab. Pauschalreisende, die über einen Veranstalter ein Paket aus Flug und Hotel gebucht haben, sind generell besser gestellt. Sie haben Anspruch auf Soforthilfen. Der Veranstalter muss für Ersatzflüge sorgen.

Pauschalreisende stehen besser da

Für Reisende, die direkt bei der Airline gebucht haben, gilt das so nicht. Sie müssen sich selbst um eine Alternativbeförderung kümmern. Ansprüche auf Entschädigung haben sie natürlich auch. Aber sie müssten diese erst in einem langen Insolvenzverfahren durchsetzen. Und es wäre ungewiss, ob sie am Ende zum Zuge kommen. Denn die Forderungen von Flugpassagieren aus der Insolvenzmasse sind in aller Regel nachrangig. Zuerst werden die Ansprüche von Anteilseignern und Mitarbeitern bedient.

Pauschalreisende sind auch deshalb besser abgesichert, weil für Reiseveranstalter eine Insolvenzabsicherungspflicht gilt. Sie sind gesetzlich gezwungen, Kundengelder so zu verwalten, dass sie auch im Fall der eigenen Pleite weiter zur Verfügung stehen, um deren Ansprüche zu begleichen. Das ist der Sinn des sogenannten Sicherungsscheins, den Kunden bei der Buchung erhalten. Für Fluglinien gilt diese Regel bislang nicht. 

Individuelle Versicherungen wie zum Beispiel Reiserücktrittsversicherungen helfen nicht. Sie greifen, wenn ein Kunde aus persönlichen Gründen eine gebuchte Reise nicht antreten kann - etwa weil er erkrankt. Ausfälle des Anbieters sind ein völlig anderes Szenario. Es gibt auch Versicherungen, mit denen sich Reisende vor einem Flug speziell gegen eine Airline-Pleite absichern können. Für Air Berlin aber dürften sie nicht mehr in Frage kommen, weil das Unternehmen ja schon Insolvenz angemeldet hat, der Fall also schon eingetreten ist.

Wer kennt seine Rechte?

Ob verspätete, ausgefallene oder überbuchte Flüge oder verschwundenes Gepäck: Mehr als ein Drittel der Verbraucher gaben in einer Umfrage für das Verbraucherportal Finanztip an, nicht über ihre Rechte bei Flugausfällen und Verspätungen Bescheid zu wissen. Dabei regelt die EU-Fluggastrechte-Verordnung seit langem schon die Ansprüche von Verbrauchern, wenn ein Flug nicht so verläuft wie geplant.

Passagiere haben grundsätzlich einen Anspruch auf Entschädigungszahlungen, wenn die Fluggesellschaft für die Verspätungen, Umbuchungen oder Flugannullierungen verantwortlich ist. Dies gilt zumeist bei technischen Pannen oder Verspätungen wegen Dienstzeitüberschreitungen von Crews - nicht aber bei höherer Gewalt wie Streiks, wetterbedingten Verspätungen oder Luftraumsperrungen, zum Beispiel wegen Aschewolken aus Vulkanen. Verbraucher sollten deshalb noch am Flughafen den Grund für die Flugplanänderung erfragen und dies schriftlich und mit Zeugen festhalten.

Wird ein direkter Zubringerflug gestrichen und kommt ein Passagier deshalb auch mit dem anschließenden Fernflug verspätet ans Ziel, müssen Airlines ihren Kunden laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs für beide Flüge eine Ausgleichszahlung leisten. Wird eine Annullierung weniger als 14 Tage vor Abflug mitgeteilt, besteht möglicherweise Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 125 bis 600 Euro. Auch eine Vorverlegung um mehrere Stunden gilt als Annullierung.

Anspruch auf Entschädigung

Ist die Airline für Verspätungen, Umbuchungen und Flugausfälle verantwortlich, haben Reisende einen Anspruch auf Entschädigungen. Je nach Entfernung fallen ab einer dreistündigen Verspätung bei kürzeren Strecken 250 Euro an, bei Strecken zwischen 1500 und 3500 Kilometern 400 Euro und bei Flügen über 3500 Kilometer 600 Euro. Bei Verspätungen muss die Airline sich um die Verpflegung kümmern, die Möglichkeit zum Telefonieren oder Versenden von E-Mails anbieten und notfalls auch eine Übernachtung bezahlen.

Der Verlust eines Gepäckstücks muss direkt bei der Gepäckvermittlung am Flughafen gemeldet werden. Kommt aufgegebenes Gepäck mit Verspätung an, können Verbraucher sich das Wichtigste kaufen und die Airline muss gegen Vorlage der Rechnungen die Kosten übernehmen. Die Höchstgrenze liegt derzeit bei 1270 Euro.

Um überhaupt eine Entschädigung zu erhalten, müssen Passagiere jedoch nachweisen, welche Gegenstände beschädigt wurden oder verloren gingen. Dafür sollte vor Abflug eine Packliste erstellt werden, außerdem sollten Kaufbelege aufbewahrt werden, um den Wert der verlorengegangen Dinge nachzuweisen. Der Neupreis wird allerdings nicht ersetzt.

Fluggesellschaften zahlen ungern. Ganz ohne Unterstützung stehen Verbraucher deshalb womöglich auf verlorenem Posten. Sie können sich aber an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) wenden. Voraussetzung: Betroffene müssen sich vorher schon um eine Einigung mit der Airline bemüht haben. Wurde ihnen dann eine abschließende Antwort erteilt oder hat sich die Fluggesellschaft acht Wochen lang nicht gemeldet, kann der Kunde die SÖP einschalten.

Eine Alternative sind aufs Reiserecht spezialisierte Anwaltsportale wie etwa flightright.de oder EUclaim. Sie setzen Ansprüche ohne finanzielle Vorleistungen der Betroffenen durch und führen notfalls auch Prozesse mit den Airlines. Dafür behalten sie bei Erfolg ein Viertel oder knapp ein Drittel der erstrittenen Ausgleichszahlungen als Honorar ein.

 

wen/tko (dpa, afp)