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Jeder interessiert sich für das Internet - besonders Diktatoren

Julien Pain3. Mai 2006

Das Internet hat die Medien weltweit revolutioniert. Persönliche Websites, Blogs und Foren haben Menschen eine Stimme gegeben, die bislang lediglich passive Konsumenten von Information waren.

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BOBs, Weblog Awards 2005, Julien Pain, französisches Jurymitglied
Julien PainBild: DW

Diktatoren erscheinen angesichts dieser Explosion von Online-Material in ihrer Macht bedroht. Wie sollten die E-Mails der 130 Millionen chinesischen Internet-Nutzer überwacht oder die Nachrichten der 70.000 Blogger im Iran zensiert werden? Die Feinde des Internet haben leider ihre Bereitschaft und Fähigkeit bewiesen, genau das in die Tat umzusetzen.

China war der erste repressive Staat, der das Internet als außergewöhnliches Werkzeug der freien Meinungsäußerung erkannt und schnell das Geld und das Personal bereit gestellt hat, um E-Mails auszuspionieren und "subversive" Websites zu zensieren. Das Regime bewies bald, dass das Internet - wie traditionelle Medien auch - kontrolliert werden kann. Alles, was dazu benötigt wurde, war die richtige Technologie und ein hartes Durchgreifen gegen die ersten Cyber-Dissidenten.

Das chinesische Modell war ein großer Erfolg und dem Regime ist es gelungen, Internet-User von öffentlichen politischen Meinungsäußerungen abzubringen, oder wenn, dann nur in Form einer Wiedergabe der offiziellen Linie. In den vergangenen zwei Jahren jedoch hat die Priorität der reinen Überwachung politisch Andersdenkender Bestrebungen Platz gemacht, mit der Unruhe in der Bevölkerung zurechtzukommen.

Das Internet ist ein Resonanzboden für das Grummeln der Unzufriedenheit in den meisten chinesischen Provinzen geworden. Demonstrationen und Korruptionsskandale, die früher nur in wenigen Städten wahrgenommen wurden, sind mit Hilfe des Internet im ganzen Land bekannt gemacht worden. 2005 bemühte sich die Regierung, dem rasanten Anstieg der Online-Opposition entgegenzutreten. Sie verschärfte die Gesetze und erließ eine Art "Zehn Gebote" für chinesische Internet-User - eine Reihe sehr harter Regeln, die sich gegen Online-Redakteure richten.

Die Gefängniswärter des Internet

Klassische "Feinde der Pressefreiheit" - Weißrussland, Burma, Kuba, Iran, Libyen, die Malediven, Nepal, Nord-Korea, Saudi Arabien, Syrien, Tunesien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam - sie alle zensieren jetzt das Internet. 2003 wurden nur in China, Vietnam und den Malediven Cyber-Dissidenten verhaftet. Heute geschieht dies in mehr Ländern.

Einige Blogger und Online-Journalisten wurden im Iran seit September 2004 inhaftiert und einer von ihnen, Mojtaba Saminejad, sitzt wegen der Veröffentlichung vermeintlich Islam-kritischen Materials seit Februar 2005 im Gefängnis. In Libyen wurde der ehemalige Buchhändler Abdel Razak al-Mansouri zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er sich online über Präsident Gaddafi lustig gemacht hatte. Zwei Internet-User wurden in Syrien ins Gefängnis geworfen und gefoltert, einer wegen der Veröffentlichung von Fotos einer Pro-kurdischen Demonstration in Damaskus im Internet und der andere lediglich wegen der Weiterleitung eines in den Augen der Regierung illegalen E-Mail-Newsletters.

In Tunesien sitzt ein Anwalt seit März 2005 wegen Kritik an der Korruption der Behörden in einem Online-Newsletter im Gefängnis. Während einer UN-Konferenz über die Zukunft des Internet in Tunis im November 2005 befand sich der Menschenrechtler in einer Gefängniszelle mehrere Hundert Kilometer von seiner Familie entfernt. Eine düstere Botschaft an die Internet-User weltweit.

Die Zensur des Internet nimmt zu und wird mittlerweile auf jedem Kontinent angewendet. In Kuba, wo man zum Kauf eines Computers die Genehmigung der Regierungspartei braucht, werden alle nicht vom Regime akzeptierten Websites gefiltert.

Im Mittleren Osten und in Nordafrika hat sich die Situation verschlechtert. Im November 2005 hat Marokko mit der Zensur aller politischen Websites begonnen, die für eine Unabhängigkeit der Westsahara plädieren. Die Liste gesperrter Seiten im Iran wird jedes Jahr länger und umfasst nun auch alle Veröffentlichungen zum Thema weibliche Gleichberechtigung. China kann nun automatisch Blog-Nachrichten zensieren, indem Wörter wie "Demokratie" und "Menschenrechte" gelöscht werden.

Einige asiatische Länder scheinen weiter zu gehen als ihr chinesischer "Großer Bruder". Burma hat hoch entwickelte Technologie erworben, um das Internet zu filtern und die Kunden der Cybercafés des Landes auszuspionieren, indem alle fünf Minuten die Bildschirmanzeige gespeichert wird.

Komplizenschaft westlicher Firmen

Wie wurden all diese Länder so professionell in ihrem Vorgehen? Haben Burma und Tunesien ihre eigene Software entwickelt? Nein. Sie haben die Technologie bei fremden, meist amerikanischen Firmen eingekauft. Secure Computing zum Beispiel hat Tunesien ein Programm zur Zensur des Internet verkauft - natürlich einschließlich der Website von Reporter ohne Grenzen.

Eine andere US-Firma, Cisco Systems, hat die chinesische Internet-Infrastruktur entwickelt und dem Land spezielles Zubehör für den Polizeigebrauch verkauft. Die ethischen Vergehen von Internet-Firmen wurden offensichtlich, als im September 2005 Anschuldigungen gegen die US-Firma Yahoo! aufkamen, die chinesische Polizei mit Informationen versorgt zu haben, mit deren Hilfe der Cyber-Dissident Shi Tao zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

China gibt jetzt sein Wissen über Cyber-Spionage an andere Internet-Gegner weiter, darunter Simbabwe, Kuba und kürzlich Weißrussland. Diese Länder werden in wenigen Jahren diese Art der Spionage vermutlich ganz ohne westliche Hilfe betreiben können.

Demokratische Regierungen, und nicht nur der private Sektor, teilen die Verantwortung für die Zukunft des Internet. Aber weit davon entfernt, einen Weg aufzuzeigen, scheinen manche Länder, die eigentlich die Online-Freizügigkeit respektieren, jetzt unzulässige Kontrollen anzustreben. Oft haben sie dafür ehrenwerte Gründe, wie den Kampf gegen Terror, Kindesmissbrauch und Cyber-Verbrechen, aber diese Kontrolle bedroht auch die Meinungsfreiheit.

Ohne einen Vergleich mit den rigiden Restriktionen in China anzustreben, sind die kürzlich von der Europäischen Union eingeführten Regeln für das Internet irritierend. Eine davon, die von Internet-Serviceprovidern (ISPs) die Aufzeichnung der Online-Aktivitäten ihrer Kunden fordert, wird gegenwärtig in Brüssel überprüft und stellt eine ernsthafte Einschränkung der Privatsphäre von Internet-Usern dar.

Alles andere als vorbildlich in der Regulierung des Internet präsentieren sich die Vereinigten Staaten. Die dortigen Behörden senden mit der Erleichterung legaler Maßnahmen zum Abfangen und Filtern des Onlineverkehrs in öffentlichen Bibliotheken eine ambivalente Botschaft an die internationale Gemeinschaft.

Der Autor ist Leiter der Abteilung Freiheit im Internet von Reporter ohne Grenzen, Paris