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Politik

"Zusammenarbeit mit Libyen ein Riesenskandal"

28. November 2017

Libyen ist die Hölle für Flüchtlinge - sagt EU-Kommissionspräsident Juncker. Der Empörung über Sklaverei und Folter müssen nun Taten folgen, meint Linken-Politikerin Ulla Jelpke im DW-Interview.

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Libyen EU Flüchtlingskrise
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nennt Libyen im Gespräch mit der DW eine Hölle für Flüchtlinge. Ist die EU mitverantwortlich für die Höllenqualen Gefolterter und Versklavter dort?

Ulla Jelpke: Ja. Ich habe mich deshalb auch sehr über dieses Interview gewundert. Darüber, dass er sich jetzt empört, wo wir eigentlich schon seit einigen Jahren wissen, dass dort die Hölle für Geflüchtete herrscht, insbesondere in den geschlossenen Lagern. Und die EU kooperiert ganz eindeutig mit Libyen. Wenn Libyen die Flüchtlinge von Europa fernhält, dann bekommen sie dafür Geld von Europa. Und deshalb hat man die ganzen Jahre über weggeschaut.

Das heißt, Brüssel und Berlin arbeiten mit Kriminellen zusammen?

Ja. Schon im ARD-Bericht von Michael Obert vom Sommer werden von Flüchtlingen schwere Anschuldigungen erhoben: Vergewaltigung, Misshandlung, Hunger. Flüchtlinge, die in dunklen Räumen 24 Stunden täglich eingesperrt sind. Dazu habe ich eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, und sie hat ausgerechnet die Antwort darauf unter Verschluss gestellt. Hier wird nicht nur von der Bundesregierung, sondern von der gesamten EU verschleiert, dass man über diese Missstände informiert ist. Man will seine eigene Verantwortung kaschieren. Es ist ein Riesenskandal, dass man weiß, was dort passiert, und trotzdem weiterhin mit der als kriminell verschrienen libyschen Küstenwache und der dortigen Zentralregierung kooperiert.

Was ist die Konsequenz? Alle Abkommen aufkündigen?

Auf jeden Fall. Ich bin der Meinung, dass man mit so einem Land nicht zusammenarbeiten kann. Das muss sofort aufgekündigt werden, und es braucht wirklich Resettlement-Programme, also die dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen. Menschen dürfen nicht wieder zurückgeführt werden nach Libyen, sondern sie müssen wirklich aufgenommen werden in Europa, und es muss hier eine entsprechende Verteilung stattfinden.

Herr Juncker spricht ja auch von legaler Migration in die EU. Aber holt man damit nicht die besten Köpfe nach Europa auf Kosten der Herkunftsländer?

Wenn Herr Juncker jetzt davon spricht, dass man legale Wege braucht, dann sage ich: Ja bittesehr. Und natürlich darf das nicht nur nach dem Nützlichkeitsprinzip der hiesigen Wirtschaft gehen. Das einzige Resettlement-Programm, das es bisher gegeben hat, war für gerade mal 22.000 Flüchtlinge. Und dafür hat man Jahre gebraucht.  Das Prinzip der Freiwilligkeit führt dazu, dass so gut wie kein EU-Staat wirklich Flüchtlinge aus Afrika aufnimmt.

Berlin Deutscher Bundestag Ulla Jelpke Partei Die Linke
Fordert eine neue Entwicklungspolitik: Ulla Jelpke von der Partei Die LinkeBild: picture alliance/ZB/B. Pedersen

Wie wäre es stattdessen mit so genannten Migrationszentren in den Herkunftsländern. Kann man Flüchtlingen so die teure und gefährliche Reise ersparen?

Mit wem wollen Sie das denn machen? Libyen kommt überhaupt nicht in Frage. Die Bundesregierung weiß, was dort in der Praxis geschieht, dass Flüchtlinge misshandelt werden. Wer soll denn solche Lager leiten? Also, ich sehe überhaupt nicht, dass man mit solchen Zentren irgendetwas erreicht. Ich wüsste auch kein anderes Land. Das kann nicht das Prinzip der humanitären Hilfe sein.

Entwicklungsminister Müller von der CSU will afrikanische Flüchtlinge in Deutschland handwerklich ausbilden und nach Afrika zurückschicken. Ist das nicht eine gute Idee zur Stärkung lokaler Wirtschaft?

Das Wichtigste wäre eine andere Politik der EU gegenüber den afrikanischen Herkunftsländern. Dass Europa endlich damit aufhört, den Menschen dort direkt vor der Haustür den Fisch wegzufangen. Dass man keine billigen Agrarprodukte mehr dort hinbringt, Hühnerfleisch für sechsundsiebzig Cent das Kilo. Das kann kein Mensch dort produzieren. Da hören die Menschen einfach auf mit der Landwirtschaft. Sie sagen, wir haben hier keinerlei Perspektive. Deswegen wollen wir weg, deswegen wollen wir ins reiche Europa. Das muss sich ändern.

All das wird man beim EU-Afrika-Gipfel in Abidjan vermutlich nicht ändern.

Wir haben viele Afrikagipfel gehabt und viele Gespräche, aber die wirklichen Ursachen der Probleme werden nicht behoben. Man sucht weiterhin seinen eigenen ökonomischen Vorteil und will ihn in Verträgen festschreiben. So wird sich nichts verbessern.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag.