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"Jetzt beugen wir uns der Gewalt"

Sarah Wiertz18. November 2015

DW-Sportreporterin Sarah Wiertz ist im Stadion in Hannover, als die Arena evakuiert wird. Statt über das DFB-Spiel berichtet sie nun von enttäuschten, aber besonnenen Fans, vom Warten - und dem Gefühl einer Niederlage.

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Blaulicht und Polizisten in Hannover (Foto Reuters)
Bild: Reuters/M. M. Matzen

Ich bin auf der Suche nach dem Zeichen. Nach der Lichterkette, die tausende Menschen mit Kerzen in der Händen rund um das Stadion bilden wollen, um ein Zeichen für Gewaltlosigkeit zu setzen. Deshalb verlasse ich die Pressetribüne, auf die ich mich 20 Minuten vorher mit meiner Ausrüstung begeben hatte und gehe zum Ausgang. Dort spricht mich ein Polizist an. "Bitte verlassen sie umgehend das Stadion und machen Sie sich auf den Heimweg." Warum, will ich wissen. Aber er sagt nur: "Durchsage über Polizeifunk: Alle müssen das Stadion verlassen."

Bisher sind nur wenige Menschen in der Arena. In der Business-Lounge ist kurz zuvor noch geselliges Treiben zu beobachten, Fans jedoch nur vereinzelt zu sehen. Erst 15 Minuten vorher öffnet das Stadion für die Zuschauer. Es ist relativ ruhig, ein gewöhnliches Stimmengewirr. Jeder versucht von anderen Informationen zu bekommen. Aber keiner weiß etwas. Ich spreche eine ältere Dame an, die ein Windlicht in der Hand hält. Hat es eine Lichterkette gegeben?

Blaulicht und Sirenen

Vom Rathaus, das unweit vom Stadion ist, sei eine große Menschenmenge mit Lichtern gestartet, erzählt sie mir. Aber dann seien sie von der Polizei gestoppt worden. Die erste Durchsage höre ich von einem Mitarbeiter des DFB-Fanbusses, der auf dem Vorplatz des Stadions steht. "Das Spiel wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Das tut uns sehr leid. Mittlerweile fahren Vans mit Megaphonen herum, aus denen immer wieder die gleiche Ansage kommt: Bitte verlassen sie das Stadion und begeben Sie sich umgehend auf den Heimweg.

Fans auf dem Nachhauseweg in Hannover nach der Spielabsage (Foto Reuters)
Kein Spiel: Diese Fans müssen den Heimweg antretenBild: Reuters/M. M. Matzen

Ich finde meine Kollegen auf dem Vorplatz wieder. Auch sie haben keine weiteren Informationen. Mit Blaulicht und Sirenen fahren plötzlich einige Autos in rasendem Tempo an uns vorbei. Das müssen Personen mit wichtiger Funktion sein. Wir bekommen widersprüchliche Angaben, ob sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im Stadion befunden hat. Später erfahren wir: war sie nicht. Auch die Nationalmannschaft soll sich erst auf dem Weg befunden haben.

Deutschland - Terror 0:1

Ein Mann mit Deutschland-Trikot erzählt mir, dass man das Spiel im Vorfeld hätte absagen sollen. "Jetzt sind die Fans hier. Ich habe viel Geld für die Karte, für das Ticket bezahlt, ich habe mir zwei Tage Urlaub genommen. Das ist frustrierend." Kurze Zeit später spricht mich eine Frau mit einer in Frankreich-Fahnen angemalten Leuchte mit einem Friedenszeichen in der Hand an. "Ich bin stinksauer. Ich bin nicht als Fußballfan hier hin gekommen, sondern als Friedensaktivist. Jetzt beugen wir uns der Gewalt. Deutschland: 0, Terror: 1", macht sie ihrem Ärger Luft. Als ich sie frage, ob die Sicherheit der Menschen nicht vorgehe, meint sie: "Das Schicksal kann uns überall treffen. Auch auf dem Weihnachtsmarkt."

Das ist aber nur eine vereinzelte Meinung. Ich sehe, wie die Zuschauer ruhig die Gegend verlassen, manche reden kurz mit den Polizisten. Überhaupt läuft hier alles ohne Panik oder Hysterie ab. Über Megaphone werden wir darauf hingewiesen, die Gegend weiträumig zu räumen. Immer wieder fahren Polizeiautos mit Blaulicht und Sirenen hin und her.

Ein weiterer Polizist, den wir ansprechen, wird deutlicher: "Wir dürfen nichts sagen. Aber wenn so spontan das Spiel abgesagt wird, können Sie sich denken, wie ernst die Lage ist. Sie sollten Plätze jeglicher Art meiden." Und fügt noch hinzu: "Handeln Sie jetzt als Mensch, nicht als Reporter." Diese Aussage gibt zu bedenken. Aber Angst habe ich keine. Unser Techniker sagt, bei der Pegida-Kundgebung gestern war die Stimmung bedrohlicher. Es ist auch ja auch nichts zu sehen. Nur Absperrbänder, jede Menge Polizisten und Einsatzwagen.

Nicht ohne meine Fahne

Ich geselle mich zu den anderen Medienvertretern, die sich um das Hotel, das nur 150 Meter vom Stadion entfernt liegt, versammeln. Hier logieren die DFB-Offiziellen, nicht aber die Mannschaft. In das Hotel dürfen wir nicht hinein. Wir versuchen weitere Informationen zu bekommen, aber überall hören wir nur: "Keine Angaben.” Draußen vor dem Hotel lade ich mein Handy mit einem Charger auf. Ein Mann fragt, ob er seins auch kurz anschließen könnte.

Warum er noch hier sei, frage ich ihn. "Meine Vereinsfahne hängt noch im Stadion. Ich gehe hier nicht weg." Nach einigen Sätzen erfahre ich, dass er dem DFB-Fanklub angehört, noch wichtiger sei ihm aber seine Mitgliedschaft bei Borussia Mönchengladbach. "Wir sind seit heute Vormittag hier, haben mit unseren Bannern alles vorbereitet, hatten eine Choreografie geplant."

Wo bleibt die Solidarität?

Darüber hinaus sind die rund 80 Menschen, die noch vor dem Hotel warten, langsam genervt. Ins Hotel dürfen wir nicht, noch nicht einmal ins Restaurant. Wir sitzen oder stehen vor der Fensterscheibe, sehen die VIP’s im Warmen ihr Bier trinken, während wir in Dreier-Schlange mit Security auf die Toilette dürfen, werden dann höflich, aber bestimmt gebeten, das Gebäude wieder zu verlassen. Schöne Solidarität, die hier heute gezeigt werden soll.

Banner im Fußballstadion (Foto Reuters)
Fahnen werden eingeholt, Banner eingerollt - die Kulisse für das Freundschaftsspiel war längst vorbereitetBild: picture-alliance/AP Photo/M. Sohn

Die Stationen und Haltestellen der öffentlichen Transportmittel in der Nähe sind alle gesperrt. Kurz darauf hören wir, dass sich auch am Hauptbahnhof nichts mehr bewegt. Vorerst sollen wir auch hier bleiben. Meine Kollegen schalten für das Fernsehen, mich rufen Kollegen aus England an und bitten um Telefoninterviews.

Das ist ein wenig ironisch. Wir sind zwar am Ort des Geschehens, aber an aktuelle Informationen kommen wir nicht heran. Wir erfahren auch nur Neuigkeiten über das Internet, die Verbindung ist aber nicht besonders gut.

Ich erinnere mich, wie vor ziemlich genau vier Stunden alles angefangen hat. Mit meiner Suche nach dem Zeichen. Ein Signal sollte das Festhalten am Spiel sein, ein Symbol, dass man dem Terror nicht weiche. Heute Abend haben Terror, Angst und Bedrohung gewonnen. Aber niemand ist verletzt oder ums Leben gekommen. Das ist alles, was zählt.