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Gesellschaft

Joe Biden, der Papst und ein drohendes Schisma

21. Januar 2021

Joe Biden ist erst der zweite katholische US-Präsident. Im eigenen Land steht der Demokrat, der sich mit Papst Franziskus bestens versteht, unter Druck von reaktionär-katholischen Kritikern. Ein Buch schaut hin.

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Papst Franziskus und Joe Biden
Joe Biden (r.), damals noch US-Vizepräsident, und Papst Franziskus Ende April 2016 im VatikanBild: Catholic Press Photo/picture alliance

Am Mittwochmorgen besuchte Joe Biden die katholische Messe. Am Mittag bei der Übernahme der Präsidentschaft vor dem Kapitol beschwor ein Jesuit den Beistand Gottes. In seiner ersten Rede betete der 78-Jährige selbst für die schon über 400.000 Corona-Toten in den USA. Und als später am Tag die Kameras Biden an seinem Schreibtisch im Weißen Haus aufnahmen, sah man im Hintergrund auf der Fensterbank unter vielen Fotos auch dieses: Biden bei Papst Franziskus.

Der 46. Präsident der Vereinigten Staaten ist Katholik. Der zweite Katholik in diesem Amt nach John F. Kennedy (1917-1963). Dabei ist die katholische Kirche heute - anders als noch vor wenigen Jahrzehnten - die größte einzelne Glaubensgemeinschaft in den USA.  

"Als Joe Biden geboren und getauft wurde, stand die katholische Kirche noch am Rande des amerikanischen Mainstreams. Aber zwischen den 40er und 60er Jahren wurde sie sehr schnell zum Mainstream", sagt der Kirchenhistoriker Massimo Faggioli der Deutschen Welle. "Biden ist ein traditioneller Katholik, aber kein Traditionalist. Er ist als Katholik geprägt von Papst Johannes XXIII. (1958-1963) und vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965)."

"Kulturkrieg"

Der 50-jährige Faggioli, ein gebürtiger Italiener, lehrt seit vielen Jahren in den USA. Am Tag der Amtsübernahme Bidens erschien in den USA und in Italien sein Buch "Joe Biden und der Katholizismus in den Vereinigten Staaten" ("Joe Biden and Catholicism in the United States"). Das Buch ist kein wissenschaftliches Werk, aber wissenschaftlich mit Quellenangaben geschrieben. Und es ist eine regelrecht packende Analyse der religiösen Situation in den USA und der Stimmung im US-Katholizismus. Faggioli sieht Teile der katholischen Kirche in der ältesten Demokratie der Welt in den Fundamentalismus abrutschen - und eine Reihe von US-Bischöfen im offensiven Kurs gegen Papst Franziskus. Und er spricht von einem beginnenden "Schisma", einem "Kulturkrieg" gegen die Moderne.

Washington | vor Amtseinführung Joe Biden | Kirchenbesuch
"Ein traditioneller Katholik, aber kein Traditionalist": US-Präsident Biden beim Kirchenbesuch vor seiner AmtseinführungBild: Evan Vucci/AP/picture alliance

Faggioli vergleicht den Start Bidens mit dem Start Kennedys 1960, der als Nachkömmling irischer Katholiken zum Teil angefeindet wurde. "Beim ersten katholischen Präsidenten war seine religiöse Identität ein Problem für wichtige Teile des protestantischen Establishments im Land. Nun, beim zweiten, hat das Land kein Problem damit, dass er katholisch ist - aber ein nicht unbedeutender Teil der amerikanischen Kirche - darunter auch Bischöfe - hat ein Problem mit seinem Katholizismus", schreibt er. Ihnen ist der Katholik Biden, der in den vergangenen Jahren massiv für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eintrat und nicht vehement gegen Abtreibungen wettert, zu moderat. 

"Antiliberal"

Heute setzten traditionalistische und neo-fundamentalistische Katholiken auf eine kritische Betrachtung des Konzils, das bis 1965 unter anderem die Religionsfreiheit anerkannte und die Menschenrechte betonte. Hinter diesen Strömungen sieht der Wissenschaftler eine Fundamentalisierung, die schon früher auf der anderen Seite die evangelikalen Strömungen in den USA prägte hatte und damit letztlich zum Aufstieg von Donald Trump beitrug.

Auf katholischer Seite hätten die Päpste Johannes-Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) durch strikt konservative Bischofsernennungen dafür gesorgt, dass sich die konservativen US-Katholiken zu einer tendenziell traditionalistischen Strömung entwickelten, die auf die republikanische Partei hin ausgerichtet war. Da zeige sich nun eine Version des Katholizismus, "die nicht mehr einfach konservativ oder post-liberal ist, sondern offen antiliberal und illiberal" sei. Faggioli spricht von einem "Tea-Party-Katholizismus", dessen Anhänger sich zu Trump hingezogen fühlten.

Massimo Faggioli
Laut dem Kirchenhistoriker Massimo Faggioli steht Joe Biden für einen Glauben mit "popkulturellen Untertönen"Bild: Privat

Im Gegensatz dazu sei Biden "weit entfernt von den neuen katholischen Ghettos des 21. Jahrhunderts" und verkörpere einen ökumenischen Katholizismus. "Das ist ein nicht-intellektueller, aber eben nicht anti-intellektueller Katholizismus. Es ist ein populärer Glaube mit popkulturellen Untertönen."

"Putschversuch gegen Franziskus" 

Zur reaktionären Haltung vieler US-Bischöfe passt die Distanz oder offene Ablehnung des derzeitigen Papstes. Und es ist bemerkenswert, wie Faggioli über viele Seiten die Schicksale von Franziskus und Biden zueinander in Beziehung setzt. Weltweit schreckten Medien und Experten auf, als im Sommer 2018 der frühere Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, ein Papier mit einem massiven Angriff auf die Kurie veröffentlichte, ihr Korruption und homosexuelle Verstrickungen vorwarf und Papst Franziskus zum Rücktritt aufforderte.

Die Vorwürfe wurden später entkräftet. Aber "diese Anschuldigungen wurden von einem kleinen, aber lautstarken Sektor der amerikanischen Kirche mit Sympathie aufgenommen", schreibt Faggioli. Den "Putschversuch gegen den Papst", der "als moralischer Kreuzzug gegen die Homosexualität im Klerus" verkauft worden sei, unterstützten laut Faggioli zwei Dutzend US-Bischöfe öffentlich. "Keiner dieser Bischöfe hat sich jemals entschuldigt oder diese Unterstützung zurückgezogen… Nicht zufällig sind es dieselben Bischöfe, die versuchen, Bidens Katholizismus zu delegitimieren."

Papst Franziskus besucht Marokko
Sucht den Dialog in der islamischen Welt: Papst Franziskus, hier bei einem Besuch in Marokko Ende März 2019Bild: picture-alliance/AP/G. Borgia

Faggioli ordnet den drohenden Niedergang und die Spaltung der US-Kirche in eine globale Neuorientierung der katholischen Kirche unter dem derzeitigen Papst ein. "Während die USA weiter den Westen definieren, erkennt Franziskus, dass das Papsttum des 21. Jahrhunderts nicht mehr das Oberhaupt einer Kirche ist, die mit dem Westen identifiziert wird." So suche er Dialoge beispielsweise mit China oder islamisch geprägten Ländern, die dem Kurs Washingtons vollkommen entgegenstünden.

Die Arbeit des Autors am Buch endete um den Jahreswechsel. Er schildert den Eiertanz der US-Bischöfe, nach der Wahl Bidens im November die Entscheidung anzuerkennen, ihm zu gratulieren, auf Distanz zu Trump zu gehen. Der Papst in Rom habe viel schneller reagiert und gratuliert. Faszinierend wie erschreckend war es nun, diese Beobachtung am Tag der Amtsübernahme bestätigt zu sehen. Franziskus gratulierte Biden in einem recht langen und ausgesprochen herzlichen Schreiben aus Rom. Die US-Bischofskonferenz schickte einen Gruß mit Glückwünschen, Mahnungen und Forderungen - und stritt im Anschluss öffentlich darüber.

Biden und Ocasio-Cortez

Für Faggioli mag der Kampf, der da läuft und der alle Teile der US-Gesellschaft, nicht nur die katholische Kirche prägt, das Ende des amerikanischen Traums bringen. Eine Abkehr von der grundsätzlichen Offenheit des Christentums in den USA für unterschiedliche politische Richtungen könne "den Anfang vom Ende des gesamten amerikanischen Experiments" bedeuten, zu dem das Gegenüber von Politik und Religion gehört und die Bejahung von Demokratie.

Alexandria Ocasio-Cortez bei einer Rede
Jung, progressiv - und katholisch: die Demokratin Alexandria Ociasio-CortezBild: Imago Images/ZUMA Press/J. Mennenga

Und Biden, der Katholik, der Demokrat? Faggioli verweist auf einen wesentlichen Faktor für das Erstarken der Demokratie in den vergangenen Jahrzehnten. Die katholische Kirche in den USA bestehe bislang aus ganz unterschiedlichen ethnischen, sozialen, nationalen Milieus. Und er nennt - als Beispiel - einen einzigen Namen aus der weit jüngeren Szene. "Wenn es jemanden gibt, der die Zukunft des US-Katholizismus genauer repräsentiert, dann ist es Alexandria Ocasio-Cortez, die demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus." Faggioli erinnert an ein Zitat der progressiven Politikerin vom Januar 2020: "In jedem anderen Land wären Joe Biden und ich nicht in der gleichen Partei, aber in Amerika sind wir es."