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PolitikNahost

Joe Biden in Saudi-Arabien: Schwierige Partnerschaftspflege

13. Juli 2022

Zuletzt hatten sich die traditionellen Partner USA und Saudi-Arabien teils auseinandergelebt. Im Kontext des Ukraine-Kriegs haben sich zudem die Prioritäten verschoben. Menschenrechte stehen nicht mehr im Fokus.

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Diese Aufnahme zeigt nebeneinander je ein Porträtbild von US-Präsident Joe Biden und von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman
Kein "Paria" mehr? US-Präsident Biden will auch Kronprinz Mohamed bin Salman treffen

Mit seiner Entscheidung, im Rahmen seiner Nahostreise auch Station in Saudi-Arabien zu machen, hat US-Präsident Joe Bidendaheim erheblichen Umut ausgelöst - so sehr, dass er sich zu einer Rechtfertigung in der Washington Post genötigt sah. Ihm sei bewusst, dass viele mit seiner Entscheidung nicht einverstanden seien, schrieb der Präsident. Er werde sich aber bemühen, die "strategische Partnerschaft" mit Riad zu stärken und zugleich "den grundlegenden amerikanischen Werten" treu zu bleiben. Bei der Verteidigung von Menschenrechten vertrete er eine klare Haltung - "so auch bei dieser Reise", beteuerte Biden.

Tatsächlich hatte Biden vor noch nicht allzu langer Zeit gegenüber dem saudischen Königreich eine deutliche Sprache gepflegt. Nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 hatte Biden, damals noch Kandidat für das höchste Staatsamt, die saudische Staatsspitze scharf attackiert. „Wir werden sie dazu bringen, einen Preis zu zahlen und sie zu dem Paria machen, der sie sind", erklärte er 2019. Während seiner Amtszeit veröffentliche seine Regierung einen Geheimdienstbericht, demzufolge Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) die Ermordung Khashoggis in Istanbul genehmigt habe.

"Lippenbekenntnisse bei den Menschenrechten"

Vergleichbare Äußerungen dürfte Biden angesichts einer massiv veränderten politischen Weltlage bei seinem Besuch in Riad nicht mehr von sich geben, sagt Eckart Woertz, Direktor des Hamburger GIGA Instituts für Nahost-Studien. "Natürlich wird es in Sachen Menschenrechte weiterhin Lippenbekenntnisse geben. Aber die werden sicherlich anders formuliert werden als noch vor einiger Zeit."

Eine veränderte Haltung deutet sich derzeit womöglich auch im Hinblick auf einen weiteren Streitpunkt innerhalb der amerikanisch-saudischen Beziehungen an, nämlich den Krieg im Jemen. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge wird innerhalb der US-Regierung zufolge über ein Ende des Exportstopps von Offensivwaffen an Saudi-Arabien diskutiert. Biden hatte im Februar 2021 mit Hinweis auf den Krieg im Jemen ein Ende der Unterstützung seines Landes für Offensiv-Aktionen angekündigt. Dazu gehörten auch entsprechende Rüstungslieferungen. Eine endgültige Entscheidung zur Aufhebung dieser Entscheidung dürfte nun davon abhängen, ob die Regierung in Riad Fortschritte hin zu einem Ende des Krieges in Jemen erziele, berichtet Reuters unter Berufung auf Insider.

Straßenschild des "Jamal Khashoggi Way" vor der Botschaft Saudi-Arabiens in Washington
Ausdruck der Solidarität in Menschenrechtsfragen zumindest bei lokalen US-Behöden: Die saudische Botschaft in Washington liegt nach einer Namensänderung durch die Stadtverwaltung nun am "Jamal Khashoggi Way"Bild: Ken Cedeno/UPI Photo/IMAGO

Engagement für Israel

Verantwortlich für die veränderte Haltung sind gleich mehrere Faktoren. So versucht Biden, Saudi-Arabien für eine weitere Annäherung an Israel zu gewinnen. Zwar gilt es als unwahrscheinlich, dass das Königreich kurzfristig nach dem Vorbild anderer Staaten in der Region die so genannten "Abraham-Vereinbarungen" unterzeichnet, die eine umfassende Normalisierung zwischen ihnen und dem jüdischen Staat anstreben. Aber eine Kooperation hinter den Kulissen sei "durchaus denkbar", so Woertz.

Offenbar läuft sie schon längst. So berichtet das US-Nachrichtenseite Axios, das Weiße Haus arbeite bereits an einem "Fahrplan" für die Normalisierung der Beziehungen. Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge laufen bereits geheime Gespräche über weitere israelisch-saudische Zusammenarbeit, etwa in der Wirtschaft und in Sicherheitsfragen. So etwa könnte das Königreich seinen Luftraum grundsätzlich für kommerzielle israelische Maschinen freigeben. Nicht auszuschließen ist, dass die Gespräche mittelfristig - etwa im Falle von bisher nicht absehbaren Fortschritten bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts - mittelfristig auch in die Aufnahme offizieller Beziehungen münden. So wurde verschiedentlich bereits über eine Art nahöstlicher NATO spekuliert.

Der damalige israelische Premier Netanjahu und der Außenminister der VAE, Abdullah bin Zayed, unterzeichneten im September 2020 die Abraham-Abkommen. In der Mitte ist der damalige US-Präsident Donald Trump zu sehen.
Historische Einigung: Der damalige israelische Premier Benjamin Netanjahu (l.) und der Außenminister der VAE, Abdullah bin Zayed, unterzeichnen die Abraham-Abkommen. In der Mitte der damalige US-Präsident Donald Trump, September 2020Bild: Alex Wong/Getty Images

Ringen um den Ölpreis

Vor allem aber findet der Besuch vor einer grundlegend veränderten weltpolitischen Lage statt, hervorgerufen durch den russischen Angriff auf die Ukraine. Zunehmend wird der Krieg auch zu einer ökonomischen Herausforderung, auch für die USA. So hat die Sorge vor einer Verknappung des russischen Erdöls infolge der Sanktionen den Ölpreis massiv steigen lassen. Das spielt Russland enorme Einnahmen in die Hände. Mit diesen finanziert es auch seinen Angriff auf die Ukraine.

Zudem spielten die Preise derzeit auch für Biden als Wahlkämpfer eine Rolle, sagt Experte Woertz. Im November finden in den USA die Kongresswahlen statt. Die gestiegenen Energiepreise sind ein Geschenk für die Opposition", meint Woertz. "Auch darum hat er ein Interesse, dass Saudi-Arabien seine Fördermengen erhöht."

Zwar haben die Mitgliedstaaten der Organisation Erdöl exportierender Länder (aufgrund ihrer engen Abstimmung mit anderen Förderstaaten, allen voran Russland, auch OPEC + genannt) angekündigt, die Produktion um 648 000 Barrel pro Tag zu erhöhen. Doch diese Erhöhung bleibt unter dem tatsächlichen Bedarf, wie es die Organisation in einem am Dienstag (12.07.)veröffentlichten Papier einräumt.

Doch selbst wenn es wollte, könnte Saudi-Arabien den Wünschen Bidens nur bedingt entgegenkommen. Während der Zeit der niedrigen Erdölpreise habe Saudi-Arabien größere Verluste als Einnahmen verzeichnet, sagt Experte Eckart Woertz. "So sind Preissteigerungen aus Sicht des Königreichs eine ökonomische Notwendigkeit." Sollte es seitens Russlands aufgrund der Sanktionen zu einem Rückgang der Ölproduktion kommen, könnte Saudi-Arabien durchaus einspringen und seine Fördermengen erhöhen. "Aber das ist eine mittelfristige Perspektive."

erdöl-Anlage im Ölfeld Khurais, September 2019
Energiemacht Saudi-Arabien: Anlage im Ölfeld Khurais, September 2019Bild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

Neues Kräfteverhältnis in der Region

Vor allem aber wird Biden bei seinem Besuch auch dem neuen Kräfteverhältnis in der Region insgesamt Rechnung tragen müssen. Seitdem die USA sich weitgehend aus dem Irak zurückgezogen und auch ihr Engagement in Syrien reduziert haben, ist ihr politisch-militärisches Gewicht in Nahost zurückgegangen. Die Folgen zeigten sich im März, als die USA im UN-Sicherheitsrat eine Resolution einbrachten, die den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilen sollte.

Zur allgemeinen Überraschung unterstützte die Vereinten Arabischen Emirate (VAE) als derzeit nicht-ständiges Mitglied den Antrag nicht. Stattdessen zogen sie es vor, sich zu enthalten. Die Resolution zur Missbilligung des Angriffs durch die UN-Generalversammlung im März unterstützten die VAE zwar ebenso wie Saudi Arabien. Doch bedeutet dies keineswegs, dass man dort auch die Sanktionen gegen Russland mittragen würde.

Denn das Vakuum, das die USA in der Region hinterlassen haben, versucht Russland bereits seit geraumer Zeit mit wachsendem Erfolg zu füllen. Das zeigt sich vor allem in Syrien, wo es zusammen mit dem Iran weitgehend erfolgreich die Opposition gegen das Assad-Regime bekämpft hat. Und auf andere Weise zeigt es sich auch in technischen Kooperationen - so wird Saudi-Arabien von Russland unter anderem bei der Entwicklung eines eigenen Atomprogramms unterstützt.

Ein Bild aus dem Ukraine-Krieg: Ein zerstörtes Haus in der Stadt Charkiw
Weltweite Auswirkungen: der russische Angriff auf die Ukraine. Szene aus Charkiw, Juli 2022 Bild: State Emergency Service of Ukraine/REUTERS

Kooperation mit Moskau und Peking

Gleichwohl sind die USA weiterhin die wichtigste Schutzmacht des Königreichs. Das gilt insbesondere mit Blick auf dessen mächtigsten Rivalen in der Region, den Iran. Saudi-Arabien ist auch weiterhin der größte Waffenkäufer der USA. Frühere US-Regierungen hatten über Jahrzehnte hinweg entsprechende Systeme geliefert. Doch der von Biden verhängte Exportstopp dürfte das Vertrauen der Saudis in die Verlässlichkeit Washingtons zumindest gemindert haben, sagt Golfregions-Experte Eckart Woertz.

"Zugleich haben die Saudis natürlich gesehen, dass die USA auf iranische Angriffe auf die saudische Erdöl-Infrastruktur sehr zurückhaltend reagiert haben", so Woertz weiter. "Zwar sind China oder Russland aus Sicht Riads natürlich kein vollwertiger Ersatz für die Sicherheitspartnerschaft mit den USA. Allerdings versucht Saudi-Arabien sein Portfolio durchaus zu diversifizieren. Insofern führt das Königreich auch Gespräche mit China und Russland."

Ein Flugzeugträger im Persischen Golf, November 2019
Schutzmacht für Saudi-Arabien: US-Flugzeugträger in Nahost, November 2019Bild: Stephanie Contreras/U.S. Navy/AP Photo/picture alliance

Faszination des Autoritären?

Und noch etwas steht den USA bei ihrer Kooperation mit bestehenden Regimen in der Region im Wege: ihr politisches Selbstverständnis als demokratische und entsprechend engagierte Weltmacht. Das zeigte sich schon im arabischen Revolutionsjahr 2011, als die USA damalige Verbündete, etwa den ägyptischen Autokraten Hosni Mubarak, angesichts der Aufstände fallen ließen. Russland hingegen stand weiter an der Seite seiner Verbündeten, allen voran Syriens Diktator Baschar al-Assad, der sich nur dank militärischer Hilfe aus Moskau halten konnte. Solche "Loyalitätsfragen" dürften die autokratisch regierenden Machthaber in Riad und anderswo genau beobachtet und ihre Schlüsse daraus gezogen haben.

Zudem fasziniert der russische Präsident in der Region gerade durch jene Eigenschaft, die die westliche Öffentlichkeit eher auf Distanz zu ihm bringt: seinen autokratischen Stil. "Es sind hauptsächlich zwei Aspekte des Putin-Regimes, die zusammen mit einer stark antiwestlichen Haltung beim arabischen Publikum für Begeisterung sorgen: die Personalisierung der Macht und eine starke Ablehnung des politischen und gesellschaftlichen Liberalismus", schreibt der Jurist Naseef Naeem in einem Essay im deutschen Nahost-Fachmagazin "Zenith". Putins Amtsführung entspreche ihrer eigenen Vorstellung von Herrschaft. Sehr gut vorstellbar, dass dies nicht zuletzt auch für die saudische Staatsführung gilt.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika