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Literatur

Johanna Adorján: "Eine exklusive Liebe"

Aygül Cizmecioglu spe
9. Oktober 2018

Gemeinsam leben, gemeinsam sterben. In ihrem Debüt erforscht Johanna Adorján das Leben ihrer ungarischen Großeltern. Sie setzt die Bruchstücke ihres Doppelselbstmords zu einer anrührenden Familiengeschichte zusammen.

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Deutschland Bevölkerung Generationen Partnerschaft und ältere Menschen
Bild: picture-alliance/dpa

Nein, nicht noch eine Familiengeschichte aus der Feder eines Journalisten, Schauspielers oder Prominenten. Nicht noch eine pietätslose Nabelschau der eigenen Biografie. So mag man intuitiv denken, wenn man sich die Flut der Bücher anschaut, die sich um die eigene Familie drehen – mal als späte Abrechnung, mal als elegische Glorifizierung der eigenen Neurosen. Schlägt man Johanna Adorjáns Buch auf, verfliegen die Zweifel jedoch schon nach wenigen Zeilen: 

"Am 13. Oktober 1991 brachten meine Großeltern sich um. Es war ein Sonntag. Eigentlich nicht der ideale Wochentag für Selbstmorde. An Sonntagen rufen Verwandte an, Bekannte wollen vorbeikommen, um gemeinsam mit dem Hund spazieren zu gehen, ein Montag zum Beispiel erschiene mir viel geeigneter. […] Ich stelle mir vor, dass meine Großmutter am Morgen als Erste aufwacht. Dass sie aufwacht und ihr erster Gedanke ist, dass dies der letzte Morgen ist, an dem sie aufwacht. Dass sie nie wieder aufwachen wird, nur noch einmal einschlafen."

"Eine exklusive Liebe" von Johanna Adorján

Mit Stil und Marotten

Ihr nüchterner, fast distanzierter Ton – prägnant, klar, aber nicht simpel – war schon ein Markenzeichen der Journalistin Adorján. Nun übernimmt sie diesen Tonfall auch in ihrem Debüt. Mit der Neugier einer Journalistin begibt sie sich auf eine Spurensuche. Warum brachten sich ihre Großeltern Hand in ihrem Haus in Kopenhagen um? Adorján fährt an die Orte ihres Lebens, befragt Freunde und Verwandte, getrieben von der Hoffnung, eine Erklärung für diese ungeheuerliche Tat zu finden. 

Ihre Großeltern waren ungarische Juden, die den Holocaust überlebten und während des Budapester Aufstandes nach Dänemark emigrierten. Ein schillerndes Paar, die wie alternde Hollywoodstars wirkten. Sie hatten Stil, Eleganz und pflegten ihre Marotten. Kette rauchend, siezten sie sich ein Leben lang. 

"Sie sahen umwerfend aus, waren eingehüllt in eine Wolke aus Parfüm und Zigarettenrauch und hatten die tiefsten Stimmen, die man je gehört hat."

Porträt Schriftstellerin Johanna Adorjan
Das Debüt der Journalistin Johanna Adorján wurde in über 18 Sprachen übersetzt.Bild: Imago/Star-Media

Hand in Hand in den Tod

Als István, der Großvater unheilbar erkrankt, will seine Frau Vera nicht ohne ihn leben. Auch im Sterben wollen sie nicht allein sein. In frische Nachtwäsche gekleidet, wird das Paar zwei Tage nach ihrem gemeinsamen Freitod im Ehebett aufgefunden. Alles ist perfekt aufgeräumt, alles war penibel vorbereitet. Keine überstürzte Affekthandlung, sondern eine wohlüberlegte, ungeheuerliche Tat. 

Welche Lücke hinterlässt so ein Doppelselbstmord bei den Hinterbliebenen? Was ist genau passiert? Hätte man es verhindern können? Pochende Ungewissheit, Fragen voller Schuldgefühle – Johanna Adorján sucht Gewissheiten, um diese Trauer zu stillen. Ihr Roman ist der Versuch einer Rekonstruktion. Am Ende gibt es keine einfachen Antworten, keine Wahrheiten gegen den Schrecken. Was bleibt ist die anrührende Geschichte einer exklusiven und bedingungslosen Liebe. 


Johanna Adorján: "Eine exklusive Liebe" (2009), Luchterhand Verlag

Johanna Adorján (geb. 1971 in Stockholm) wurde 2017 als Kulturjournalistin des Jahres ausgezeichnet. Sie arbeitete von 2001 bis Juni 2016 in der Feuilleton-Redaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", danach für die Süddeutsche Zeitung. "Eine exklusive Liebe" ist in achtzehn Sprachen übersetzt.