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Johannes Rau - ein Nachruf

Heinz Dylong27. Januar 2006

"Versöhnen statt Spalten": Diese Devise kennzeichnete das politische Lebenswerk von Alt-Bundespräsident Johannes Rau. Der prominente SPD-Politiker verstarb am 27.1.2006 im Alter von 75 Jahren. Ein Nachruf.

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Johannes Rau (2004)Bild: AP

Die Wahl zum Bundespräsidenten im Mai 1999 war die Krönung einer politischen Laufbahn, die der in Wuppertal geborene Rau bereits in den frühen 1950er Jahren begonnen hatte. Schon während seiner Ausbildung zum Buchhändler hatte er sich politisch engagiert. Doch noch war es nicht die SPD, in der Rau seine politische Heimat fand. Vielmehr trat er 1952 in die "Gesamtdeutsche Volkspartei" (GVP) ein. Die vom späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann geführte Partei kam dem überzeugten Protestanten Rau wegen ihres Widerstandes gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands entgegen.

Wechsel in die SPD

Als sich die GVP 1957 auflöste, zog es Rau in die SPD, wo er einen rasanten politischen Aufstieg erlebte. Schon ein Jahr später wurde er erstmals in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt, 1967 gelangte er an die Spitze der SPD-Fraktion und wiederum drei Jahre später wurde Rau Mitglied der Landesregierung. Als Minister für Wissenschaft und Forschung hinterließ Rau deutliche Spuren in der nordrhein-westfälischen Hochschullandschaft. Die Gründung von fünf Gesamthochschulen sowie einer Fernuniversität gehen auf seine Initiative zurück.

Nachdem Rau 1977 auch den Landesvorsitz der SPD übernommen hatte, wurde er 1978 Regierungschef im bevölkerungsreichsten Bundesland. Dass die SPD bei den drei folgenden Landtagswahlen jeweils die absolute Mehrheit erreichte, wurde nicht zuletzt Raus großer Popularität zugeschrieben. Und die speiste sich nicht zuletzt aus seinem Amtsverständnis: "Versöhnen statt spalten" - diese Devise kennzeichnete seinen Regierungsstil, den er 1987 auch gerne im Bundeskanzleramt fortgesetzt hätte.

Niederlage gegen Kohl

Vor dem Hintergrund seiner Wahlerfolge in Nordrhein-Westfalen hatte die SPD Rau als Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl geschickt. Doch sein, auf eine "eigene sozialdemokratische Mehrheit" angelegter Wahlkampf verfing nicht. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident unterlag gegen den CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl und blieb in der Düsseldorfer Staatskanzlei.

Johannes Rau in Israel
Johannes Rau in Israel mit dem ehemaligen Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek (2003)Bild: AP

Innerhalb seiner Partei - Rau war längst zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden aufgestiegen - wurde er mehr und mehr zu einer integrativen Instanz. Und so fiel ihm wie selbstverständlich für einige Wochen die Führung der Partei zu, als der Vorsitzende Björn Engholm 1993 das Amt aufgegeben hatte.

Zudem traute die SPD Rau auch das höchste Staatsamt zu. 1994 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten gegen den CDU/CSU-Bewerber Roman Herzog. Der setzte sich durch und abermals entschied sich Rau für den Verbleib in Nordrhein-Westfalen. Dort mußte er 1995 freilich einen Dämpfer hinnehmen. Bei der Landtagswahl rutschte die SPD unter die 50-Prozent-Grenze. Die Sozialdemokraten bildeten eine Koalition mit den Grünen - beileibe nicht der Wunschpartner des eher der klassischen Arbeitnehmerschaft verbundenen Johannes Rau. Ein konfliktreiche Zweckehe, in der Rau als Moderator eine wichtige Rolle spielte. Im Frühjahr 1998 vollzog er dennoch den erwarteten Stabwechsel. Nach rund 20 Jahren trat er vom Amt des Ministerpräsidenten zurück.

Der Bundespräsident

Doch damit war Raus politische Karriere keineswegs beendet - im Mai 1999 wurde er von der Bundesversammlung im zweiten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt. Und unmittelbar nach seiner Wahl skizzierte Rau in einer kurzen Rede sein Grundverständnis des Amtes:

"Es ist für mich nicht nur eine selbstverständliche Pflicht, sondern auch eine persönliche Verpflichtung, von dem Tag an, an dem ich das Amt des Bundespräsidenten wahrnehme, über alle Grenzen und alle Unterschiede hinweg der Bundespräsident aller Deutschen zu sein und der Ansprechpartner für alle Menschen, die ohne einen deutschen Pass bei uns leben und arbeiten."

Bundespräsident Johannes Rau hält seine letzte Berliner Rede, 2004
Ein großer AuftrittBild: AP

Und die Deutschen zeigten sich zufrieden mit ihrem Staatsoberhaupt. Rau erreichte eine Zustimmungsrate von 80 Prozent - am Anfang seiner Amtszeit war das freilich noch anders. Da galt Rau vielen als ausgebrannt, als ein Politiker von gestern, dessen aktive Zeit vorbei sei. Doch er machte Eindruck, etwa als er im Februar 2000 als erstes deutsches Staatsoberhaupt vor dem israelischen Parlament sprechen durfte, und das auf Deutsch. Einige Abgeordnete verließen sogar den Saal - und kehrten nach diesen Worten Raus zurück:

"Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte. Ich bitte um Vergebung für das, was Deutsche getan haben."

Das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes und die Pflege des deutsch-israelischen Verhältnisses waren seit jeher wichtige Anliegen Raus. In Deutschland hat er sich von Anfang an für ein gutes Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten eingesetzt. Das Thema Zuwanderung war Schwerpunkt seiner ersten Berliner Rede im Mai 2000 - aufgerüttelt hatte er damals niemanden - das, was er sagte, war breiter Konsens.

In seiner letzten Berliner Rede dagegen - im Mai 2004 - bezog er Stellung und übte deutliche Kritik. An Politikern und den deutschen Eliten: "Ich wüsste kein Land, in dem so viele Verantwortliche und Funktionsträger mit so großer Lust so schlecht, so negativ über das eigene Land sprechen, wie das in Deutschland geschieht."

Kurz darauf war seine Amtszeit beendet. Auf eine neuerliche Kandidatur verzichtete er - sie wäre wegen der veränderten Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung wohl auch aussichtslos gewesen.

Johannes Rau war ein politischer Bundespräsident, für viele der politischste überhaupt. Er bezog Stellung zu Menschenrechtsfragen in China, äußerte Zweifel über den EU-Beitritt der Türkei, sprach sich gegen ein generelles Kopftuch-Verbot an deutschen Schulen aus und widersprach auch dem Kanzler in Sachen Gentechnik.

Seit 1982 war Johannes Rau verheiratet - mit einer Enkelin Gustav Heinemanns, der ihm als politischer Präsident ein Beispiel war. Und so hatte sich Rau im höchsten Staatsamt auch als ein steter Mahner verstanden, etwa was das Zusammenleben der Menschen in Deutschland anbelangt.