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Politik

Johnsons undurchsichtige Nordirland-Lösung

Barbara Wesel
1. Oktober 2019

Nach dem konservativen Parteitag will der britische Premier der EU seinen Vorschlag für einen neuen Deal machen. Dabei plant er für Nordirland Kontrollen in Abstand zur Grenze - aber er hält Details weiter geheim.

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Nordirland Grenze Irland Rinder
Grenzkontrollen in Nordirland?Bild: Getty Images/AFP/P. Faith

Es dauerte nicht lange, bis Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und Vertrauter der Bundeskanzlerin, den neuen Vorschlag der britischen Regierung von der Stange schoss: "Johnson lernt einfach nicht dazu: Seine jüngsten Brexit-Pläne sind nicht ernsthaft und verstoßen gegen das Recht. Er will keine Verlängerung und schlägt einen Backstop vor, der faktisch eine harte Grenze ist", twitterte der CDU-Politiker in Berlin.

Irgendwie Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland

Über Nacht waren durch den irischen Sender RTE jüngste Vorschläge der britischen Regierung bekannt geworden. Dabei bliebe nach dem Brexit von der ursprünglich geforderten Angleichung an EU-Regeln auf beiden Seiten der Grenze nicht mehr viel. Sie würde nur noch für einen Teil von landwirtschaftlichen Produkten gelten, der Rest dagegen würde regulatorisch und beim Zoll britischem Recht folgen.

Deshalb müsste es Kontrollstellen geben, die allerdings zehn bis 15 Kilometer hinter der Grenze eingerichtet werden sollen. Beim eigentlichen Grenzübertritt würden die Güter dann durch technische Überwachung gesichert. In diesen Kontrollstellen aber würde vorab die Zertifizierung von Waren sowie die Erfassung von Zöllen erfolgen. Die EU-Seite winkte nach dem Bekanntwerden dieser Pläne ab: Das sei doch genau das Gleiche, was nach einem harten Brexit passieren würde. Dafür brauche man keinen Deal, wenn das Karfreitags-Abkommen nicht garantiert würde.

Boris Johnson ruderte im Interview einmal mehr zurück. "Das ist überhaupt nicht, was wir vorschlagen", erklärte der Premier. Es gebe gute Gründe dagegen, die in der besonderen Geschichte des Landes liegen. Allerdings räumte er dann auf Nachfragen ein, dass es tatsächlich irgendwo Kontrollen geben müsse, wenn Großbritannien nach dem Brexit eigenen Regeln folgen werde. "[…] Das ist die Realität. Und wir kommen jetzt an den kritischen Punkt der Entscheidung mit unseren Freunden und Partnern. Als souveränes Land müssen wir ein einheitliches Zollregime haben. […] Aber es gibt viele Wege wie wir den Nord-Süd Handel [in Irland, Anm. d. Red.] erleichtern können."

Das Ganze ist eine klare Absage an den alten Vorschlag eines Northern-Ireland-only-Backstop, wonach nur Nordirland weiter einen Teil der EU-Regeln befolgt hätte, um die offene Grenze zu erhalten und die Wirtschaft in der Region nicht zu spalten. In Brüssel hatte man gehofft, man könne den Plan unter einem anderen Namen wieder beleben. Wenn Johnson das aber nicht will und er Kontrollstellen will, wie soll es dann funktionieren?

Die Einzelheiten lässt der Premier weiter im Dunkeln, der mit Brüssel erst nach dem Parteitag in hochgeheime "Tunnelverhandlungen" eintreten will. Wenn das seine Pläne seien, müsse jemand im Tunnel das Licht anmachen, scherzte ein EU-Diplomat. Tatsächlich stehen diese Vorschläge in einem sogenannten Non-Paper, dass der EU von den Briten auf den Tisch gelegt wurde. Das heißt, sie können sich davon distanzieren. Andererseits schrieb Peter Forster, Europa- Korrespondent des regierungsnahen "Telegraph" auf Twitter :"Meine Quellen bestätigen, dass dies - wie von RTE Tony Connelly berichtet - der Backstop-Vorschlag ist, den Boris Johnson ab morgen den EU-Regierungschefs unterbreiten will." Wenn das britische Denken tatsächlich in diese Richtung geht, macht das eine Einigung unwahrscheinlich. 

Es ist sowieso zu spät

England David Gauke
Für ein Abkommen ist es laut dem früheren Justizminister David Gauke ohnehin zu spätBild: Reuters/H. Mckay

Der frühere Justizminister David Gauke, der mit 20 weiteren Kollegen vom Premierminister aus der Partei geworfen worden war, weil er gegen einen harten Brexit gestimmt hatte, glaubt dass es sowieso zu spät für ein Abkommen mit der EU ist. "Niemals ist das bis zum 31. Oktober zu schaffen. Es wäre eine wilde Untertreibung, das einen heroischen Versuch zu nennen", sagte er beim Parteitag in Manchester, an dem er quasi als Gast teilnimmt. Die Brexiteers und die Tories hätten der britischen Öffentlichkeit sowieso keinen reinen Wein eingeschenkt, was die Komplexität dieser Probleme angehe.

Boris Johnson hoffe bloß, dass das Problem lösbar sei, habe aber keinen echten Vorschlag, wie das funktionieren solle. Das gelte jedenfalls, wenn die durchgesickerten Pläne echt seien. Er befürchte auch, dass die Regierung jetzt an dem Punkt sei, wo sie nicht mehr wirklich einen Deal will, aber so aussehen möchte als ob, fügte der Tory Rebell noch hinzu.

Weltkriegsmetaphern und "brutale Ehrlichkeit"

In der großen Halle des Konferenzcenters in Manchester donnerte unterdessen Oberhausmitglied Lord Peel, die Vorwürfe gegen Boris Johnson seien lächerlich, dass seine Sprache zu Gewalt führen könnte. Nach dessen aggressivem Auftritt im Parlament vorige Woche in London war darüber ein Streit entbrannt. Auch Churchill habe sich bei seiner Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede für brutale Ehrlichkeit entschieden, sagte Peel unter großem Beifall. Bei der Mehrheit scheint es nicht strittig, dass man den Brexit mit Weltkriegsmetaphern beschreiben könne.

David Gauke dagegen gehört zu den moderaten Tories, die auf dem Parteitag nicht besonders hervor treten, die aber die scharfen Formulierungen von Boris Johnson und anderen kritisch sehen. "Einiges war unsensibel, aber andere [Begriffe, Anm. d. Red.] sind Teil einer bewussten Strategie, um das Land weiter zu spalten. Es dient dazu, die Gefühle der eigenen Anhänger und die der Gegenseite aufzustacheln."

Boris und die Frauen - es ist eine Verschwörung

Wütend reagierte der Premierminister auf erneute Fragen nach einer angeblichen Grabsch-Affäre, die die Journalistin Charlotte Edwards öffentlich gemacht hat. Sie hatte am Wochenende einen Vorfall berichtet, wonach Boris Johnson ihr bei einem Essen unter dem Tisch in eindeutiger Absicht an den Oberschenkel gegriffen haben soll. Die Geschichte liegt allerdings zwanzig Jahre zurück. Diese Vorwürfe seien nicht wahr, erklärte der Premier dazu, und es sei traurig, dass jemand solche Sachen aufbringe. Trotz seines Dementis aber verfolgt ihn die Story weiter.

Noch nicht ausgestanden ist auch die Untersuchung zu seiner früheren Freundin Jennifer Arcuri, die aufgrund von Boris Johnsons Einflussnahme über 100.000 Pfund aus öffentlichen Kassen erhalten haben soll. Sie durfte auch an offiziellen Werbereisen für Start-up Unternehmer teilnehmen. Auch dazu erklärt der Premier, dass nichts Unrechtmäßiges geschehen sei. Aber er sehe einen guten Grund, warum diese Geschichten ausgerechnet jetzt publiziert würden: "Weil es meine Aufgabe ist, den Brexit am 31. Oktober über die Bühne zu bringen. Und es gibt eine Menge wohlmeinende und intelligente Leute, die das nicht wollen. Und ich glaube, es gibt einen konzertierten Versuch, den Brexit zu verhindern." Angesichts der langen Kette von Sexgeschichten, die Boris Johnson seit Jahren verfolgt, ist das vermutlich die ultimative Verschwörungstheorie.