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Journalist bei Überfall schwer verletzt

6. November 2010

In Moskau ist ein Journalist brutal niedergeschlagen worden. Oleg Kaschin musste in ein künstliches Koma versetzt werden. Er gilt als unbequemer Journalist, der auch über Demokratiedefizite in Russland berichtete.

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Der russische Journalist Oleg Kaschin (Archivfoto: AP)
Gilt als regierungskritisch: Der Journalist Oleg KaschinBild: AP

Der bekannte russische Journalist Oleg Kaschin von der Zeitung "Kommersant" wurde am Samstag (06.11.2010) von Unbekannten überfallen, als er in seine Wohnung in der Moskauer Innenstadt zurückkehren wollte. Laut einem Augenzeugen warteten zwei Männer mit einem Blumenstrauß vor dem Eingang auf Kaschin. Der 30-Jährige erlitt eine Gehirnerschütterung und zahlreiche Knochenbrüche. Unter anderem seien ihm beide Beine sowie Ober- und Unterkiefer gebrochen worden. Nach einer Notoperation wurde Kaschin in ein künstliches Koma versetzt.

Kaschins Chefredakteur, Michail Michailin, sagte, die Tatsache, dass die Täter den Journalisten nicht ausgeraubt und ihm auch die Finger gebrochen hätten, sei zweifelsohne ein Indiz dafür, dass es sich um einen Racheakt für seine Arbeit als Reporter handele. Auch die Staatsanwaltschaft sprach von einem möglichen Zusammenhang mit der Arbeit des Journalisten.

Kaschin berichtete über umstrittenes Autobahnprojekt

Kaschin schrieb als Politik-Redakteur unter anderem über Demonstrationen der Opposition und setzte sich kritisch mit Demokratiedefiziten in seiner Heimat auseinander. Er berichtete auch über Umweltschützer und Aktivisten, die sich gegen die Abholzung eines Waldes in Chimki nahe Moskau für den Bau einer Autobahn einsetzten. Zwei Tage vor dem Angriff auf Kaschin war ein Aktivist überfallen worden, der gegen die Abholzung protestiert hatte. Vor zwei Jahren war ein Redakteur der Zeitung "Chimki" zusammengeschlagen worden, der als einer der ersten über die geplante Abholzung berichtete.

Demonstranten fordern in Moskau eine rasche Aufklärung der Attacke auf Kaschin (Foto: AP)
Demonstranten in Moskau fordern eine rasche Aufklärung der Attacke auf KaschinBild: AP

"Die Täter müssen gefunden und bestraft werden", forderte Kremlchef Dmitri Medwedew. Er hatte zuvor überraschend ein umstrittenes Gesetz zur weiteren Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Russland gestoppt. Medwedew beauftragte die Staatsanwaltschaft und das Innenministerium, den Fall Kaschin als besonders wichtig zu behandeln. Die russische Polizei erklärte, sie habe Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen.

"Trauriger Tag für Europa"

Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von einem "feigen Überfall" und einem traurigen Tag für Europa. "Es gibt zu denken, dass die Serie politisch motivierter Anschläge auf Journalisten nicht abreißt", sagte sie. Auch die Organisation Amnesty International und der russische Journalistenverband sowie der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin äußerten sich empört. Die "Grande Dame" der russischen Menschenrechtsbewegung, Ljudmila Alexejewa, sagte, "solange bei uns Journalisten eingeschüchtert und verprügelt werden, solange ist Russland weder ein Rechtsstaat noch demokratisch".

Bei einer spontanen Kundgebung vor dem Polizeipräsidium in Moskau forderten Demonstranten eine schnelle Aufklärung des Verbrechens. Alle russischen Fernsehsender machten am Samstag ihre Nachrichten mit dem Überfall auf Kaschin auf.

Übergriffe und Attentate auf Medienvertreter kommen in Russland immer wieder vor. Nach Angaben des in New York ansässigen Komitees für den Schutz von Journalisten (CPJ) wurden in den vergangenen zehn Jahren mindestens 18 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt. Am bekanntesten ist der Fall der getöteten Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja. Sie wurde im Jahr 2006 im Treppenhaus ihres Moskauer Wohnhauses erschossen.

Autorin: Ursula Kissel (dpa, rtr, afp, dapd)
Redaktion: Ulrike Quast