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Juden im Ersten Weltkrieg

Marc von Lüpke-Schwarz 5. August 2014

Im Ersten Weltkrieg wollten die deutschen Juden ihren Patriotismus beweisen. Doch antisemitische Hetze und Propaganda machten sie später zu Sündenböcken für den verlorenen Krieg.

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Karikatur Erster Weltkrieg Dolchstoßlegende
Bild: public domain

Einsam liegt ein Soldat in seinem Schützengraben. Mit ernstem Blick, das Gewehr im Anschlag, blickt er in die Ferne – dorthin, wo der Gegner wartet. Doch die vermeintlich wahre "Gefahr" befindet sich auf dieser antisemitischen Postkarte aus Österreich von 1919 in seinem Rücken. Eine Gestalt in weiß nähert sich dem Soldaten von hinten – ein gezücktes Messer in der Hand. Lächelnd macht sich die Gestalt zum Stoß bereit, gleich wird sie den Soldaten wohl erdolchen, "heimtückisch von hinten".

"Die Dolchstoßlegende"

Dem zeitgenössischen deutschen oder österreichischen Betrachter dieser Hetz-Postkarte war auch ohne den jüdischen "Davidstern" an der Kopfbedeckung oder den Schläfenlocken zweifelsfrei klar, wer der angebliche "Meuchelmörder" war: ein Jude. Voller Hass und Vorurteile verwendeten Antisemiten in ihren Hetzschriften und Zeichnungen die immer gleichen menschenverachtenden Klischees: Juden mit der angeblich so typisch langen "jüdischen Nase", oder mit angeblich typischen wulstigen Lippen. Auf dieser Karte stattete der Zeichner die vom Gesicht her zweifelsfrei männliche Gestalt mit einem Kleid und Brüsten aus – denn in der antisemitischen Propaganda galten Juden als feige, heimtückisch und eben auch "weibisch".

Plakat Erster Weltkrieg Reichsbund jüdischer Frontsoldaten
Der "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" machte auf die großen Opfer der jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg aufmerksamBild: public domain

Der Dolchstoß aber, den diese Gestalt hier auf der Hetzpostkarte unternimmt, steht symbolisch für den größten – und komplett erlogenen – Mythos nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918: der Dolchstoßlegende. Angeblich, so die Legende, sei das deutsche Heer im Felde unbesiegt "von hinten erdolcht worden", wie der Kriegsheld und spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg behauptete. Jahrelang hatte die deutsche Propaganda der Bevölkerung den Sieg versprochen – als plötzlich die deutsche Niederlage drohte, versuchten Militärs und verantwortliche Politiker, die Schuld von sich zu weisen. Ein Sündenbock war schnell gefunden: die Juden.

Patriotismus und Judentum

Karikatur Erster Weltkrieg Dolchstoßlegende
Der angebliche "jüdische Dolchstoß" in den Rücken der deutschen ArmeeBild: picture-alliance/akg

"Ich kenne nur Deutsche!", verkündete dagegen der deutsche Kaiser Wilhelm II. im August 1914. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hofften die deutschen Juden, dass diese Aussage sich bewahrheiten würde. Bis dahin waren sie in Deutschland trotz rechtlicher Gleichstellung oftmals als Bürger zweiter Klasse behandelt worden: Überall begegneten Juden Vorurteile und Ablehnung, Juden als Offiziere in der Armee waren beispielsweise fast unbekannt. Aus diesem Grund glaubten viele Juden, bei Kriegsausbruch ihren Patriotismus beweisen zu können – und die hasserfüllten antisemitischen Vorurteile zu widerlegen.

"An die deutschen Juden! In schicksalsernster Stunde ruft das Vaterland seine Söhne unter die Fahnen!", appellierte beispielsweise der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" an seine Mitglieder bei Kriegsbeginn. "Glaubensgenossen! Wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterland zu widmen.", heißt es weiter. Tatsächlich kämpften rund 100.000 deutsche Juden im Ersten Weltkrieg. Und auch die antisemitische Hetze ging zu Beginn des Krieges wie erhofft zurück – unterdrückt von der staatlichen Zensur, die im Zuge der nationalen Burgfriedenspolitik derartige Hetzschriften einzog.

"Die Judenzählung"

Propaganda Erster Weltkrieg Anti Antisemitismus
Mit Gegenpropaganda versuchten jüdische Organisationen die antisemitische Hetze zu stoppenBild: picture-alliance/akg

Doch mit fortschreitendem Kriegsverlauf verstärkten antisemitische Organisationen wie der "Reichshammerbund" erneut ihre judenfeindliche Hetze. Zahlreiche Eingaben erreichten beispielsweise das Preußische Kriegsministerium: angeblich wären überproportional viele Juden vom Wehrdienst befreit, sie wären "Drückeberger", die sich dem "Dienst am Vaterland" entzögen. Die antisemitische Propaganda sollte sich als erfolgreich erweisen: Im Oktober ordnete der preußische Kriegsminister eine sogenannte "Nachweisung der beim Heere befindlichen wehrpflichtigen Juden" an.

Als "Judenzählung" ging sie in die Geschichte ein. Unter den zahlreichen jüdischen Soldaten sorgte sie für blanke Empörung. "Pfui Teufel! Dazu also hält man für sein Land den Schädel hin", entrüstete sich beispielsweise der deutsch-jüdische Soldat Julius Marx. Ein Ergebnis der "Judenzählung" wurde niemals veröffentlicht. Tatsächlich beweist bereits die Zahl der an Juden vergebenen Tapferkeitsauszeichnungen von 30.000, dass die antisemitische Propaganda log. Doch der Schaden war angerichtet. Antisemitische Flugblätter verbreiteten Parolen wie "Überall grinst ihr Gesicht, nur im Schützengraben nicht", den Juden wurde zugleich "Kriegsgewinnlerei" vorgeworfen.

Die Juden als Sündenbock

"An die deutschen Mütter", wandte sich im Gegenzug der "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" im Jahr 1920. Auf dem Propagandaanschlag sitzt eine trauernde Mutter an einem Grab, geschmückt ist es mit dem Eisernen Kreuz. "12.000 jüdische Soldaten sind für das Vaterland auf dem Felde der Ehre gefallen", steht auf dem Grabstein. Jüdische und nichtjüdische Soldaten, so die Botschaft, hätten gemeinsam gekämpft und wären gemeinsam "in fremder Erde" bestattet. Und schließlich wendet sich das Plakat gegen die antisemitische Hetze: "Blindwütiger Parteihass macht vor den Gräbern der Toten nicht Halt".

Walther Rathenau
Der deutsch-jüdische Außenminister Walther Rathenau wurde 1922 von rechtsextremistischen Attentätern ermordetBild: public domain

Gemeint war nicht zuletzt die "Dolchstoßlegende", die in dieser Zeit in weiten Bevölkerungskreisen populär war. Juden, Sozialisten und Demokraten dienten als Sündenbock für den verlorenen Krieg. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs war die demokratische Weimarer Republik entstanden – die von vielen Deutschen abgelehnt wurde. Als "Judenrepublik" wurde der junge Staat verhöhnt, seine Vertreter wurden Opfer von Gewalt und Anschlägen. Außenminister Walther Rathenau fiel 1922 einem rechtsextremistischen Anschlag zum Opfer.

Mit Parolen wie "Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau" wurde zuvor tödliche Stimmung gegen den Politiker jüdischer Herkunft gemacht. In der nationalsozialistischen Propaganda schließlich wurde das Klischeebild vom Juden zum Symbol für alles, was die Nationalsozialisten ablehnten: Kriegsniederlage, Revolution, Sozialismus und Demokratie. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialsten begann schließlich eine bis dahin in der Geschichte ungekannte Verfolgung von Juden, die im Holocaust mündete. Die seit langem verbreitete menschenverachtende antisemitische Propaganda spielte dabei eine wichtige Rolle.