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Frische Ideen für "alte Männer mit Krawatte"

Elizabeth Grenier fs
16. November 2018

"Jugend für den Frieden" bringt kluge Köpfe aus der ganzen Welt in Berlin zusammen. Sie sollen innovative Friedenskonzepte für Europa und seine Nachbarländer entwickeln. Vorbild ist die deutsch-französische Aussöhnung.

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Veranstaltung Youth for Peace
Bild: DW/E. Grenier

Frischer Wind für den Frieden in Europa soll aus Berlin kommen. Dort kommen an diesem Wochenende rund 500 junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 48 verschiedenen Ländern zusammen. Unter dem Motto "Jugend für den Frieden" sollen sie innovative Friedenskonzepte entwickeln. Das Ergebnis wird dann bei der Abschlusszeremonie am 18. November Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron übergeben.

Bei der Auftaktveranstaltung am Mittwoch (14.11.2018) erinnerte Andreas Michaelis, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, daran, dass 1918 nicht nur der Erste Weltkrieg endete; es sei auch das Jahr der internationalen Umwälzungen gewesen. Auf der ganzen Welt seien neue Grenzen gezogen und neue Nationen geboren worden, Frauen durften in Deutschland zum ersten Mal wählen.

"Wir leben heute wieder in einer Zeit des Umbruchs", sagte Michaelis und betonte die zentrale Rolle der Jugend bei der Lösung globaler Probleme: "Die Gestaltung der Zukunft sollten Sie nicht alten Männern mit zu langen Krawatten überlassen", mahnte der Politiker, der selbst eine lange Krawatte trug.

Deutsch-französische Versöhnung als Vorbild

Die Veranstaltung, die unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amts und der französischen "Mission du Centenaire" steht, soll sich die deutsch-französische Aussöhnung zum Vorbild nehmen, so der Ansatz der Organisatoren. Sie könne als Inspiration dienen, gegenwärtige Konflikte in Europa und seinen Nachbarländern zu lösen.

Die früheren Erbfeinde trieben nach Ende des Zweiten Weltkriegs gemeinsam ein Zusammenwachsen Europas voran und wurden zum Motor eines langfristigen Friedensprojekts. "Doch dieses Erbe ist immer noch zerbrechlich", mahnte der ehemalige französische Premierminister Jean-Marc Ayrault.

Helmut Kohl und Francois Mitterand Hand in Hand vor einem Soldatengrab
Starker symbolischer Akt: Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident François Mitterrand erinnern am 22.9.1984 in Verdun gemeinsam an den Ersten Weltkrieg - 70 Jahre nach dessen AusbruchBild: ullstein bild/Sven Simon

Die Beziehungen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seien zwar gut und die Bande zwischen Deutschland und Frankreich sehr eng, betonte Anne-Marie Descôtes, Frankreichs Botschafterin in Berlin. Auch das gemeinsame Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November habe das noch einmal gezeigt.Trotzdem dürfe man nicht vergessen, dass dies das erste Mal war, dass zwei Staatschefs aus Deutschland und Frankreich gemeinsam des Kriegsendes gedachten, so Descôtes.

Auch Ayrault unterstrich die Bedeutung symbolischer Akte. An die Geschichte des Ersten Weltkriegs zu erinnern sei heute umso wichtiger, weil alle Zeitzeugen bereits gestorben seien. "Symbolische Akte sind starke Akte. Wir brauchen keine Angst vor ihnen zu haben, aber wir sollten uns auch nicht auf ihnen ausruhen", betonte der ehemalige Premierminister.

Mehr als symbolische Akte

"Jugend für den Frieden" soll über den symbolischen Akt hinausgehen. In zahlreichen Workshops werden den teilnehmenden Schülern und Studenten deshalb verschiedene Perspektiven von Krieg und Frieden aufgezeigt. Neben Seminaren zu Themen wie kriegsbedinger Migration oder der medialen Darstellung des Ersten Weltkriegs in verschiedenen Ländern, werden sie auch Friedensaktivisten treffen.

In "Peace Talks" kommen sie beispielsweise mit Mitgliedern der "International Campaign to Abolish Nulear Weapons", die 2017 den Friedensnobelpreis gewann, zusammen, und werden vomKünstlerkollektiv Peng in zivilem Ungehorsam geschult.

Noch wichtiger als das Programm selbst ist aber die Möglichkeit der Teilnehmer, sich über Grenzen hinweg zu vernetzen - und vielleicht lebenslange Freundschaften zu schließen. Der 17-jährige Julius Niewisch ist vom Konzept "Jugend für den Frieden" überzeugt: "Wir sind alle hier, weil wir uns einig sind, dass Krieg sinnlos ist."

Gemeinsame Geschichte schreiben?

Ein solches Treffen könne jungen Menschen helfen "eine gemeinsame Geschichte zu entwickeln", sagte die lettische Studentin Anete Kalnina bei der Podiumsdiskussion. Der Historiker Sönke Neitzel entgegnete, dass dieses Ziel wohl nur schwer zu erreichen sei. Die verschiedenen nationalen Geschichtsschreibungen seien zu wichtig für diejenigen, die sie für ihre Zwecke ausnutzten - egal ob Brexit-Befürworter in Großbritannien oder rechts-konservative Regierungspolitiker in Polen.

Soldaten im Schützengraben
Seit Ende des Ersten Weltkriegs hat jedes Land sein eigene Geschichte geschriebenBild: Getty Images

"Was wir aber gemeinsam schaffen können, ist ein besseres Verständnis für verschiedene Perspektiven und Narrative", fügte Neitzel hinzu. Das mache es einfacher für Menschen, Unterschiede zu akzeptieren anstatt in ihnen eine Bedrohung zu sehen.

Deutschlands Schuld, Großbritanniens Ruhm

Mit einer Mischung aus historischen Fakten und persönlichen Geschichten versuchte die britische Autorin Afua Hirsch, dem Publikum das Bild vom Ersten Weltkrieg in ihrem Heimatland zu vermitteln. Ihr Großvater väterlicherseits war Deutscher, kämpfte im Ersten Weltkrieg und musste schließlich als Jude 1938 vor den Nazis fliehen.

Während in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Holocaust ein nationales  Schuldgefühl eingesetzt habe, seien die Briten seither "von ihrem Ruhm besessen". Das könne genau das "ruinieren, wofür wir damals gekämpft haben", so Hirsch.

Als aktuelles Beispiel führt sie den Film "The Darkest Hour" an, der Winston Churchill in seinen erste Wochen als britischer Premierminister in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs zeigt. Der Film stelle Großbritannien als kleine isolierte Insel dar, die sich heldenhaft Hitler widersetzte.

Filmstilll aus The Darkest Hour
Glorifiziertes Großbritannien-Bild? Szene aus dem Film "The Darkest Hour"Bild: picture-alliance/AP Photo/Jack English/Focus Features

Dass das Vereinigte Königreich zu dieser Zeit eine imperiale Großmacht gewesen sei, werde lieber verschwiegen, so Hirsch. "Wenn wir an diesen halbwahren Erzählungen, dieser selektiven Geschichtswahrnehmung festhalten, verleitet uns das dazu, Dinge zu vergessen, an die wir uns erinnern sollten."

Für Kritik wie diese werde sie als schwarze Frau mit jüdisch-deutsch-ghanaischen Wurzeln oft attackiert, vor allem in den sozialen Netzwerken, so Hirsch. "Dann geh doch zurück in dein eigenes Land", sei die Standardantwort. Die Beschimpfungen und Diffamierungen hätten nach dem Brexit-Referendum spürbar zugenommen,sagt sie, vor allem bei Twitter. Dagegen müsse man sich wehren. Zudem habe jeder die Aufgabe, Narrative zu hinterfragen, so die Britin. "Wenn wir das machen würden, würden sich die Dinge von Grund auf ändern."