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"Junge Wilde"

Louisa Schaefer/ Adaption: Suzanne Cords16. Mai 2012

Schon mit 23 Jahren ist Ray Chen ein bekannter Geiger. Und er will auch andere junge Menschen davon überzeugen, dass klassische Musik einfach "cool" ist. Chen gehört zu den "Jungen Wilden" im Dortmunder Konzerthaus.

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Ray Chen. (Quelle: http://www.raychenviolin.com/media Pressebild) Copyright-Bestätigung 02.05.2012 19:41: Hi Malte, The pictures in the gallery can be used as long as you credit the photographer. Here are also other photos: http://www.camimusic.com/details.asp?webid=2103 Best wishes, Ray
Bild: Uwe Arens

In dem Musentempel hat man sieben Vertreter einer jungen Musikergeneration engagiert, die gleichzeitig auch Schulklassen besuchen und den Kindern die Welt der Klassik näherbringen.

Ray Chen ist einer von ihnen. Trotz seiner Jugend kann er schon auf eine erfolgreiche Karriere als klassischer Geiger zurückblicken, der sein Publikum rund um den Globus mit präzisem und einfühlsamem Spiel berührt hat. Aber trotz aller beruflichen Ambitionen, die Karriereleiter noch höher zu klettern, will er doch mit beiden Füßen auf der Erde bleiben – und zwar, indem er sich Jugendlichen widmet und ihnen zeigt, wie spannend die Welt der Klassik sein kann.

Chen kam in Taiwan zur Welt, aber schon im Alter von vier Monaten zog er mit seiner Familie nach Australien um. Dort surfte er mit Hingabe an den weißen Stränden, frönte aber gleichzeitig seiner Leidenschaft für das Geigenspiel. Mit 16 siedelte er schließlich in die USA um, um das angesehene Curtis Musikinstitut in Philadelphia zu besuchen. 2008 gewann er den Yehudi Menuhin-, 2009 den Queen Elisabeth-Wettbewerb und 2011 den Echo Klassik Award; seit einiger Zeit spielt er sogar mit der"Macmillan" Stradivari von 1721 – eine Leihgabe für das Ausnahmetalent.

Die DW hat Ray Chen in Dortmund getroffen, wo es im Konzerthaus einen Ausblick auf das Programm der neuen Saison gab, inklusive der "Junge Wilde"-Reihe.

DW: Sie sind im Dortmunder Konzerthaus als "Junger Wilder" engagiert. Bei YouTube gibt es ein Video, das neben ihnen auch andere junge und wilde Klassiktalente zeigt, die bei dem Programm mitmachen. Wie gehen Sie vor, um Jugendliche für Klassik zu begeistern?

Ray Chen: Ich mache ihnen klar, dass Klassik Spaß macht und cool ist. Man muss mit dem Vorurteil aufräumen, dass klassische Musik automatisch langweilig ist. Ich habe dieses Video meiner Kollegen auch gesehen, einige der Jungen Wilden zertrümmern dort ihre Instrumente. Aber das ist nicht mein Ansatz. Musik macht mich nicht wütend.

Ray Chen (Foto: Chris Dunlop)
Chen spielt nur Klassik, hört aber alles von Pop bis JazzBild: Chris Dunlop

Ich habe mittlerweile viele Schulen besucht und festgestellt, dass die meisten Jugendlichen nie in Kontakt mit Klassikmusikern kommen – und erst recht ist es für sie neu, dass ein Musiker in ihre Klasse kommt und sich mit ihnen auf Augenhöhe unterhält. Wie sollen sie also wissen, dass Klassik auch cool sein kann? Wir müssen mit Programmen wie MTV und der Popindustrie konkurrieren, die den Kids täglich nur diese Art von Musik einhämmern. Klar, dass sie sich nicht für Klassik interessieren. Also liegt es an uns jungen Künstlern, auf die Kinder zuzugehen, damit sie was mit uns anfangen können. Genau darum geht es bei der Reihe "Junge Wilde": Wir wollen zeigen, dass wir nicht steife alte Säcke sind, die nur Musik spielen, die eh keiner versteht.

Welche Musik hören Sie gern?

Oh, eine ganze Menge! Pop, Jazz und altmodische Klassiker von Frank Sinatra oder so. Dann Mainstream von Katie Perry oder Lady Gaga, aber eigentlich nicht all zu viel. Und dann gibt es einige neue Bands, die ich toll finde. Kürzlich habe ich eine Band namens "The Luck" gehört – ein Geschwisterduo aus England, die sind so orginell. Internet ist einfach klasse; im Netz kann man all die neuen Bands und neue Musik finden, es ist alles so leicht zugänglich. Und diese Impulse sorgen auch dafür, dass meine klassische Musik lebendig bleibt, so dass ich jedes Mal mit Feuereifer und Begeisterung dabei bin.

Kommen Sie beim Geigespielen denn auch aus der Klassikecke heraus?

Ein klares Nein. Ich mag andere Musik, aber nur als Zuhörer. Den Rest überlasse ich den Profis in diesen Genres. Ich möchte auch nicht mit irgendwelchen Cross Over-Projekten anfangen. Ich denke, man muss der Klassik respektvoll begegnen, um sie anständig spielen zu können – und das gilt eigentlich für jedes Genre. Man muss in die entsprechende Musikwelt eintauchen. Wenn man in beiden Bereichen mitmischt, bleibt es nicht aus, dass Rockelemente in der Klassik landen. Es ist aber eine ganz andere Technik. Auch beim Jazz oder beim Blue Grass wird der Bogen ganz anders geführt – extra angepasst an diese Musikstile eben. Man könnte jetzt sagen: 'Okay. Ich baue jetzt nur diese Kleinigkeit bei diesem Akkord ein.' Es könnte klappen, es kann aber auch schiefgehen. Und irgendwie gerät alles durcheinander, es ist eine Grauzone. Deswegen finde ich, dass man sich auf sein Ding konzentrieren sollte. Andere Musik kann man dann einfach so genießen, nur eben nicht professionell.

Können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal Musik gemacht haben?

Es gibt ein Foto von mir mit einer Spielzeuggitarre. Da muss ich drei Jahre alt gewesen sein. Ich hab' drauf rum geschrammelt, und eines Tages habe ich sie wohl unter mein Kinn geklemmt und mit einem Essstäbchen versucht, sie wie eine Geige zu spielen. Meine Eltern fanden das wahnsinnig komisch und haben mir dann zum vierten Geburtstag eine Geige geschenkt.

Sopranistin Anna Prohaska (Foto: Monika Rittershaus)
Die Sopranistin Anna Prohaska gehört auch zu den "Jungen Wilden"Bild: Monika Rittershaus

Sie haben die Begabung, Gefühl mit unverbrauchtem und gleichzeitig diszipliniertem Spiel zu verbinden? Wie machen Sie das?

Vielen Dank erstmal für das Kompliment. Ich denke mal, das hat etwas mit meiner Herkunft zu tun. In einem asiatischen Haushalt gehört Disziplin zum Alltag. Glücklicherweise war meine Mutter nicht so streng, keine dieser 'Tiger Moms'. Sie hat Dinge eher auf die psychologische Tour durchgesetzt. Wenn ich zum Beispiel nicht üben wollte, sagte sie: 'Das ist okay, Du kannst mit dem Geigespielen ganz aufhören.' Das hat mich dann so erschreckt, dass ich rief: 'Nein, nein, nein! Ich will üben!'

Was die Kombination von Technik und Musikalität angeht, muss ich sagen: Die Disziplin ist in der asiatischen Mentalität verankert: harte Arbeit, viel üben, das gehört dazu. Aber die Musikalität kommt aus der westlichen Welt. All die Musik, die wir spielen - Mozart, Beethoven, Brahms – kommt aus Europa, aus dem Westen, und man kann sich nur auf sie beziehen, wenn man sie lebt. Lerne die Regeln dieser Welt kennen, erst dann kannst du dein eigenes Ding entwickeln. Also wie gesagt: Erst muss man die Grundregeln dieses musikalischen Universums beherrschen, dann kann man allein loslaufen.

Wer ist ihr Lieblingskomponist?

Bach. Seine Musik berührt mich menschlich sehr. Sie geht einfach unter die Haut. Man könnte dabei soviel Philosophisches über den Sinn des Lebens sagen. Die Musik ist manchmal unglaublich vielschichtig und dann wieder ganz einfach. Tschaikowsky ist ebenfalls ein Komponist, den ich sehr schätze. Ich denke da vor allem an das Concerto oder seine Ballettmusik. Sein Werk strahlt gleichzeitig Vornehmheit und Großmut aus.

Ein Kritiker der Washington Post schrieb einmal, Sie könnten mit der Geige alles anstellen, was Sie wollen. Was verlangen Sie von Ihrem Instrument?

Die Aufgabe eines Künstlers ist es, mit dem Publikum zu kommunizieren – in meinem Fall über die Musik; ich bin eine Art Vermittler. Diese Verbindung hat die Geige für mich so attraktiv gemacht; ich liebe es aufzutreten. Und man spinnt wirklich einen Faden zwischen sich und dem Publikum. Am Ende einer Aufführung ist es fast so, als ob man sich gegenseitig besser versteht, weil man auf einer gemeinsamen Ebene zusammen getroffen ist. Auch an einem Durchschnittstag interessiert es mich immer, welche Lebensgeschichten sich im Publikum verbergen.

Was mein Instrument angeht, muss ich sagen: Eine Menge Leute hören auf, etwas zu mögen, sobald es mit ihrer Arbeit zu tun hat. Bei mir ist das anders, ich liebe meine Geige wirklich immer noch sehr.

Ray Chen (Foto: Chris Dunlop)
Obwohl er jetzt in den USA residiert, liebt Chen AustralienBild: Chris Dunlop

Viele Leute bezeichnen ihr Spiel als "reif". Was meinen Sie, woher kommt diese Einschätzung?

Das hat natürlich etwas mit Lebenserfahrung zu tun. Nicht nur mit der eigenen, man kann sich auch vorstellen, wie sich jemand nach einer bestimmten Erfahrung fühlt.

Wenn ein junger Musiker - sagen wir mal, er ist 12 Jahre alt – ein sehr trauriges Stück spielt, kann er das fühlen. Selbst ein Fünfjähriger weiß, was Traurigkeit bedeutet. Aber Traurigkeit hat so viele Facetten: Trauer gehört dazu oder auch Eifersucht. Das Leben bringt solche Erfahrungen mit sich; man kann sich daran erinnern, und die Gefühle kommen wieder hoch. Wir Musiker sind wie Schauspieler: Wir müssen diesen besonderen Moment einfangen, mit unserem ganzen Körper ausdrücken und dann in Musik verwandeln. Je mehr Erfahrungen man hat, desto überzeugender wirkt man. Insofern bin ich froh, dass ich außerhalb des Probenraums andere Leute treffe, andere Dinge tue und andere Musik höre. Derzeit höre ich in meiner Freizeit überhaupt keine klassische Musik.

Gibt es ein Stück, das Sie besonders mögen und immer und immer wieder spielen könnten?

Da gibt es sogar zwei: Bachs "Chaconne" – es ist der Inbegriff eines Geigensolos. Das Stück ist irrwitzig, es ist einfach nur gut und geht unter die Haut. Es hat alles, was man braucht: viele Emotionen und viele Facetten. Das zweite Stück stammt von Max Bruch, das Concerto No. 1. Ich liebe es; und es ist ideal für die Besetzung Geige mit Orchester. Es macht einfach Spaß, es zu spielen.

Das Gespräch führte Louisa Schaefer
Adaption: Suzanne Cords/ Redaktion: Matthias Klaus