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Im Kino: "Junges Licht"

Jochen Kürten12. Mai 2016

Wie wuchs man in den 1960er Jahren im Ruhrgebiet auf? Regisseur Adolf Winkelmann bringt das Lebensgefühl einer jungen Generation ins Kino. Im DW-Gespräch verrät er, warum er noch einmal Farbe in die Zeit bringen wollte.

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Szene aus Adolf Winkelmanns Film 'Junges Licht' (Foto: Weltkino)
Bild: JungesLicht/Weltkino

Dieser Film ist eine Wucht. Eine Premiere von "Junges Licht" hätte man sich in diesen Tagen auch an ganz anderen Orten vorstellen können. Bei einem bedeutenden Festival an der südfranzösischen Küste zum Beispiel. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass der Film vor kurzem am passenden Ort umjubelte Premiere feierte: Im historischen Essener Kinopalast "Lichtburg", also im Herzen des Ruhrgebiets. Jetzt kommt er in die deutschen Kinos. Verdient hätte "Junges Licht" eine Uraufführung in Cannes auf jeden Fall.

Adolf Winkelmann ist im April 70 Jahre alt geworden. Sein Leben lang hat er sich mit seiner Wahlheimat beschäftigt - dem Ruhrgebiet. Fast alle seine Spielfilme sind dort angesiedelt. Mit "Junges Licht" hat er nun sein Werk gekrönt. Obwohl das eigentlich gar nicht so vorgesehen war. Zwei 30-jährige Drehbuchautoren hätten ihn auf den Roman "Junges Licht" des Autors Ralf Rothmann aufmerksam gemacht, erzählt Winkelmann im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Ich hatte das nicht auf dem Schirm - dass sich jemand für eine Kindheit in den frühen '60er Jahren interessieren könnte."

"Junges Licht": Film über das Leben in der Bundesrepublik der 1960er Jahre

Der Regisseur ließ sich überzeugen. Sein Film dürfte nun auch auf das Interesse von Menschen stoßen, die mit dieser Region gar nichts im Sinn haben. "Junges Licht" dringt tief ein in die Zeit, in die Psyche eines Heranwachsenden, in die Bundesrepublik der 1960er Jahre. "Ich habe in dem Buch alles wiedergefunden, was meine Kindheit ausgemacht hat", zeigt sich der Regisseur dankbar für die Inspiration durch die literarische Vorlage.

Szene aus Adolf Winkelmanns Film 'Junges Licht' (Foto: Weltkino)
Julian (Oscar Brose, l.) und Walter (Charly Hübner) als Vater und SohnBild: JungesLicht/Weltkino

Winkelmann erzählt vom zwölfjährigen Julian (Oscar Brose), der mit seinen Eltern und der jüngeren Schwester mitten im Pott lebt. Eine ganz normale Familie, der Vater Walter (Charly Hübner) schuftet unter Tage, baut mit den Kumpels Kohle ab. Die Mutter macht den Haushalt, verdrischt Julian mit dem Kochlöffel, wenn dieser nicht spurt. Julian streicht dem Vater morgens die Brote und träumt davon, irgendwann auch einmal unter Tage zu arbeiten, oder, noch besser, dicht an den glühenden Kohlebecken in der Kokerei zu stehen.

Viel Sinn für das Gefühl sommerlicher Langeweile

Winkelmann konzentriert sich in seinem Film auf ein paar Wochen im Sommer: Die Mutter ist mit der Schwester zur Kur, der Vater ist "auf Zeche", Julian treibt sich rum. Den ganzen Tag hat er Zeit, streift durch die Gegend, spricht mit Nachbarn, beobachtet den Lauf der Dinge. In diesen vielen, eigentlich ganz unspektakulären Sequenzen ist Winkelmann etwas ganz besonderes gelungen: die Atmosphäre einer ganz bestimmten Zeit, eines ganz bestimmten Ortes, geradezu sinnlich auf der Kinoleinwand wiederauferstehen zu lassen. Das hat es im deutschen Kino in dieser Intensität, in der ästhetischen Durchdringung des Stoffes zwischen Realismus und Poesie schon lange nicht mehr gegeben.

Adolf Winkelmann, Regisseur (Foto: picture-alliance/DPA/Citypress24)
Regisseur Adolf WinkelmannBild: picture-alliance/dpa/Citypress24

"Mir war es wichtig, keinen historischen 08/15-Standard-Film zu machen", erzählt Winkelmann, "diese Filme, die man bei uns im Fernsehen so häufig sieht, die alle gleich aussehen: Die haben so eine matte Farbigkeit, so einen Sepia-Ton, als sei die Geschichte matt und Sepiafarben gewesen." "Junges Licht" spielt mit dem Wechsel zwischen Farbe und Schwarz-Weiß und wirkt gerade dadurch authentisch: "Ich weiß doch, dass es damals in meiner Kindheit bunte Farben gegeben hat", unterstreicht der Regisseur. Einen reinen Farbfilm zu drehen über eine Zeit, die viele Menschen, die damals aufgewachsen sind, auch Schwarz-Weiß in Erinnerung hätten, das sei für ihn nicht in Frage gekommen.

Freier und unkonventioneller Umgang mit den filmischen Mitteln

In der Rückschau, ob in gedruckten Medien oder in Filmen, habe man Schwarz-Weiß-Bilder in Erinnerung, sagt Winkelmann. Das habe er einfangen wollen. Auf der anderen Seite sei die Wirklichkeit in den 1960er Jahren aber auch farbig gewesen: "Da habe ich gedacht: Das alles möchte ich zeigen. Ich möchte die Zuschauer an all das erinnern." Er sei deshalb frei und experimentell mit den Farben umgegangen.

Doch es ist nicht nur dieser Umgang mit der Form, die "Junges Licht" sehenswert so macht. Es ist vor allem auch der genaue Blick auf das Leben eines ganz normalen Heranwachsenden. Winkelmann lobt die literarische Vorlage: "Das geht auch von diesem Roman von Rothmann aus: Dieses Buch ist so radikal subjektiv aus der Sicht eines Zwölfjährigen Jungen erzählt, dass mir von Anfang an klar war: Ich kann dieser poetische Sprache des Autors nur in einem Film gerecht werden, der zart und leise und zurückhaltend ist."

Szene aus Adolf Winkelmanns Film 'Junges Licht' (Foto: Weltkino)
Schuften unter Tage: Walter (Charly Hübner, l.) und sein TruppBild: JungesLicht/Weltkino

Er habe nicht die großen Konflikte der Zeit abbilden, sondern sich vielmehr mit der "Sprachlosigkeit der Nachkriegsgeneration" auseinandersetzen wollen: "Es wurde damals nicht alles besprochen, das meiste wurde unter den Teppich gekehrt." Er habe keinen Film machen können, der laut und eindeutig ist. So gehören die Szenen, in denen Vater und Sohn im Hochsommer auf dem Balkon der Wohnung sitzen und ihre Stullen vertilgen, in Sicht- und Riechweite rauchender Schlote, zu den Höhepunkten des Films. Ihre Unterhaltungen zwischen Vertrautheit und Fremde, zwischen Nähe und Distanz verraten viel über das West-Deutschland der Nachkriegszeit.

"Junges Licht": ein Film über eine Region, die es so nicht mehr gibt

Natürlich ist "Junges Licht" auch ein Film über eine verblassende Industrie-Region der Bundesrepublik. Ein Ort, auf den, so Adolf Winkelmann, man aber auch stolz sein könne: "Das Ruhrgebiet ist eine untergegangene Landschaft." Er habe das noch einmal in Erinnerung rufen wollen. "Junges Licht" sei als "eine Ode an das Revier" gedacht. Auch wenn "das Ruhrgebiert keine Alpen hat", hätten die Menschen "natürlich das Recht, auf das Ruhrgebiet stolz zu sein: 'Junges Licht' ist ein Heimatfilm aus dem Ruhrgebiet."

Szene aus Adolf Winkelmanns Film 'Junges Licht' (Foto: Weltkino)
Lina Beckmann spielt Julians MutterBild: JungesLicht/Weltkino

Er habe seine Geschichte nicht "von oben" erzählen wollen, sondern sein Augenmerk auf die ganz normalen Menschen gerichtet, "die Bergleute, auf die damals das ganze Ruhrgebiet stolz gewesen ist". Er habe auch zeigen wollen, "unter welchen Bedingungen diese Bergleute gearbeitet haben, wie sich das weitertransportiert hat in die Familien, zu den Frauen, zu den Kindern, und wie schwer das war mit Hilfe dieser Kohle das Wirtschaftswunder zu befeuern."

Nach Cannes hätte "Junges Licht" wunderbar gepasst

Winkelmann ist das grandios gelungen. Und ein wenig bedauert man es dann doch, dass dieser Film, der einen Tag (12.5.) nach Beginn der Festspiele in Cannes in den deutschen Kinos startet, nicht das deutsche Kino vertritt an der Croisette - wo so viel diskutiert wird über die internationale Qualität des deutschen Kinos. Ein stärkerer Kontrast als rauchende Ruhrpott-Schlote und Glanz der Côte d'Azur ist kaum vorstellbar. Es wäre ein reizvoller Kontrast geworden. Und möglicherweise auch eine Offenbarung für ein internationales Publikum.